Quantengeometrie des Graphen-Gitters erstmals vermessen

LMU/MPQ-Wissenschaftler können mit Aharonov-Bohm-Interferometer Topologie der Bandstruktur in Graphen-artigem Gitter aufdecken.

19. Dezember 2014

Eines der revolutionären Konzepte der Quantenmechanik ist ihre Nichtlokalität. Diese führt unter anderem dazu, dass ein vollkommen in einer Spule eingeschlossenes Magnetfeld das Verhalten von Elektronen außerhalb der Spule beeinflussen kann, obwohl dort keine Kräfte wirken. Wie von den theoretischen Physikern Yakir Aharonov und David Bohm bereits 1959 vorhergesagt, ändert das eingeschlossene Feld dabei die Phase der quantenmechanischen Wellenfunktion der Elektronen. Diese geometrische Phasenverschiebung ist in den letzten Jahren wieder in Fokus gerückt, da sie erhebliche Auswirkungen auf den Transport von Elektronen in Festkörpern und damit auf deren elektrische Eigenschaften hat. Sie kann z.B. einen ungehinderten Stromfluss entlang der Oberflächen eigentlich isolierender Materialien erzeugen.

In speziellen kristallinen Strukturen entstehen solche geometrischen Phasenverschiebungen dabei auch ganz ohne Magnetfelder. Diese sogenannte Berry-Phase wird durch die spezifische Struktur und Topologie der Energiebänder erzeugt und ist nur schwer direkt nachzuweisen. Ein Team von Wissenschaftlern der Ludwig-Maximilians-Universität München, des Max-Planck-Instituts für Quantenoptik und der Stanford University konnte diese Berry-Phasen in einem künstlichen Kristall aus stehenden Lichtwellen mit einem Atom-Interferometer erstmalig präzise vermessen (Science Express, DOI 10.1126/science.1259052, online publ., 18. Dezember 2014). Ihre Methode eröffnet neue Möglichkeiten zur Untersuchung und damit auch zur Nutzung topologischer Eigenschaften der Materie. Denn diese eignen sich aufgrund ihrer nichtlokalen Struktur insbesondere für eine äußerst robuste Kodierung von Quanteninformation, da sie durch lokale Störungen nicht beeinflusst werden können, und ermöglichen dadurch neuartige, topologische Quanten-Computing Ansätze.

In einem Aharonov-Bohm Experiment wird ein Elektronenstrahl durch ein Interferometer geschickt, wobei die beiden Bahnen, die links bzw. rechts von der Spule verlaufen, auf einem weit entfernten Schirm zusammentreffen und dort ein Interferenzmuster bilden. Die Phase des Interferenzmusters und damit die Lage der Interferenzstreifen ändern sich proportional mit der Stärke des magnetischen Flusses in der Spule.

Die Grundidee des LMU/MPQ-Teams unter der Leitung von Dr. Ulrich Schneider und Prof. Immanuel Bloch war es, geometrische Phasenverschiebungen, die durch den Berry-Fluss in einem Kristall hervorgerufen werden, ganz analog durch Interferometrie nachzuweisen. Anstelle von Elektronenstrahlen verwendeten sie in ihrem Interferometer elektrisch neutrale Atome, die zuvor auf extrem tiefe Temperaturen gekühlt worden waren, wo ihre Wellennatur besonders stark ausgeprägt ist. Neutrale Atome sind besonders gut geeignet, den Berry-Fluss aufzuspüren, da sie aufgrund der fehlenden elektrischen Ladung keine geometrische Phasenverschiebung durch ein Magnetfeld erfahren können.

Die Forscher erzeugten dazu ein Honigwaben-artiges hexagonales Gitter, welches der Gitterstruktur von Graphen nachempfunden ist. Obwohl aus der Festkörperphysik bekannt ist, dass der Berry-Fluss in vielen Phänomenen eine wichtige Rolle in Graphen spielt, konnten die entsprechenden Berry-Phasen dort nie direkt interferometrisch nachgewiesen werden.

Die Besonderheit der Bandstruktur von Graphen ist ein Kreuzungspunkt zwischen zwei Energieniveaus, auch Dirac-Punkt genannt (siehe Abb.1, rechts). An diesem kreuzen sich zwei Energiebänder kegelförmig und erzeugen dabei am Schnittpunkt einen lokalisierten Berry-Fluss, welcher im Experiment die Rolle der Spule im Aharonov-Bohm Interferometer übernimmt. Aufgrund der Symmetrie des Gitters muss dieser Berry-Fluss dabei für jede Bahn, die den Dirac-Punkt umschließt, eine geometrische Phasenverschiebung von exakt 180 Grad erzeugen. Der Dirac-Punkt entspricht damit einer unendlich dünnen Spule mit genau bekanntem Magnetfeld und stellt einen idealen Testfall für die Genauigkeit und die Auflösung eines Berry-Fluss-Detektors dar.

Das Atom-Interferometer im Experiment zeigte in der Tat exakt die erwartete Phasenverschiebung von 180 Grad und erlaubte es den Physikern, die Ausdehnung des dafür verantwortlichen Berry-Flusses auf weniger als ein Millionstel der Einheitszelle des Gitters im Impulsraum einzuschränken. Diese interferometrische Messung des Berry-Flusses mit ultrakalten Atomen ist ein wichtiger Meilenstein in den vielfältigen Bemühungen, die Kontrolle und das Verständnis  der Topologie von Vielteilchen-Quantensystemen zu erweitern. Die Motivation dahinter ist die Erkenntnis, dass geometrische Phasen sehr robust gegenüber lokalen Störungen sind, welche gewöhnlich das größte Hindernis bei der Speicherung von Quanteninformation darstellen. Im Fall des Aharonov-Bohm Interferometers zeigt sich diese Robustheit an der Tatsache, dass die gemessene Phase unempfindlich gegenüber der genauen Position der Spule (bzw. des Dirac-Punktes) zwischen den beiden Interferometer-Armen ist. Erst wenn der lokalisierte Fluss aus dem Interferometer herausbewegt wird, und damit die Topologie des Systems geändert wird, ändert sich der gemessene Phase schlagartig. 

Die Verwirklichung der Vision des topologischen Quanten-Computers benötigt dabei zweifelsohne deutlich komplexere Topologien, die möglicherweise durch die Kombination der Effekte verschiedener geometrischer Phasen zusammen mit einer Kontrolle der Wechselwirkung zwischen den Teilchen erzeugt werden können. Obwohl viele Herausforderungen zweifellos noch bewältigt werden müssen, bildet die interferometrische Messung der Berry-Phase bereits ein neues Werkzeug, um die Topologie in ultrakalten Quantensystemen zu charakterisieren und vielleicht eines Tages auch zu nutzen. [U.S.]

Weitere Materialien:

http://www.quantum-munich.de/media/

Weitere interessante Beiträge

Zur Redakteursansicht