Der heilige Gral der Algorithmen
Mari Carmen Bañuls ist Physikerin und Computerwissenschaftlerin. Ihre wissenschaftliche Karriere begann in der Teilchenphysik. Am Max-Planck-Institut für Quantenoptik entwickelt sie nun Algorithmen für Quantensimulationen.
Mari Carmen Bañuls ist Physikerin und Computerwissenschaftlerin. Ihre Karriere begann im spanischen Valencia mit der Faszination für Teilchenphysik, führte sie zur Computerwissenschaft und schließlich zum Max-Planck-Institut für Quantenoptik. Hier ist heute sie Gruppenleiterin in der Abteilung "Theorie" und forscht an der Entwicklung von Algorithmen zur Simulation komplexer Quantensysteme. Angetrieben von Neugier und Offenheit betont Bañuls die Bedeutung von Teamarbeit und den Austausch innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft. Um diese voranzubringen, engagiert sie sich sowohl als Mentorin für Promovierende als auch als auch für das Institut als Ganzes.
Mari Carmen Bañuls ist ein bescheidener Mensch. Ihr im Gespräch eine Unbescheidenheit zu entlocken ist nahezu ein Ding der Unmöglichkeit. Nehmen wir beispielsweise die Sache mit dem dem "Orden del Merito Civil". 2015 hat König Juan Felipe von Spanien diesen Orden 38 spanischen Bürgerinnen und Bürgern verliehen als Auszeichnung für ihre Verdienste um die spanische Nation. Eine der Geehrten war die Physikerin und Computerwissenschaftlerin Bañuls.
Spricht man sie auf die Gründe für die Ordensverleihung an, findet sie einige: Der König wollte anlässlich seines einjährigen Thronjubiläums Bürgernähe demonstrieren. Deshalb hat er nicht nur bekannte Persönlichkeiten, sondern auch ganz normale, unbekannte Menschen ausgezeichnet. Es sollte jemand dabei sein, den seine Arbeit ins Ausland geführt hat. Wenn man Bañuls entgegenhält, ihre ausgezeichnete, in aller Welt respektierte Wissenschaft habe doch sicherlich auch eine Rolle gespielt, lacht sie - bestätigen tut sie das aber nicht.
Seit 19 Jahren forscht Mari Carmen Bañuls am Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching. Hier ist sie Gruppenleiterin in der Abteilung "Theorie" von Ignacio Cirac. Ihre Liebe zur Physik hat Bañuls schon in der Schule entdeckt und sich deshalb für ein Studium dieser Disziplin in ihrer Heimatstadt Valencia entschieden. Teilchenphysik war zunächst ihr Schwerpunkt: "Die Vorlesungen der Professoren zu diesem Thema haben mich einfach begeistert", sagt sie, "und als junger Mensch macht man oft das, wofür einen Lehrer begeistern."
Von der Teilchenphysik zur Quantenphysik
Schon damals wie auch heute hat sie ein Phänomen besonders fasziniert: Die Quantenverschränkung, also die unmittelbare Einwirkung von Quanten aufeinander, selbst wenn sie räumlich voneinander entfernt sind. "Diese Beziehung zwischen den Teilen eines Quantensystems sind völlig kontraintuitiv", sagt Bañuls, "sie haben aber real dramatische Auswirkungen auf die Ergebnisse lokaler Experimente." Dieses Phänomen ist eine der Ursachen, warum Quantensysteme unglaublich komplex sind. So komplex, dass sie mit existierenden Methoden nur in Ausschnitten verständlich werden. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler forschen deshalb fieberhaft an neuen Algorithmen, mit denen sich Quantensysteme halbwegs realistisch simulieren lassen. Achtung Spoiler: Am Max-Planck-Institut in Garching arbeitet Mari Carmen Bañuls daran, solche Algorithmen zu entwickeln. Bis dahin war es aber ein 30 Jahre andauernder Weg. Auf ihm konnte sie vielfach ihre Neugierde und ihre Fähigkeit unter Beweis stellen, sich auf höchstem Niveau in völlig neue Fachgebiete einzuarbeiten.
Um das zu verstehen, gehen wir zunächst zurück an Bañuls Studienort Valencia. Teilchenphysik schien der frisch Promovierten im Jahr 2000 nicht das ideale Feld für ihre weitere wissenschaftliche Entwicklung: zu etabliert, zu wenige freie Stellen. Zusammen mit Gleichgesinnten fand sie sich in einer kleinen Studiengruppe wieder, die spannende Themen der Physik und angrenzender Bereiche diskutierte: "Ich hatte den Wunsch, näher an der Anwendung zu arbeiten", sagt Bañuls: "Und da ich mich schon immer für Computer und Programmierung interessiert habe, bin ich in die Computerwissenschaften eingestiegen." Das klingt jetzt fast nach Hobby, und viel Freizeit hat Bañuls dafür auch - gerne - geopfert. Am Ende dieser Phase stand 2006 dann ihr zweiter Doktortitel.
