Autobahn für ultrakalte Atome in optischen Kristallen
LMU/MPQ-Physikern ist es erstmals gelungen, ein Analogon zum Meißner-Effekt in Leiter-ähnlichen optischen Gittern zu realisieren und Oberflächenströme zu messen.
Einer Gruppe von Wissenschaftler um Professor Immanuel Bloch (Ludwig-Maximilians Universität und Max-Planck-Institut für Quantenoptik) ist es nun in Zusammenarbeit mit der theoretischen Physikerin Dr. Belén Paredes vom Institut für theoretische Physik (IFT) in Madrid erstmals gelungen, einen ähnlichen Effekt mit ultrakalten Atomen in optischen Gittern zu simulieren. Das von ihnen realisierte System stellt das einfachst mögliche System dar, in dem ein solches Verhalten beobachtet werden kann, und bestätigt mehr als 20 Jahre alte theoretische Vorhersagen. Darüber hinaus konnten die Wissenschaftler den Phasenübergang von dieser Meißner-Phase zu einer sogenannten Vortexphase beobachten, in der die Oberflächenströme Wirbel bilden und das Feld daher nicht mehr vollständig aus dem Supraleiter „verdrängt“ werden kann. (Nature Physics, 2998 (2014)).
Supraleiter unterscheiden sich von herkömmlichen Leitern dahingehend, dass unterhalb einer bestimmten kritischen Temperatur ein Phasenübergang stattfindet und sie Strom verlustfrei leiten können. Hierfür sind extrem tiefe Temperaturen von typischerweise wenigen Kelvin nötig. Eine weitere erstaunliche Eigenschaft von Supraleitern ist der schon erwähnte Meißner-Ochsenfeld Effekt. Bringt man einen Supraleiter in ein externes Magnetfeld, verhindern Oberflächenströme ein Eindringen des Feldes ins Innere des Supraleiters. Die Stärke der Oberflächenströme skaliert daher mit der Stärke des angelegten Feldes. Eine vollständige Abschirmung ist allerdings nur bis zu einer maximalen kritischen Magnetfeldstärke möglich. Abhängig von ihrem Verhalten bei noch größeren Feldstärken unterscheidet man verschiedene Klassen von Supraleitern. Für einige von ihnen, den Supraleitern 2. Art, bilden sich sogenannte Vortex- oder Wirbelstrukturen in den Oberflächenströmen, welche ein vollständiges Verdrängen des Magnetfeldes aus dem Inneren des Supraleiters verhindern. Ein tieferes theoretisches Verständnis dieser Eigenschaften ist vor allem für die Materialwissenschaft von großer Bedeutung. Hierbei könnten kalte Atome in optischen Gittern helfen, da sie vergrößerte Modelle von Festkörperkristallen darstellen, welche experimentell sehr gut kontrollierbar sind. „Bisher war es jedoch nicht möglich, derartige Effekte mit kalten Atomen in optischen Gittern zu simulieren“, erklärt Marcos Atala, ein Wissenschaftler im Team um Professor Bloch.
In ihren Experimenten werden extrem kalte Rubidiumatome mithilfe von Laserstrahlen in einem Gitter angeordnet – einem sogenannten optischen Kristall. Die Atome befinden sich dabei abhängig von der Frequenz des verwendeten Lasers in den Intensitätsmaxima bzw. -minima von optischen Stehwellen. Die so erzeugte Gitterstruktur stellt ein ideales Modell eines Festkörperkristalls dar, in dem die Atome die Rolle der Elektronen spielen. Um das Verhalten der erwähnten Ströme messen zu können, haben die Wissenschaftler neue Messmethoden in Leiter-ähnlichen optischen Gittern entwickelt (Abb.1).
Elektronen in einem Festkörperkristall, der sich in einem externen Magnetfeld befindet, werden durch die sogenannte Lorentzkraft, die senkrecht zur Bewegungsrichtung wirkt, auf Kreisbahnen gezwungen. Atome in optischen Kristallen, wie sie in den Münchner Experimenten verwendet werden, sind dagegen elektrisch neutral und spüren daher keine Lorentzkraft. Um diese Limitierung zu umgehen, haben die Wissenschaftler eine Technik entwickelt, bei der sie den Effekt eines Magnetfeldes mit einer speziellen Laserstrahlenanordnung simulieren. Dabei gibt ein zusätzliches Strahlenpaar den Atomen einen „Kick“, wenn sie sich von einer Seite der optischen Leiter auf die andere bewegen. Bewegen sie sich in die entgegengesetzte Richtung, erfahren sie auch einen umgekehrten Impuls. Auf diese Weise ist es ihnen gelungen, künstliche Magnetfelder zu erzeugen, die einer Stärke von mehreren tausend Tesla entsprechen – einem Wert, der mit herkömmlichen Methoden im Labor nicht erreichbar ist.
In den optischen Leitersystemen treten, ähnlich wie bei einem Supraleiter, eine Meißner- und eine Vortexphase auf, in denen auf analoge Weise Ströme induziert werden. Ein wichtiger Unterschied ist allerdings, dass in diesem Fall die Ströme aufgrund der Ladungsneutralität der Atome kein Magnetfeld erzeugen, das dem angelegten Feld entgegenwirkt. Um den Übergang zwischen den beiden Phasen experimentell beobachten zu können, haben die Münchner Wissenschaftler eine neue Messmethode entwickelt, mit der sie die Ströme auf den beiden Seiten der Leiter unabhängig voneinander messen können. Diese Ströme erreichen ihr Maximum in der Meißner-Phase und nehmen in der Vortexphase aufgrund der Wirbelströme ab.
Diese Messung stellt einen wichtigen Schritt auf dem Weg zur Simulation von Festkörpern mithilfe ultrakalter Atome in optischen Gittern dar. Sie eröffnet vielfältige Möglichkeiten um Phänomene wie den integralen oder den fraktalen Quanten-Hall Effekt zu studieren, auch in Bereichen, in denen die Wechselwirkung zwischen Teilchen eine wichtige Rolle spielt. Darüber hinaus könnte das System mit einem Quantengas-Mikroskop kombiniert werden, das einzelne Atome im Gitter und somit die Wirbelstrukturen der Ströme sichtbar macht. „Diese neuen Messmethoden helfen uns, ein besseres Verständnis von Phasenübergängen und der Dynamik von Quantenmaterie unter dem Einfluss sehr starker Magnetfelder zu erhalten“, betont Prof. Immanuel Bloch.