Ultrakalte Atome jonglieren ihre Spins mit außergewöhnlicher Symmetrie
LMU/MPQ-Wissenschaftler weisen einen hochsymmetrischen Spin-Austausch zwischen Atomen in unterschiedlichen Orbitalen nach
Dies korrekt zu beschreiben ist meist der Schlüssel zum Verständnis der Materialeigenschaften. Materie mit komplexem kollektivem Verhalten, insbesondere solche, bei denen die Wechselwirkung der Elektronen auch deren Spins involviert, stellen dabei eine besondere theoretische und experimentelle Herausforderung dar. Seit einigen Jahren versucht man daher, das Verhalten von Ensembles von Elektronen in besonders gut kontrollierten Bedingungen nachzubilden, indem man ultrakalte Gase in künstlichen Gittern aus Licht als Modelle für kristalline Festkörper präpariert. Ein Team von Simon Fölling und Immanuel Bloch (Lehrstuhl für Experimentalphysik an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Direktor am Max-Planck-Institut für Quantenoptik) hat nun gezeigt, dass bestimmte Atome auch durch Austausch ihrer Spins wechselwirken können, auch wenn sie sich in verschiedenen „elektronischen Orbitalen“ befinden. Dieser Prozess war bisher nur bei Elektronen bekannt (Nature Physics, Advance Online Publication, 31. August 2014). Dazu präparierten die Wissenschaftler die Atome zunächst in verschiedenen Spin-Zuständen, um sie danach paarweise in Wechselwirkung zu bringen. Das Ergebnis wurde analysiert, und die damit verbundene Energiemenge bestimmt. Dabei konnten die Forscher nachweisen, dass der Spin-Austausch-Prozess bei Ytterbium-Atomen in einer besonders symmetrischen Weise stattfinden kann, welche bislang nur theoretisch vorher gesagt worden war und in der Natur nicht beobachtet werden konnte. Der experimentelle Nachweis ebnet den Weg, bislang unzugängliche Quantenphänomene experimentell zu untersuchen.
Elektronen in Festkörpern können generell in zwei Gruppen eingeteilt werden: in bewegliche und unbewegliche. Elektrische Leiter verfügen naturgemäß über viele bewegliche Elektronen, während einfache Isolatoren normalerweise nur unbewegliche besitzen. Doch die Angelegenheit wird weit interessanter, wenn die Elektronen zwischen beiden Klassen wechseln können, wie dies zum Beispiel bei Halbleitern der Fall ist, oder wenn unbewegliche mit beweglichen Elektronen in Wechselwirkung treten können, was in vielen magnetischen Stoffen vorkommt. Ob sich ein Elektron bewegen kann oder nicht, ist durch seine sogenannte Wellenfunktion vorgegeben, die man auch als Orbital bezeichnet. Ein Elektron kann normalerweise durch Angabe von Spin, Orbital und Position vollständig beschrieben werden. Der Spin, welcher nur in der quantenmechanischen Beschreibung existiert, entspricht dabei grob einer dem Teilchen eigenen Rotation um die eigene Achse.
In einfachen Materialien wie den meisten Isolatoren und metallischen Leitern hat der Spin nur einen geringen Einfluss auf deren Werkstoffeigenschaften. Bei anderen Stoffen wie Magneten und Supraleitern spielt er dagegen eine entscheidende Rolle. Während man einige Effekte sehr gut versteht, sind doch viele Phänomene bislang nicht vollständig geklärt. Speziell für solche Fälle, in denen bewegliche und unbewegliche Elektronen gleichzeitig vorhanden sind und interagieren, gab es zwar in den frühen 60er Jahren große Erfolge durch die Theorien von Philip Anderson und Jun Kondo, doch viele Systeme sind noch immer nicht wirklich verstanden.