Tensornetzwerke: komplexe Systeme in kleinen Ausschnitten simulieren
Mit beidem - Teilchenphysik und Computerwissenschaften - hatte die Spanierin nun alles Wissen und alle Techniken zusammen, um sich auf die Suche nach ihrem persönlichen heiligen Gral zu machen: einem Algorithmus, mit dem sich komplexe Quantensysteme besser als bisher simulieren lassen. Das Werkzeug, das sie zu diesem Zweck immer weiter entwickelt und optimiert, sind so genannte Tensornetzwerke. Tensornetzwerke sind eine mathematische Methode, mit der sich bestimmte Aspekte oder Zustände komplexer Systeme aus der Gesamtheit aller möglichen Zustände herausgreifen lassen, um sie dann exemplarisch für das ganze System besser zu beschreiben, zu simulieren und zu verstehen.
Für den Laien mag es überraschend klingen, dass Bañuls Tensornetzwerke als etwas Anwendungsnahes betrachtet, näher an der Anwendung als beispielsweise Teilchenphysik. Aber die 50-jährige kann es gut verständlich machen: Als Beispiel nennt sie Hochtemperatur-Supraleiter. Normale Supraleiter leiten Strom verlustfrei ausschließlich bei Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt von minus 273°C. Hochtemperatur-Supraleiter benötigen "nur" etwa minus 140°C, um Supraleitfähigkeit zu zeigen. "Bei Supraleitern verstehen wir dank theoretischer Modelle und konventioneller Simulationen ziemlich gut, was in ihrem Inneren geschieht, und wie sich die Elektronen verhalten", sagt Bañuls: "Bei Hochtemperatur-Supraleitern sind die Verhältnisse zu komplex. Dafür brauchen wir neue Methoden."
Den Geheimnissen der Quantensysteme auf der Spur
Tensornetzwerke ermöglichen es nun, exakt definierte Zustände der Elektronensysteme zu betrachten und bestimmte Fragestellungen in Bezug auf diese Zustände zu beantworten. So kommen Physikerinnen und Physiker den Geheimnissen der Hochtemperatur-Supraleitung ein Stück näher. Ähnliches gilt für Quantensysteme, wie sie Quantencomputern zugrunde liegen. Mit Tensornetzwerken können Forscherinnen wie Bañuls "einzelne Familien von Zuständen der Qubits betrachten", wie sie sagt. Die Gruppenleiterin aus der Abteilung Theorie interessiert dabei besonders die zeitliche Dynamik, in der sich diese Zustände weiterentwickeln - und damit letztlich die Rechenleistung und die Rechenergebnisse von Quantencomputern mitbestimmen.
Anwendungsbezogenheit heißt bei Mari Carmen Bañuls also nicht, dass sie ein physikalisches Phänomen untersucht, um es für eine konkrete technische Lösung nutzbar zu machen. Ihre Arbeit ist und bleibt theoretisch. Allerdings entwickelt sie Theorien wie die zu Tensornetzwerken systematisch weiter, um sich mit Fragen zu beschäftigen, die für den technischen Einsatz komplexer Systeme gelöst sein müssen. Das wissen ihre Kolleginnen und Kollegen am Max-Planck-Institut und in einer großen wissenschaftlichen Gemeinschaft außerhalb des Instituts zu schätzen. "Ich arbeite mit vielen Gruppen zusammen, die mit den ihren Standardmethoden nicht weiterkommen", sagt sie. Tensornetzwerke sind dann oft ein neuer Ansatz, mit dem die Probleme auf eine andere Art doch noch gelöst werden können.
Einsatz für die wissenschaftliche Community und für das Team
Wenn man Bañuls zuhört, bekommt man den Eindruck, dass sie sich mehr als Mitglied einer großen wissenschaftlichen Gruppe denn als Gruppenleiterin sieht. So ist sie beispielsweise auch Ombudsperson im Institut, also die Anlaufstelle, an die sich Menschen vertrauensvoll wenden können, wenn sie Verstöße gegen die gute wissenschaftliche Praxis vermuten. Bañuls begründet ihr Engagement mit der Überzeugung, dass "man dem Institut auch etwas zurückgeben muss."
Bei allem Einsatz für die Gemeinschaft ist ihr auch ihr direktes Team sehr wichtig: "Studierende, die in der Abteilung "Theorie" promovieren wollen, finden bei uns eine gute Atmosphäre. Für mich ist es wichtig, dass sie offen für neue Herausforderungen sind und den Austausch mit anderen Wissenschaftlern mögen. Dann macht die Arbeit hier sehr viel Spaß." In Bañuls Gruppe arbeiten zumeist vier bis fünf Doktoranden. Auch sie sind nach ihrer wissenschaftlichen Ausbildung geschätzte Expertinnen und Experten für komplexe Systeme. Beispielsweise in Start-ups wie der Ausgründung aus dem Max-Planck-Institut für Quantenoptik "planqc", das an der Entwicklung von Quantencomputern arbeitet: "Die Kollegen stellen gern unsere ehemaligen Doktoranden ein", freut sich Bañuls. Ein sicherer Beleg dafür, dass die Spanierin sehr abstrakte Theorie für die anwendungsnahe Praxis betreibt.