Mikrowellen dirigieren das Zusammenspiel von tanzenden Molekülen
Die Existenz sogenannter Supermoleküle wird theoretisch seit Langem vorhergesagt. Nun gelang es Max-Planck-Forscherinnen und Forschern erstmals, die Voraussetzungen für den Nachweis dieser exotischen Gebilde zu schaffen.
Ein Forscherteam am Max-Planck-Institut für Quantenoptik (MPQ) in Garching hat zum ersten Mal Hinweise auf ein Phänomen beobachtet, das bislang nur vermutet worden war: Eine Theorie sagt voraus, dass bei der Kollision von ultrakalten polaren Molekülen exotische gebundene Zustände entstehen können. Im Experiment erkennbare Änderungen der Stoßeigenschaften deuten nun darauf hin, dass dieser Effekt tatsächlich möglich ist. Für ihre Untersuchungen nutzten die Forscherinnen und Forscher ein speziell geformtes Mikrowellenfeld, mit dem sie das Zusammenspiel verschiedener Kräfte zwischen den Teilchen gezielt beeinflussen können. Auf diese Weise können sich „Supermoleküle“ formen: vergleichsweise riesige und schwach verknüpfte Gebilde, die sich durch ein Feld aus Mikrowellen steuern lassen und deren Existenz den Verlauf der Stöße ungebundener Moleküle beeinflusst. Mit den neuen Ergebnissen schuf das Team ein vielseitiges experimentelles Werkzeug, um aus ultrakalten Molekülen exotische Formen von Quantenmaterie zu erzeugen. Die wissenschaftliche Arbeit erscheint diese Woche im Magazin „Nature“.
Vor rund 20 Jahren sagte der US-amerikanische Wissenschaftler John Bohn gemeinsam mit Kollegen aufgrund theoretischer Überlegungen und Berechnungen eine bis dahin unbekannte Eigenheit von Molekülen voraus: Tragen die Moleküle eine unsymmetrisch verteilte elektrische Ladung – die Physiker sprechen dabei von Polarität –, so können sie sich in einem elektrischen Feld zu schwach gebundenen „Supermolekülen“ zusammenfügen. Doch eine experimentelle Bestätigung dieser Vorhersage stand bislang aus. Nun hat ein Forscherteam am Max-Planck-Institut für Quantenoptik (MPQ) in Garching erste Hinweise auf die Existenz solcher, im Vergleich zu anderen Molekülen riesigen Gebilde entdeckt. Die Forscherinnen und Forscher bestrahlten ein ultrakaltes Gas aus dipolaren Molekülen mit einem formbaren Mikrowellenfeld und stellten dabei fest, dass sich die Eigenschaften des Gases stark veränderten – genau bei solchen Feldparametern, bei denen sich „Supermoleküle“ bilden sollten.
„Treffen zwei polare Moleküle aufeinander, verhalten sie sich ähnlich wie zwei Kompassnadeln“, erklärt Dr. Xin-Yu Luo, der das Team am MPQ leitet: „Unter dem Einfluss des Erdmagnetfelds weisen beide Nadeln nach Norden. Die auf diese Weise parallel ausgerichteten Nadeln stoßen sich ab. Bringt man die Nadeln allerdings nahe genug zusammen, wird die zwischen ihnen wirkende Kraft größer als die Wirkung des Erdmagnetfelds. Das erlaubt es den Nadeln, sich so auszurichten, dass sie aufeinander zeigen und sich somit anziehen.“ Ein ähnliches Wechselspiel verschiedener, gegensätzlicher Kräfte erfahren zwei polare Moleküle, wenn sie sich in einem äußeren elektrischen Feld annähern. „Die resultierende Wechselwirkung kann entweder zu einer Abstoßung oder Anziehung der molekularen elektrischen Dipole führen“, sagt der Garchinger Physiker. Entscheidend dafür ist, in welchem Quantenzustand sich die beiden Moleküle befinden.