Ein relativ junger Ansatz, komplexe Materialien zu verstehen, ist die sogenannte Quantensimulation des Vielteilchensystems, welches von den Elektronen gebildet wird. Dazu können die Kristallstrukturen von Materie mit Laserstrahlen nachgebaut werden, und ultrakalte Atome übernehmen die Rolle der Elektronen darin. Die muss so geschehen, dass die Wechselwirkung zwischen den Atomen diejenige zwischen den Elektronen in allen wichtigen Eigenschaften korrekt nachbildet. Um dies zu erreichen und nachzuweisen, präparierten Francesco Scazza und Kollegen ein extrem kaltes Ensemble aus fermionischen Ytterbium-Atomen so, dass sie sich als voneinander isolierte Paare aus jeweils zwei Atomen in dem Lichtgitter anordneten. Für Ytterbium-Atome, die zu den Seltenen Erden zählen, sagte die Theorie vorher, dass aufgrund ihrer spezifischen internen Struktur die Wechselwirkung zwischen beweglichen und unbeweglichen Teilchen analog zu jener zwischen Elektronen unterschiedlicher Orbitale stattfindet. Dabei handelt es sich um einen Vorgang, bei dem zwei Atome bei Kontakt ihre Spin-Eigenschaften austauschen (wobei sie ihre ursprünglichen Orbitale beibehalten) und zusätzlich aneinander abgelenkt werden (siehe Abb. 1). Dieses Verhalten wurde von dem japanischen Physiker Jun Kondo als Erklärung für die extrem starken Unterschiede in der Leitfähigkeit von Metallen vorgeschlagen. Derselbe Vorgang wird auch mit Phänomenen wie dem Auftreten „Schwerer“ Elektronen oder dem Herausbilden bestimmter Formen von Supraleitung und magnetischer Ordnung in Materialien in Verbindung gebracht. Das Modell ist auch wichtig für den noch immer rätselhaften Effekt des „kolossalen magnetischen Widerstands“, welcher trotz seines nicht völlig verstandenen Mechanismus in Hinblick auf seine mögliche Nutzung für neuartige elektronische und „spintronische“ Geräte große Aufmerksamkeit erfährt.
Wenn Ytterbium-Atome in die Rolle der Elektronen schlüpfen, ist es der Spin ihres Kerns, der dem Spin des Elektrons entspricht. Da Atome und ihre Kerne weit komplexer aufgebaut sind als ein einzelnes Elektron, hat der Ytterbium-Spin mehr Orientierungsmöglichkeiten. So kann der Spin eines Elektrons nur in zwei Richtungen weisen, das Ytterbium-Atom kann sich dagegen eine von bis zu sechs möglichen Spin-Einstellungen aussuchen. Bei den meisten anderen Elementen sind diese Spin-Zustände nicht gleichwertig, und daher könnten nur zwei der Zustände gleichzeitig auftreten ohne dass die fundamentale „Spin-Symmetrie“ gebrochen wird, die in diesem Fall eine sogenannte SU(2)-Symmetrie ist. Ytterbium aber gehört zu einer kleinen Gruppe von Elementen, bei denen diese Symmetrie auch für mehr als zwei Komponenten vorhergesagt wurde. Mit Ytterbium-Atomen lassen sich daher Vielteilchensysteme einer erweiterten SU(N)-Symmetrie verwirklichen. „Diese Aussicht ist besonders interessant, denn wir erwarten für solche Systeme, die es in der Natur nicht gibt, sehr ungewöhnliche und schwer vorhersagbare Eigenschaften, wie etwa exotisches Ordnungsverhalten“, erklärt Francesco Scazza, Doktorand am Experiment. „Vor unseren Messungen war nicht klar, ob eine solche Symmetrie nicht durch zusätzliche Orbitale oder den Spin-Austausch zwischen Atomen gebrochen werden kann.“
Die isolierten Atom-Paare wurden im Experiment mit Laserlicht bestrahlt, dessen Frequenz auf 12 Dezimalstellen genau kontrolliert werden musste. Aufgrund dieser extrem hohen Stabilität der Laser und der Verwendung spezieller, auf den Spin empfindlichen Präparations- und Nachweismethoden waren die Münchner Physiker in der Lage, die Spin-Austausch-Wechselwirkung quantitativ zu bestimmen, verschiedene Spin-Kombinationen unabhängig voneinander zu analysieren und die spezifische sechsfache Spin-Symmetrie nachzuweisen (Abbildung 2). Darüber hinaus gelang es Scazza und seinen Kollegen, die Spin-Austausch-Prozesse in Echtzeit zu beobachten, indem sie die zeitliche Entwicklung der Populationen der verschiedenen Spin-Zustände bestimmten.
Die Experimente sind ein großer Fortschritt für die Simulation von Materialien aus stark korrelierten Elektronen mit Hilfe ultrakalter Atome. Sie bieten verschiedene Wege für die Beobachtung von komplexen und sogar vollständig neuartigen Materiephasen an, von magnetischen bis zu „Schwere Fermionen“-Materialien, und von Spin-Flüssigkeiten bis zu exotischen Magneten mit Ordnungen höherer Symmetrie.