
„Ich bin halt ein Hans im Glück – fortunate, wie man so sagt.“
Hans Schüssler – Pionier der Ionenfallenphysik, leidenschaftlicher Forscher und jahrzehntelang Sommergast am MPQ. Ein Nachruf.
Hans Schüssler liebte das Internationale. Als Professor an der Texas A&M University hatte er seine Forschung auf der ganzen Welt von den USA und Kanada über Japan bis nach Katar – und prägte dabei Generationen von jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Jedes Jahr im Juli über Jahrzehnte hinweg war er Gast an unserem Institut und bereicherte bis ins hohe Alter mit seinen Beiträgen die aktuelle Forschung. Nun ist er im Alter von 93 Jahren gestorben. In einem Nachruf erinnert sich erst Theodor Hänsch an seinen einstigen Weggefährten, anschließend kommt Hans Schüssler noch einmal selbst zu Wort: in Auszügen aus einem Gespräch, das wir im Jahr 2023 mit ihm am MPQ geführt haben.
Ein lebenslanger Begleiter
von Theodor Hänsch
„Vor 60 Jahren war ich Student an der Universität Heidelberg. Damals lernte ich Hans Schüssler als Versuchsleiter im physikalischen Fortgeschrittenenpraktikum kennen. Seitdem haben sich unsere Wege immer wieder gekreuzt.
Am MPQ war er ein stets gern gesehener Gast, der als Pionier der Ionenfallenphysik wertvolle Ratschläge zu unseren Experimenten geben konnte – und der den Laboralltag mit vielen humorvollen Anekdoten bereicherte.
Auch nach seinem 90. Geburtstag war Hans, unterstützt von seiner Frau Zohreh, voller Energie und Enthusiasmus. Manchmal scherzte er, dass in seinem Reich der weltweiten Kollaborationen die Sonne nie untergehe.
Mit seinem klugen Blick, seiner Offenheit für Neues und seiner Begeisterung für den wissenschaftlichen Nachwuchs hat er viele inspiriert. Wir werden ihn vermissen.“
Lieber zwei solche Frauen, als ein Nobelpreis
Ein Gespräch mit Hans Schüssler
Heute ist dein letzter Tag. Du warst jetzt drei Monate hier. Was hast du in dieser Zeit gemacht?
Ich habe „facilitated“, wie man sagt. Vor langer Zeit habe ich mit Thomas Udem und Ted Hänsch zusammen ein Experiment mit gespeicherten Ionen gestartet. Es ging darum, ein noch einfacheres Atom zu untersuchen als das Wasserstoffatom – nämlich Helium 4+. Das hat zwei Protonen und zwei Neutronen, aber nur ein Elektron. Weil die Spins sich ausgleichen, hat es keine Hyperfeinstruktur. Das macht die Spektroskopie viel einfacher. Wir kühlen das Helium 4+ mit Beryllium-Ionen – das ist wie eine Klimaanlage für die Ionenfalle. (lacht) Es klingt einfach, aber die Laserwellenlänge, die man braucht, liegt im XUV-Bereich bei 60 Nanometern. Das ist schon eine Herausforderung so eine Intensität hinzukriegen. Und für mich schließt sich da ein Kreis: Als junger Physiker habe ich die Hyperfeinstruktur von Helium 3+ vermessen – ohne Laser! Und jetzt, so viele Jahrzehnte später, arbeiten junge Leute daran, Helium 4+ noch präziser zu messen.
Du hast ja eine lange Historie mit dem MPQ — fast jedes Jahr bist du gekommen. Wie fing das an?
Ted Hänsch und ich kennen uns noch aus Heidelberg. Ich war Assistent am Institut, er war Student. Ich habe ihn betreut – er war also fast mein Schüler. (schmunzelt) Als Ted dann den Nobelpreis bekam, war ich gerade hier am MPQ. Wir hörten es im Radio, stürmten in die Stadt (an die Uni) und gratulierten. Ich sehe ihn noch, mit Krawatte und frisch geschnittenen Haaren – sehr klassisch sah er aus. Da kam auch schon der Rektor angesaust und rief: „Prof. Hänsch, Sie bleiben hier! Selbst wenn Sie die Altersgrenze erreichen – Wir tun alles, um Sie hierzubehalten!“ Das weiß ich noch. Und der Ted flog am selben Mittag schon in die USA, während die Reporter noch auf ihn warteten.
Du hast auch viele Anekdoten aus deiner Zeit am Institut — was ist dir besonders in Erinnerung geblieben?
