Der Sprung ins Kontinuum

Garchinger Physiker entwickeln eine neue Methode, Quantenfeldtheorien zu berechnen

In der Physik wird es immer knifflig, wenn sie das dynamische Zusammenspiel vieler Quantenteilchen möglichst exakt berechnen will. Doch es gibt eine vielversprechende Rechenmethode für solche Quantenvielteilchen-Systeme: An diesen „Tensor-Netzwerken“ forscht die Theorie-Abteilung des Max-Planck-Instituts für Quantenoptik. Anfangs ging es um gitterartige Quantensysteme, wie sie in Kristallen vorkommen, darüber hinaus auch um Quantenbits in zukünftigen Quantencomputern. Nun konnten der Postdoktorand Antoine Tilloy und der Direktor der Theorie-Abteilung, Ignacio Cirac, zeigen: Dieser Ansatz lässt sich auch auf kontinuierliche physikalische Systeme erweitern. Ein Fernziel ist eine elegante Rechenmethode für Quantenfeldtheorien, die die Grundkräfte der Physik beschreiben.

Zu den grundlegenden Herausforderungen der Physik gehört die Beschreibung von Systemen, in denen viele Quantenteilchen zusammenwirken und im Kollektiv neue Phänomene hervorbringen. Supraleitung ist ein Beispiel für ein solches Quantenvielteilchen-Phänomen. Die Herausforderung: In solchen Systemen beeinflussen Teilchen sich gegenseitig intensiv. Deshalb lassen sich zwar die quantenmechanischen Gleichungen, die dieses kollektive Verhalten exakt beschreiben können, aufstellen – aber nicht exakt lösen.

Bei Quantensystemen müssen zudem die Gleichungen alle Zustände erfassen, die ein solches System einnehmen kann. Und das können sehr viele sein. Ein derzeit populäres Beispiel der Physik sind Quantenbits, zum Beispiel aus speziell präparierten Elektronen oder elektrisch geladenen Atomen. Definiert sind solche Qubits über zwei gegensätzliche Zustände, denen sich die Bitzustände Null und Eins zuordnen lassen. Doch anders als ein „klassisches“ Bit kann sich das Qubit auch in einer beliebigen Überlagerung der beiden Zustände befinden. Kombiniert man nun zwei Qubits zu einem sogenannten Quantengatter, so verdoppelt sich abstrakte mathematische Raum aller möglichen Quantenzustände. Und jedes weitere Qubit verdoppelt ihn erneut. Diese „exponentiell“ anwachsende Lawine an möglichen Quantenzuständen überflutet regelrecht die Prozessoren und Datenspeicher herkömmlicher Computer. Selbst Supercomputer scheitern an mehr als grob zwei Dutzend Qubits. Nur Quantencomputer, die selbst den Regeln der Quantenmechanik gehorchen, werden eines Tages größere Quantensysteme berechnen können.

Unberechenbares berechenbar machen

Das Beispiel der Qubits passt, denn Ignacio Cirac und seine Mitarbeiter, gehören zu den Pionieren der noch jungen Quanteninformationstechnologie. Auch die Methode der „Tensor-Netzwerke“, um die es hier geht, stammt aus dem Forschungsgebiet. Sie erlaubt es, den gigantischen Raum aller möglichen Quantenzustände eines Vielteilchensystems geschickt auf eine berechenbare Größe zu verkleinern. „Stellen Sie sich alle Quantenzustände eines Vielteilchensystems, die möglich sind, als riesige Kreisfläche vor“, erklärt Antoine Tilloy: „Doch die für unser betrachtetes System wirklich relevanten Zustände passen in einen viel kleineren Kreis.“ Die Kunst besteht nun darin, diesen kleinen Kreis im abstrakten mathematischen Raum aufzuspüren, und das können Tensor-Netzwerke leisten.