Drastische Veränderung der Kräfte
Die Theorie prognostiziert: Bei geeigneten Eigenschaften des elektrischen Feldes verbinden sich die beiden Partner miteinander in einem bestimmten Abstand. Es entsteht für kurze Zeit ein „feldinduziertes Molekül“ – ein Gebilde, der bis zu einige Hundert Mal größer sein kann als ein einzelnes, ungebundenes Molekül. Ändert man die Parameter des elektrischen Feldes beim entscheidenden Wert ein wenig, so verändern sich die Kräfte zwischen den einzelnen Molekülen drastisch. Die Wissenschaftler sprechen von einem Resonanzphänomen, das sie als „feldinduzierte Resonanz“ bezeichnen.
Im Experiment fand das Team am MPQ zudem heraus, dass sich durch Verstellen von Frequenz oder Form des Mikrowellenfeldes die Stoßeigenschaften von Natrium-Kalium-Molekülen variieren ließen. Dazu störten die Forscherinnen und Forscher das molekulare Gas durch eine stehende Welle aus Laserlicht und beobachteten, wie schnell die Störung durch Kollisionen zwischen den Molekülen wieder verschwand. „Stellschrauben zu finden, mit denen wir die Wechselwirkung zwischen ultrakalten Molekülen kontrollieren können, ist für uns Quantenphysiker äußerst wichtig“, erläutert Xing-Yan Chen, der an diesem Experiment promovierte. „Für ultrakalte Atome gibt es bereits seit vielen Jahren entsprechende Methoden – dagegen fehlte für komplexere ultrakalte polare Moleküle bisher eine universell einsetzbare Technik.“
Rotierende Felder
Obwohl die zugrundeliegende Theorie weitgehend anerkannt ist, war es bislang nicht gelungen, solche Resonanzen im Experiment zu beobachten. „Man ging davon aus, dass extrem hohe Feldstärken nötig seien, um ein feldinduziertes Molekül zu formen“, erklärt Dr. Andreas Schindewolf, der im Team von Xin-Yu Luo forscht. „Das angelegte Mikrowellenfeld dreht sich üblicherweise wie der Zeiger einer Uhr im Kreis.“ Ein solches Feld hatten die Wissenschaftler 2022 verwendet, um ultrakalte Moleküle zu stabilisieren und somit die kältesten dipolaren Moleküle der Welt zu erzeugen. „Dabei stellten wir überraschenderweise fest, dass eine unbeabsichtigte Verformung des Mikrowellenfeldes – quasi ein Übergang zu einer Uhr mit elliptischem Zifferblatt – zu dem Resonanzverhalten führte“, berichtet Schindewolf. Angespornt durch diese Beobachtung entwickelten die Forscher eine spezielle Mikrowellenantenne, um das Feld kontrolliert zu verformen und die Resonanz so zu charakterisieren. „Gemeinsam mit Prof. Tijs Karman von der Radboud University in den Niederlanden konnten wir unsere Resonanzmessungen mit theoretischen Berechnungen reprodozieren und damit die Existenz zweier feldinduzierter Molekülzustände nachweisen“, stellt der Max-Planck-Physiker fest.
Exotische Quantenmaterie erzeugen
„Mit der Fähigkeit, die Wechselwirkung zwischen polaren Molekülen mit den feldinduzierten Resonanzen zu kontrollieren, können wir nun experimentell exotische Quantenmaterie erzeugen“, freut sich Xin-Yu Luo. So sollte es künftig möglich sein, einem molekularen Gas suprafluide Eigenschaften zu verleihen. „Daraus ließen sich weitere Erkenntnisse darüber gewinnen, wie sich Teilchen in einer Supraflüssigkeit oder Supraleiter paaren“, ist Luo überzeugt. „Die feldinduzierten Resonanzen könnten es zudem ermöglichen, mit Molekülen eine sogenannte Suprasolidität zu realisieren – ein Zustand, der gleichzeitig Eigenschaften einer Supraflüssigkeit und eines Festkörpers aufweist.“ Letztlich wollen die Forscherinnen und Forscher am MPQ die Resonanzen dazu verwenden, einzelne Moleküle gezielt zu feldinduzierten Molekülen zusammenzuführen, um die Supramoleküle so besser zu stabilisieren und ihre exotischen Quanteneigenschaften auszunutzen.