Jenseits von Fermionen und Bosonen: Parateilchen tatsächlich mathematisch möglich
Mit einem neuartigen Ansatz gelang Theoretikern der Beweis, dass Parateilchen, die lange Zeit als unmöglich galten, tatsächlich existieren können.
Jahrzehntelang ging die Quantenmechanik davon aus, dass alle beobachtbaren Teilchen in zwei Kategorien fallen: Fermionen, die sich abstoßen, und Bosonen, die verklumpen. Nun steht diese dichotome Sichtweise auf der Kippe, denn zwei Theoretiker des Max-Planck-Instituts für Quantenoptik in Garching und der Rice University in den USA haben die Austauschstatistik von Teilchen untersucht und gezeigt, dass unter gewissen physikalischen Bedingungen eine dritte Kategorie existieren kann: die Parateilchen. Sie gehorchen einer exotischen „Parastatistik“, die sich deutlich von derjenigen der Fermionen und Bosonen unterscheidet. Mithilfe gewisser mathematischer Berechnungen zeigen die Wissenschaftler, dass Parateilchen als Quasiteilchenanregungen in Quantenspinmodellen auftreten – und stellen damit seit Langem bestehende Grundannahmen der Physik der kondensierten Materie und der Teilchenphysik in Frage. Ihre Entdeckung wurde letzte Woche in Nature veröffentlicht.

Die Quantenmechanik unterscheidet zwei Arten von Teilchenstatistiken: Fermionen mit halbem Spin, die Bausteine der Materie wie Elektronen, und die kraftübertragenden Bosonen mit ganzzahligem Spin, wie Photonen oder Gluonen. Fermionen gehorchen dem Paulischen Ausschlussprinzip, was bedeutet, dass sie nicht denselben Quantenzustand einnehmen können. Bosonen hingegen schon, was zu besonderen Phänomenen wie Bose-Einstein-Kondensaten, z. B. in Superfluiden, führt. Diese Unterscheidung zwischen den beiden Teilchenklassen hat tiefgreifende Auswirkungen auf die Struktur von Atomen und die verschiedenen Phasen der Materie.
Lange Zeit dachte man, dass es nichts jenseits oder zwischen diesen beiden Kategorien geben kann, mit Ausnahme von Anyonen, die nur in zweidimensionalen Materialien möglich sind. Eine zweite potenzielle Ausnahme, die so genannten Parateilchen, die konsistent in jeder räumlichen Dimension definiert sind, wurde in den 1950er Jahren vorgeschlagen und von der Hochenergiephysik ausgiebig untersucht. In den 1970er Jahren schienen mathematische Studien jedoch zu zeigen, dass diese Parateilchen eigentlich nur versteckte Bosonen oder Fermionen waren. Daraus folgte ein allgemeiner Konsens, dass in unserer dreidimensionalen Welt nur Fermionen und Bosonen möglich sind. Aber diese langjährige Sichtweise auf die Natur gerät nun ins Wanken.
In einer neuen Studie weisen die Theoretiker Zhiyuan Wang, ehemals Doktorand an der Rice Universität und jetzt Postdoktorand am Max-Planck-Institut für Quantenoptik, und Kaden Hazzard, Professor an der Rice Universität, nämlich erstmals mathematisch nach, dass in bestimmten exotischen topologischen Phasen der Materie tatsächlich eine nichttriviale, exotische Parastatistik auftreten kann. Diese führe zu neuartigen physikalischen Phänomenen, die über die Vorhersagen der gewöhnlichen Teilchenstatistik hinausgehen, so die Theoretiker.
„Diese Entdeckung könnte eine neue Grenze in der Physik der kondensierten Materie eröffnen, indem sie unser Verständnis von topologischen Phasen und Quasiteilchenstatistiken erweitert. Außerdem deutet sie auf die Möglichkeit einer neuen Art von Elementarteilchen in der Natur hin“, kommentiert Zhiyuan Wang, Erstautor der Studie.
Parateilchen mit exotischen Austauschstatistiken
Mit Hilfe fortgeschrittener Mathematik wie Lie-Algebra, Hopf-Algebra und Darstellungstheorie sowie Tensornetz-

Methoden, mit denen man abstrakte mathematische Konzepte visualisieren kann, konnten die Theoretiker abstrakte algebraische Berechnungen durchführen und Systeme kondensierter Materie modellieren, in denen Parateilchen auftreten. Die Parateilchen in diesen Modellen weisen exotische Austauschstatistiken auf, die sich von denen der Fermionen oder Bosonen stark unterscheiden. Wenn zum Beispiel zwei Bosonen ihre Positionen tauschen, bleiben alle anderen Eigenschaften wie Masse, Spin und Impuls unverändert. Dasselbe gilt für Fermionen, mit der Ausnahme, dass ihre Gesamtwellenfunktion ein Minuszeichen annimmt. Parateilchen hingegen haben zusätzliche interne Eigenschaften mit einem hohen Freiheitsgrad, deren Werte variieren, wenn zwei von ihnen die Positionen tauschen.
Das Team analysierte außerdem die thermodynamischen Eigenschaften von freien, nicht-wechselwirkenden Parateilchen, wodurch sich die Teilchenklassen ebenfalls unterscheiden. Im Gegensatz zu gewöhnlichen Fermionen und Bosonen weisen Parateilchen einzigartige Einmodenbesetzungszahlen auf, die auf eine exotische Thermodynamik der freien Teilchen hindeuten.
Parastatistik könnte geheime Kommunikation ermöglichen
Diese neuartige Komplexität der inneren Zustände von Parateilchen bereichert nicht nur die Teilchenphysik, sondern hat auch weitreichende Auswirkungen auf reale Anwendungen in der Materialwissenschaft und der Quanteninformation. Insbesondere sehen die Forscher eine potenzielle Anwendung der Parastatistik in der geheimen Kommunikation:
„Mit ihrer exotischen Austauschstatistik können zwei Parteien mithilfe von Parateilchen kommunizieren, indem sie ihre Positionen tauschen – ohne sich jemals nahe zu kommen und ohne Spuren zu hinterlassen, die von Dritten entdeckt werden könnten.“
Die nächsten Schritte in dieser Forschungsrichtung umfassen die theoretische Ausarbeitung von Klassifikationen für diese Parateilchen im breiteren mathematischen Rahmen der Tensorkategorien sowie die Entwicklung realistischerer theoretischer Modelle, die die experimentelle Entdeckung von Parateilchen unterstützen könnten.
„Dies wird dazu beitragen, in Zukunft praktische Anwendungen für Parateilchen zu finden“, erklärt einer der Theoretiker. Und weiter: „Unsere Familie neuer mathematischer Modelle, die wir zur Untersuchung der Parateilchen entwickelt haben, könnte auch zur Entdeckung neuartiger Quantenphasen führen, wie etwa chiraler oder lückenloser topologischer Phasen, die mit bestehenden theoretischen und rechnerischen Techniken nur schwer zu untersuchen sind.“