Ach, es gibt viele. Früher haben wir hier am Institut die ersten linearen Ionenfallen entwickelt. Ich hatte da einen Studenten, mit dem ich zusammengearbeitet habe. Wenn schönes Wetter war, haben wir aus dem Fenster geschaut und bei Cumulus-Wolken gesagt: „Fahr ma nach Unterwössen!“ Da ist ein Segelflugplatz. Statt ins Labor sind wir also zum Fliegen. Der Student saß hinten, ich vorne, und wir haben Kunstflüge gemacht. Sogar auch Loopings! Da darf die Belastung nicht über 6G steigen, sonst kippt man um. Später kam mein Chef, der Professor Walther, ins Büro: „Sag mal hältst du mir meine Studenten von der Arbeit ab?“ Keine Ahnung, wie der das rausgekriegt hat. Aber wir haben uns ein paar Monate später revanchiert...
Bei der Ringberg-Konferenz sollte der Student eine Präsentation über die linearen Fallen halten. Wir sind auch kurz vor der Konferenz erst mit den Fallen fertig geworden, aber doch noch rechtzeitig, um sie zu zeigen. Damals noch auf Dias. Aber das war nicht das einzige, was wir gezeigt haben… (lacht) Was wir auch gezeigt haben, ist der Parkplatz vorm MPQ. Und da war‘s ganz streng, da durften nur die Professoren auf der einen Seite parken. Und da haben wir auf dem Parkplatz vom Walther geparkt, und der Walther hat im Vortrag gerufen “WAS, WER IST AUF MEINEN PARKPLATZ?” und da hat der Student gesagt: „Ja es gibt auch noch Leute, die arbeiten, auch wenn die Professoren nicht arbeiten.“ Das war unsere kleine Retourkutsche. Und da hat er dann auch lachen müssen, der Professor Walther. Also es war schon immer ganz lustig auch damals bei uns.
Was macht das MPQ für dich denn so besonders?
Das MPQ ist natürlich eines der Top Institute in der Welt in jeder Hinsicht. Und für mich ist es hier wie ein wissenschaftliches Schlaraffenland — und wie ein Jungbrunnen. Ich spreche mit vielen Leuten jung wie alt, lerne Neues, kann alte Dinge wiederauffrischen, weil vieles habe ich über die Jahre vergessen. Hier sind alle doppelt und dreifach organisiert. In den USA ist vieles zweckmäßiger, aber hier ist es einfach schön. Ich bin halt ein Hans im Glück — fortunate, wie man so sagt.
Und wie war dein Weg in die Physik?
Das hat früh angefangen. Als ich noch Schüler war, habe ich auf dem Balkon unseres Hauses alle möglichen Chemikalien gemixt. Das ist mir dann immer übergelaufen, und der ganze Balkon war ganz blau und rot von diesen Sachen – aber meine Mutter hat mich das alles machen lassen. Das war in den 1940er Jahren, direkt nach dem Krieg. Wir Jungen haben damals auch alte Artilleriegeschosse aufgebrochen, das Pulver rausgeholt und angezündet. So fing das an mit dem Experimentieren und dem Interesse für die Wissenschaft.
Als junger Student habe ich dann immer Scientific American gelesen, da stand drin, wie man ein Elektronenmikroskop baut. Ich wollte unbedingt ein Atom sehen! Dafür brauchte ich ein spezielles Glasgefäß für die Glasvakuumpumpe. Also bin ich ganz naiv zum Hans Kopfermann ins Büro, der war der damals der oberste Chef in Heidelberg, und erzählte von meiner Idee und fragte ob ich einen Glasbläser beauftragen darf. Er sagte: „Warum versuchst du es nicht?“ Das Ende vom Lied: es hat damals nicht geklappt, aber viele Jahre später habe ich dann tatsächlich ein Atom gesehen — mit einer Ionenfalle. Da kann man Barium-Ionen speichern, deren Fluoreszenz man mit bloßem Auge sieht. Leider war der Kopfermann zu dem Zeitpunkt schon tot, aber so kam ich zu den Ionenspeicherung.
Du strahlst so wenn du von der Physik sprichst...
Ja, und ich kann das alles nur so machen, weil meine Frau mich in jeder Hinsicht unterstützt. Da habe ich auch sehr viel Glück gehabt. Wir sind jetzt über zwanzig Jahre verheiratet und meine erste Frau davor hat mich auch immer unterstützt und ich sage dir: es ist viel besser zwei solcher Frauen im Leben zu haben, als einen Nobelpreis! (lacht)