Tilloy ist Postdoktorand bei Cirac und hat zusammen mit ihm gerade eine neue wissenschaftlichen Arbeit über Tensor-Netzwerke im Fachblatt „Physical Review X“ [1] publiziert. Ursprünglich wendeten die Garchinger sie auf sogenannte Quantengatter aus einzelnen Qubits an. Entsprechend basieren diese Tensor-Netzwerke ursprünglich auf einem Gitter von abstrakten mathematischen Objekten – ein bisschen wie eine mathematische Perlenkette.

Die Tensor-Netzwerke erwiesen sich erfolgreiches Werkzeug zur Berechnung ausgewählter Quantensysteme. Das brachte theoretische Forschungsgruppen weltweit auf eine Idee: Ließe sich diese Methode auch auf physikalische Systeme anwenden, die kein Gitter aus Einzelobjekten sind, sondern ein Kontinuum bilden?  Die Antwort ist, kurz gesagt, ja. Tatsächlich lässt sich die Methode der Tensor-Netzwerke auf das Kontinuum erweitern. Das konnten Tilloy und Cirac in ihrer neuen Arbeit demonstrieren.

Neues Werkzeug für Quantenfeldtheorien

Ein bedeutendes Anwendungsgebiet für diesen neuen Werkzeugkasten könnten sogenannte Quantenfeldtheorien sein. Diese Theorien formen das Fundament des heutigen physikalischen Weltbilds. Sie beschreiben zutreffend, wie drei der vier grundlegenden Kräfte der Physik auf Basis der Quantenmechanik funktionieren. Demnach werden diese Kräfte von virtuellen Teilchen vermittelt, die nur für die kurze Zeitspanne existieren, die sie zur Übertragung ihrer Kraft-Flaschenpost benötigen.

Bei der elektrischen Kraft zum Beispiel sind die vermittelnden Teilchen virtuelle Lichtquanten. „Das fällt unter die sogenannte Elektrodynamik und ist gut verstanden“, sagt Tilloy, „anders ist es bei der sogenannten Quantenchromodynamik.“ Die QCD, wie sie kurz genannt wird, beschreibt die Kräfte zwischen den Quarks, die wiederum die Bausteine der Atomkerne, die Protonen und Neutronen, bilden. Hier vermitteln Gluonen, „Klebeteilchen“, die stärkste Kraft der Physik. Und diese „klebt“ die Quarks zusammen.

Doch anders als die virtuellen Photonen können die Gluonen sich auch gegenseitig stark beeinflussen. Diese „Selbstwechselwirkung“ führt unangenehmerweise dazu, dass sich die Gleichungen der QCD sich nur in Grenzfällen sehr hoher Energie einigermaßen exakt lösen lassen. Für niedrigere Energien – also dem normalen Zustand der Materie in unserer Umwelt – ist das nicht möglich. Deshalb muss die Physik bislang stark vereinfachende Lösungswege gehen. Der entscheidende Schritt dabei: Das Kontinuum wird in ein künstliches Gitter an Punkten zerlegt, für die ein leistungsfähiger Computer dann Näherungslösungen berechnen kann.

„Dieser Schritt der Diskretisierung ist aufwändig“, sagt Tilloy. Außerdem haben solche Vereinfachungen immer den Nachteil, dass sie durch das Aufteilen des Kontiuums in ein Gitter aus diskreten Punkten eine grundlegende Symmetrie der Natur brechen. Damit entfernen sie sich notgedrungen von den tatsächlichen physikalischen Eigenschaften. Die Methode der kontinuierlichen Tensor-Netzwerke könnte hier einen neuen Ansatz ins Spiel bringen. Vielleicht wird damit das Verhalten von Quarks und Gluonen bei niedrigen Energien eines Tages besser berechenbar. Noch ist das offen, aber die kontinuierlichen Tensor-Netzwerke bieten hier eine neue Chance.

[1] Neben der Veröffentlichung in Physical Review X wurde die Arbeit auch in einem Viewpoint des Online-News- und Kommentarmagazins Physics des APS Fachverlages diskutiert. Sie können den Artikel hier abrufen: https://physics.aps.org/articles/v12/59

(RW)

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