Professor Immanuel Bloch im Interview
„Es gibt noch so viel zu entdecken, so viele ungeklärte, bedeutende Fragen“
Seit 2009 leitet Prof. Immanuel Bloch die Abteilung Quanten-Vielteilchensysteme am MPQ und ist Lehrstuhlinhaber der Fakultät Physik an der LMU München. Zum Beginn dieses Jahres kam mit dem geschäftsführenden Direktor ein neues Amt hinzu. Aktuell hat er mit dem Management der Corona-Pandemie alle Hände voll zu tun, doch die anderen bedeutenden Belange des Instituts lässt er dabei niemals aus den Augen. Über die Pläne seiner zweijährigen Amtszeit, die Zukunft der Quantenoptik und seinen persönlichen Weg zur Physik spricht er hier im Interview.
Herr Bloch, Sie sind nun seit vier Monaten im Amt als neuer geschäftsführender Direktor am MPQ – wie geht es Ihnen damit?
Momentan haben wir turbulente Zeiten, die weit über das Standardprogramm hinausgehen. Die Corona-Pandemie beschäftigt uns jetzt natürlich eine Weile. Ich hoffe, dass wir bald zu anderen Themen zurückkehren können, die langfristig für das Institut viel wichtiger sind. Jetzt geht es aber erst einmal um Fürsorge und den bestmöglichen Schutz für unsere Mitarbeiter, die kontinuierliche Eindämmung des Virus und darum, als Institut handlungsfähig und beweglich zu bleiben in außerordentlichen Situationen mit unvorhersehbarer Dynamik.
Um was sorgt sich ein geschäftsführender Direktor mehr als ein Direktor? Jeder pflegt da sicher seinen eigenen Stil – was ist Ihnen besonders wichtig?
Mir liegt jetzt noch viel mehr als vorher das Wohl des gesamten Instituts am Herzen, und ich trage dafür nun auch die Verantwortung. Ich finde es gut, dass wir uns dabei alle zwei Jahre abwechseln, so kann jeder seine Ideen und Impulse in die Institutsführung einbringen, denn wir Direktoren unterscheiden uns schon sehr stark voneinander.
Mir persönlich ist besonders wichtig, dass wir ein offenes Klima am Institut pflegen, in dem jeder jeden ansprechen kann, wenn es Probleme oder Fragen gibt. Wir wollen als Institut und in den einzelnen Arbeitsgruppen kritikfähig sein und offen für Verbesserungsvorschläge. Nichts ist perfekt, das MPQ auch nicht, aber wir wollen daran arbeiten und vorankommen. Dafür ist es sehr wichtig, dass sich jeder bei seiner Arbeit wohlfühlt. Es soll flache Hierarchien, eine offene Arbeitsatmosphäre und einen respektvollen Umgang miteinander geben. Das wäre mein Wunsch. Jeder soll Kritik aber natürlich auch Lob äußern können, wenn es ein Anlass gebietet, und dazu ermutige ich hiermit noch einmal alle.
Was haben Sie sich für Ihre Amtszeit vorgenommen?
Wir wollen das Institut als führende Einrichtung in der Quantenphysik und Quantenoptik international weiter ausbauen und die anerkannte Stellung, die wir uns über viele Jahre hinweg aufgebaut haben, weiter stärken. Das bedeutet, neue Gebiete wissenschaftlich zu erschließen und natürlich – und das treibt uns schon etwas länger um – eine neue Direktorin oder einen neuen Direktor zu finden, die oder der das Institut auf ihre oder seine Weise ergänzt. Wir suchen schon lange nach jemandem im Bereich der Festkörperphysik, das fehlt uns hier am Institut noch. Grundsätzlich sind wir aber auch offen für andere Forschungsfelder.
