Quantensimulationen für die Geometrie von Energiebändern

MPQ/LMU Wissenschaftler entwickeln neuartiges Interferometer zur geometrischen Untersuchung von synthetischen Bandstrukturen.

Obwohl die Geometrie und Topologie elektronischer Bänder von zentraler Bedeutung für viele aktuelle Gebiete der aktuellen Festkörperforschung sind, zum Beispiel für Graphen oder topologische Isolatoren, stellt ihre direkte Messung eine experimentelle Herausforderung dar. Ein internationales Team um T. Li, Prof. I. Bloch und Dr. U. Schneider von der Ludwig-Maximilians-Universität München und dem Max-Planck-Institut für Quantenoptik präsentiert in einem Artikel in der Fachzeitschrift Science (Science, 27. Mai 2016, DOI: 10.1126/science.aad5812) eine verblüffend einfache Methode zur direkten Messung der Geometrie elektronischer Bänder mit Hilfe ultrakalter Atome in optischen Gittern. Ihre Methode verbindet die direkte Kontrolle über die Impulse der Atome mit Methoden der Atominterferometrie und stellt einen wichtigen Schritt auf dem Weg zur Charakterisierung geometrischer und topologischer Phänomene in künstlichen Bandstrukturen dar.

Viele fundamentale Phänomene der Festkörperphysik, zum Beispiel die Unterschiede zwischen Metallen und Isolatoren, können allein mit Hilfe des Bändermodells der elektronischen Energiezustände verstanden werden. Diese Beschreibung zählt nicht nur zu den frühesten Erfolgen der Quantenmechanik, sie ermöglichte darüber hinaus die Entwicklung vieler moderner Technologien, wie zum Beispiel elektronischer Schaltkreise in Laptops oder Smartphones. Es zeigt sich jedoch, dass die reine Betrachtung der Energien zur Beschreibung vieler neuer Phänomene nicht ausreicht.

Es ist eine der überraschendsten und fruchtbarsten Erkenntnisse der modernen Festkörperphysik, dass zusätzlich zu den Energien auch die Geometrie der Bänder eine zentrale Rolle spielt. Viele der exotischen Effekte in neuartigen Materialien wie Graphen oder topologischen Isolatoren beruhen direkt auf den geometrischen Eigenschaften der Energiebänder. Topologische Eigenschaften bilden darüber hinaus den Ausgangspunkt für mögliche neue Technologien wie die Spintronik oder topologische Quantencomputer. Gleichzeitig sind sie in typischen Festkörpern jedoch experimentell nur indirekt nachweisbar.

Jetzt ist es einem internationalen Forscherteam von der Ludwig-Maximilians-Universität München und dem Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching gelungen, die Geometrie elektronischer Bänder direkt zu messen. Dazu benutzten sie ultrakalte Atome in optischen Gittern. Das sind perfekte künstliche Kristalle, die durch die Überlagerung mehrerer Lichtwellen erzeugt werden.

Die Dynamik dieses Systems wird durch sogenannte Wilson-Linien beschrieben. Diese wurden ursprünglich im Kontext der Quantenchromodynamik in der Hochenergiephysik eingeführt. Doch es zeigte sich schnell, dass sie generell dazu verwendet werden können, die Entwicklung entarteter Quantenzustände, also Zustände gleicher Energie, zu charakterisieren. Bezogen auf die Festkörperphysik beschreiben sie direkt die geometrische Struktur der Energiebänder. Es stellt sich allerdings das Problem, dass die Energiebänder in einem Festkörper normalerweise nicht entartet sind. Die Forscher umgingen dieses Problem mit einem Trick: Wenn die Atome stark genug beschleunigt werden und die Dynamik sehr schnell erfolgt, dann wird der Einfluss der Bandenergien sehr klein und kann vernachlässigt werden. In diesem Regime verhalten sich zwei Bänder mit verschiedenen Energien so als wären ihre Energien gleich (s. Abb.1), und die Dynamik ist nur noch durch die geometrischen Effekte bestimmt.

In ihrer Arbeit kühlten die Forscher die Atome zunächst in den Zustand eines Bose-Einstein Kondensats und luden sie dann in ein optisches Gitter (s. Abb. 2). Damit kreierten die Forscher ein künstliches System, welches das Verhalten von Elektronen in Festkörpern genau nachstellt und gleichzeitig frei von vielen typischen Komplikationen ist. Die künstlichen Gitter besitzen z.B. nicht nur eine außergewöhnlich hohe Reinheit ohne jegliche Gitterfehler, sie bieten darüber hinaus eine hohe Flexibilität: verschiedene Gittertypen können direkt durch Veränderungen von Intensität und Polarisation der einzelnen Laserstrahlen erreicht werden. In ihrem Experiment überlagerten die Forscher drei Laserstrahlen so, dass ein graphenartiges hexagonales Gitter entstand.

Unter diesen Bedingungen ist der Ort der Atome nicht festgelegt, sie sind vielmehr über alle Gitterplätze „delokalisiert“. Dagegen ist der Impuls der entarteten Atome sehr genau bestimmt. Die Wissenschaftler beschleunigten die Atome schnell auf einen höheren Impuls und untersuchten die dabei erzeugten Anregungen in ein höheres Band. Wenn die Beschleunigung schnell genug abläuft, so dass das System über die Wilson-Linien beschrieben werden kann, zeigt diese einfache Messung, wie sich die elektronischen Wellenfunktionen des Systems für den ersten bzw. zweiten Impuls voneinander unterscheiden. Wiederholt man diese Messung für viele verschiedene Impulse im Kristall, dann erhält man eine vollständige Karte der Änderungen der Wellenfunktion für den gesamten Impulsraum des künstlichen Festkörpers.

Die Forscher zeigten damit nicht nur, dass es möglich ist, ultrakalte Atome auf eine Art zu bewegen, die durch Zwei-Band Wilson-Linien beschrieben werden kann. Darüber hinaus bestimmten sie sowohl die lokalen geometrischen Eigenschaften als auch die globale topologische Struktur der benutzten Energiebänder. Während diese im hexagonalen Gitter bekanntermaßen topologisch trivial sind, zeigen die Ergebnisse, dass Wilson-Linien dazu verwendet werden können, die Bandgeometrie und -topologie in künstlichen Materialien zu charakterisieren.

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