Oriana Diessel: Polaronen und Phasenübergänge in Licht-Materie-Systemen
Die Theoretikerin zeigte, wie sich die Wechselwirkungen von Polaronen gezielt kontrollieren lassen und welche neuen Phasenübergänge es in Licht-Materie-Systemen gibt.
Oriana Diessel promovierte in der unabhängigen Forschungsgruppe von Richard Schmidt. Ihre theoretische Arbeit befasst sich mit Quanten-Vielteilchensystemen – komplexen Systemen, die aus einer großen Anzahl wechselwirkender Teilchen bestehen und den Gesetzen der Quantenmechanik unterliegen. Zwei Besonderheiten der Vielteilchen-Systeme untersuchte die Physikerin näher: sogenannte „Polaronen“ und bisher unbekannte Phasenübergänge in Licht-Materie-Systemen. Oriana Diessel entwickelte in ihrer Arbeit Modelle, die die zwei Phänomene theoretisch beschreiben und damit einen weiteren Baustein für unser Verständnis der Vielteilchentheorie liefern.
Viele Phänomene, die in Quanten-Vielteilchensystemen auftreten, sind wissenschaftlich noch nicht vollständig geklärt. Dazu zählen auch die sogenannten Polaronen, mit denen sich Oriana Diessel im ersten Teil ihrer Promotionsarbeit auseinandersetzte: Polaronen sind Quasiteilchen, die man auch als „mobile Störstellen“ beschreiben kann. Mobile Störstellen können ganz unterschiedlich aussehen – in einem Gas bestehend aus Lithium-Atomen stellt beispielsweise ein einzelnes Kalium-Atom eine solche Störstelle dar. Ein Polaron entsteht, wenn die Störstelle mit dem sie umgebenden Gas wechselwirkt.
Die Theoretikerin beschäftigte sich insbesondere mit der Frage, inwiefern sich die Polaronendichte auf andere messbare Größen – wie z.B. Energie, Spin oder Ladung – auswirkt und wie einzelne Störstellen untereinander wechselwirken. Um diesen Fragen nachzugehen, arbeitete Oriana Diessel eng mit experimentellen Gruppen im Bereich der ultrakalten Atome und Festkörper zusammen. Im Rahmen einer solchen Theorie-Experiment-Kollaboration fanden Oriana und ihre Kolleg:innen heraus, dass sich die Wechselwirkung zwischen Polaronen in zweidimensionalen Halbleitermaterialien – sogenannte „Transition Metal Dichalcogenides“ (TMDs) – sowohl in ihrer Stärke als auch in ihrem Vorzeichen verändern lässt: Polaronen, die eigentlich repulsiv miteinander wechselwirken, fangen an, sich anzuziehen, wenn man ihre Dichte erhöht. Über die Dichte der Badteilchen – also die Störstellen umgebenden Teilchen – lassen sich demnach auch ihre Wechselwirkungen gezielt kontrollieren.
Der zweite Teil von Oriana Diessels Arbeit beschäftigt sich mit Phasenübergängen in Licht-Materie-Systemen, die teilweise ungewöhnliche Eigenschaften aufweisen. Unter anderem bewirken die Photonen nämlich, dass die Wechselwirkung zwischen den Materieteilchen eine lange Reichweite aufweist. Außerdem befinden sich Licht-Materie-Systeme auf natürliche Weise in einem sogenannten „Nichtgleichgewicht“ – d.h. es findet eine kontinuierliche Wechselwirkung mit der Umgebung statt – da Photonen nur eine kurze Lebenszeit haben und laufend in das System gepumpt werden müssen. Klassische Theoreme, nach denen die Teilchen nur mit ihren nächsten Nachbarn wechselwirken, sind in diesem Fall nicht mehr anwendbar. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass man bisher unbekannte Phasenübergänge postulieren muss, die sich stark von den Phasen in Standardsystemen unterscheiden. Oriana Diessel klassifizierte diese Phasen und identifizierte neue Systeme, in denen man diese sichtbar machen kann.
An ihre Zeit am MPQ erinnert Oriana Diessel sich gerne zurück: „Während meines PhDs hatte ich die Möglichkeit mit vielen außergewöhnlichen Wissenschaftler:innen zusammenzuarbeiten“, erzählt sie, „ und besonders dankbar bin ich für die gute Balance zwischen Betreuung und Kollaboration innerhalb der Arbeitsgruppe und der Freiheit, eigenständig zu arbeiten und zu forschen.“ Die Teilnahme an internationalen Konferenzen bleiben Oriana Diessel ebenso positiv im Gedächtnis wie ein Forschungsaufenthalt an der Universität Berkeley, der ihr durch die IMPRS ermöglicht wurde. „Das MPQ bietet ein tolles Forschungsumfeld und die Theoriegruppe zeichnet sich durch einen guten Zusammenhalt aus, dazu tragen die regelmäßigen Gruppenausflüge und sozialen Events maßgeblich bei“, fügt die Theoretikerin hinzu.
What’s next?
Als Empfängerin des unabhängigen ITAMP Postdoctoral Fellowship wechselte Oriana im Oktober 2023 an die Harvard University und das Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics in Cambridge, USA.