Auch neue Konzepte in der Nachwuchsförderung haben wir auf dem Plan. Uns ist natürlich daran gelegen, in diesem Bereich weiterhin konkurrenzfähig zu sein. Daher begrüßen wir alle kreativen Ansätze, die Nachwuchswissenschaftler dabei unterstützen, ihre Gruppe oder erstes Team zu gründen und ihr erstes Experiment aufzubauen. Ich denke, es ist wichtig, dass wir mehr Selbstständigkeit fördern und uns überlegen, wie wir guten Leuten perspektivisch eine Festanstellung bieten können. Über unsere wirklich herausragenden wissenschaftlichen Bedingungen hinaus, ist das oft der entscheidende Faktor, um Talente für uns zu gewinnen. Insgesamt können wir jetzt schon wirklich auf eine beeindruckende Serie von Erfolgen zurückblicken. Unsere ehemaligen Mitarbeiter sind mittlerweile weltweit an den besten Instituten, an den besten Universitäten, und auch in der Industrie sehr gefragt. Darauf sind wir stolz. Die Mitarbeiter bekommen oft schon Angebote weit bevor sie mit ihrer Arbeit fertig sind. Das bedeutet, dass eine Station an MPQ viele Türen öffnet und, dass es offensichtlich so etwas wie ein Qualitätssiegel ist, hier gearbeitet zu haben. Außerdem liegt es mir am Herzen, wirklich interessante junge Wissenschaftler anzuziehen. Ein Problem dabei bemerke ich allerdings immer wieder, wenn ich mit US-Amerikanern Kontakt habe. Denen ist nicht ganz klar, wie eine Promotion in Deutschland funktioniert und dass sie hier oft viel bessere Bedingungen vorfinden, als in den USA. Das ist ein Thema, wo wir an unserer Kommunikation arbeiten müssen. Wir arbeiten zusammen mit unseren Graduiertenschulen auch daran, das Ausbildungsfeld noch interessanter zu gestalten. Im kommenden Jahr werden wir einen neuen speziellen Master-Studiengang zu Quantenwissenschaften und -technologien an LMU und TU einführen.
Ein weiteres Ziel für mich ist, den Auftritt des Instituts nach außen und innen zu erneuern: Weiter daran zu arbeiten, unsere Kommunikationskanäle zu renovieren, ein neues Intranet als kollaborative und soziale Plattform einzuführen. Damit haben wir schon begonnen, mit dem Ziel die Informationswege zu erleichtern, Prozesse in der Verwaltung zu verschlanken und allen Mitarbeitern dabei zu helfen, sich besser zu vernetzen, um so den sozialen Austausch zu fördern – über die Arbeit in den Teams und Laboren hinaus. Wer zum Beispiel am Wochenende gemeinsam wandern gehen will, wird dadurch leichter andere finden können, mit denen er das gemeinsam machen kann. So entstehen hoffentlich neue Freundschaften am Institut.
Was macht das MPQ Ihrer Meinung nach besonders?
Wir haben fantastische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das kann ich wirklich ohne mit der Wimper zu zucken sagen. Wir ziehen die besten Leute aus der ganzen Welt an und das empfinde ich als großes Privileg. Wir haben natürlich auch ein tolles Support-Team. Denn nicht nur die Wissenschaftler sind klasse, sondern auch alle drum herum, sind sehr sorgfältig ausgewählt. Wir geben uns viel Mühe, die richtigen Leute für die unterschiedlichen Bereiche zu finden. Daraus ergeben sich hervorragende Forschungsbedingungen - von der Werkstatt über die gesamte Verwaltung und den technischen Support hinweg sind alle vor Ort. Man hat kurze Wege. Man ist sich nicht fremd, sondern kennt sich untereinander. Aufgaben und Probleme lösen wir dadurch schnell. Das schafft eine einmalige Umgebung, die es sonst, glaube ich, nur sehr selten gibt.
Vielerorts gibt es mittlerweile große Bestrebungen speziell auch die Karrieren von Frauen in der Wissenschaft zu fördern. Wie wollen Sie das für das MPQ handhaben?
Leider ist schon bei unseren jüngsten Nachwuchswissenschaftlern der Frauenanteil viel zu niedrig. Das ist sehr bedauerlich. Wir versuchen, unseren Beitrag zur Geschlechtergerechtigkeit zu leisten, indem wir unsere Wissenschaftlerinnen besonders in ihrer Karriere begleiten und indem wir sie ermutigen und unterstützen in die Öffentlichkeit zu gehen. Gleichzeitig versuchen wir, Schülerinnen schon früh für eine wissenschaftliche Karriere zu begeistern und unsere eigenen Wissenschaftlerinnen am MPQ sind dabei wichtige Vorbilder. Der Nachwuchsmangel beginnt ja schon weit vor dem Eintritt in eine wissenschaftliche Karriere.
Darüber hinaus starten wir momentan in unserem Exzellenzcluster MCQST und am MPQ viele Programme, um eine stärkere Sensibilität für das Thema zu schaffen. Außerdem gibt es Veranstaltungen, wie „Women in Quantum Science and Technology“, wo Wissenschaftlerinnen ans Institut kommen, Vorträge und Kolloquien halten, und sich Forscherinnen begegnen und austauschen können. Durch einen hohen Anteil an Wissenschaftlerinnen in den Kolloquien wollen wir auch sichtbar nach außen demonstrieren, dass es viele Frauen in dem Feld gibt, die Karriere machen und so viele unserer eigenen Wissenschaftlerinnen ermutigen auch eine solche anzustreben.
Sie sind (selbst) schon sehr früh Direktor geworden, mit 37 Jahren, und haben eine außerordentliche Karriere hingelegt - war Physiker immer Ihr Traumberuf? Wo haben sich als Kind gesehen? Stimmt das mit heute überein?
Also eigentlich war mir schon in der Schule klar, dass ich etwas Naturwissenschaftliches machen werde. Mein Vater ist Chemiker, da stand dann die Chemie bei mir auch lange hoch im Kurs. Aber zu nah am Papa ist auch nicht gut, dachte ich mir. Lieber eigene Wege gehen und so bin ich zur Physik gekommen. Das war eigentlich ein ganz guter Mix aus meinem technischen Interesse, zum Beispiel habe ich mich schon früh viel mit Computern auseinandergesetzt, und der Elektronik. Auf der anderen Seite wollte ich auch etwas Naturwissenschaftliches machen. Ein Ingenieurstudium stand noch im Raum, ich glaub, das wäre aber nichts für mich gewesen. Die Physik ist ein guter Mix aus Theorie und Anwendung und damit habe ich für mich ins Schwarze getroffen. Obwohl ich als Kind und junger Mensch gar nicht so sehr fixiert auf die Wissenschaft war.
Sie leiten die Abteilung Quanten-Vielteilchensysteme, Sie arbeiten also in einem Feld, das Sie selbst mitbegründet haben. Warum schlägt ihr Herz genau für dieses spezielle Fachgebiet der Physik?
Ich finde es spannend, weil wir versuchen aus elementaren Regeln, wie die Atome zusammen wechselwirken, abzuleiten, wie sie sich als Kollektiv verhalten. Wir wollen also gewissermaßen rausfinden, was das „Sozialverhalten“ der Teilchen ist und was für neue Eigenschaften sich ergeben, wenn diese zusammenwirken. Obwohl wir die Grundregeln gut kennen, ist es in der Tat oft sehr schwierig vorauszusagen, was für neue Eigenschaften die Gesamtheit dann hat. Das ist zum Beispiel wichtig, um neue Materiezustände zu erforschen, oder Materialien mit maßgeschneiderten Eigenschaften zu entwickeln. Das sind sehr komplexe Fragen, die wir unter extrem kontrollierten Bedingungen untersuchen, in Experimenten mit ganz neuen Techniken an unseren Quantensimulatoren. Das bringt vielen neue Einsichten und das Spannende ist, dass hier ein enorm hohes Potenzial liegt, fundamental Neues zu entdecken. Unsere Systeme sind komplex und kontrolliert genug, sodass wir die Chance haben ein neues Phänomen zu entdecken. Etwas an das vorher noch niemand gedacht hat oder das völlig unverstanden ist. Ich glaube, für einen Forscher ist das der schönste Moment, wenn er etwas entdeckt, was noch niemand vorher gesehen hat, was noch nicht verstanden ist und was man dann enträtseln muss.
Wann hatten Sie denn das letzte Mal so einen Moment?
Eine spannende Sache war, als wir untersucht haben, wie sich Störstellen im Festkörper bewegen und wie diese ihre Umgebung beeinflussen. Das ist ein recht komplexes Problem. Wir konnten erstmals mikroskopische fotografische Aufnahmen von sogenannten „Polaronen“ machen, die eben genau zeigen, wie Störstellen eine Umgebung im Material modifizieren. Das war definitiv eine kleine Sensation und wenn ich mir diese Bilder jetzt ansehe, ist das schon toll.
Wo sehen Sie denn das MPQ im Jahre 2040?
Es ist schwierig, 20 Jahre in die Zukunft zu blicken, ich kann schon kaum sagen, was in zehn Jahren passieren wird. Das Institut wurde vor rund 40 Jahre gegründet, und ich war vor etwa 20 Jahren Doktorand an der LMU und ab und zu hier am Institut. Am Rande habe ich also noch mitbekommen, wie das Institut zu dieser Zeit aussah. Mit der neuen Generation von Direktoren hat sich sicherlich auch ein Stück weit das Klima am Institut verändert und neue Forschungsfelder wurden erschlossen. In zwanzig Jahren, also 2040, gehe ich als Letzter der aktuellen Direktorengeneration gerade in Pension. Das MPQ wird dann wiederum ein ganz anderes Institut sein. Bei der Dynamik unseres Forschungsfeldes hat das MPQ vielleicht eine ganz andere Ausrichtung. Wobei ich sehr zuversichtlich bin, dass die Quantenphysik und die Quantenoptik Themen sind, die uns langfristig weiter beschäftigen werden - in Forschung, Industrie und Technologieentwicklung. Obwohl es dann sicherlich um ganz andere Fragen gehen wird, als die, die wir uns heute stellen.
Sie räumen der Quantenoptik also eine blühende Zukunft ein?
Ja, unbedingt. Es gibt noch so viel zu entdecken, so viele ungeklärte, bedeutende Fragen. Eine, die im Kontext unserer Forschung immer wieder auftritt, ist: Wie funktioniert diese ominöse Hochtemperatursupraleitung? Also wenn Materialien reibungslos Strom leiten. Wie funktioniert dieser Mechanismus? Wir hoffen, dass wir in unseren kontrollierten Experimenten ein paar Antworten dazu geben können. Es wäre fantastisch, wenn wir da Fortschritte machen. Aber das ist nur eine von vielen Herausforderungen. Für die Materialwissenschaften ist es wichtig numerisch voraussagen zu können, wie ein Material strukturiert sein muss, um gewisse Eigenschaften zu bekommen, in Bezug auf Leitfähigkeit, Widerstand, Magnetismus und auch optische Eigenschaften. Das sind Fragen, die extrem wichtig und schwierig zu beantworten sind. Unsere Experimente dienen da auch als Referenzexperimente für die Theorie, die dann wiederum am Ende an realen Materialien eingesetzt werden. Also ganz nach dem Motto von Max Planck: „Dem Anwenden muss das Erkennen vorausgehen.“ Genau daran arbeiten wir hier am Institut.
Sehr geehrter Herr Bloch, vielen Dank für dieses spannende Gespräch!
(Dieses Interview wurde geführt und geschrieben von Katharina Jarrah)