Vitaly Wirthl: Auf der Suche nach „neuer Physik“ im Deuterium
Der Wissenschaftler aus der Abteilung für Laserspektroskopie hat einen Energieübergang im schweren Wasserstoff so präzise wie nie zuvor gemessen.
Vitaly Wirthl untersuchte in seinem Dissertationsprojekt einen bisher nicht erforschten elektronischen Übergang in schwerem Wasserstoff, auch Deuterium genannt. Der Experimentalphysiker zeigte dabei, dass sich die Übergänge zwischen den verschiedenen Energieniveaus im Deuterium mit ähnlicher Sicherheit messen lassen wie im gewöhnlichen Wasserstoffatom. Ultrapräzise Messungen von Atomen ermöglichen einen direkten Vergleich mit der Theorie der Quantenelektrodynamik – notwendig für die genaue Bestimmung der Naturkonstanten, aber auch zur Überprüfung der Theorie. Denn Diskrepanzen zwischen Theorie und Experiment können Hinweise auf „neue Physik“ geben, die möglicherweise mit der bisher wenig bekannten Dunklen Materie oder Dunklen Energie zusammenhängt.
Unser Naturverständnis ist unvollständig: Nur über etwa fünf Prozent des Universums – nämlich die sichtbare Materie, also Protonen, Neutronen und Elektronen – können wir sichere Aussagen treffen. Woraus der Rest, die sogenannte „Dunkle Materie“ und „Dunkle Energie“ bestehen, ist bislang unklar. Wissenschaftler vermuten deshalb, dass es eine sogenannte „neue Physik“ gibt, die entweder bislang unbekannte Teilchen beschreibt oder aber bekannte Naturgesetze modifiziert, so dass diese in Einklang mit den Beobachtungen gebracht werden können. Und hier kommt die Präzisionsspektroskopie ins Spiel: Denn ultragenaue Messungen von Atomen lassen sich mit der dahinterstehenden Theorie der Quantenelektrodynamik (QED) vergleichen, die die Grundlage für unsere heutige fundamentale Physik bildet. Einerseits lassen sich so die Naturkonstanten messen, die als Parameter in die Theorie eingehen. Wenn genügend viele Messungen vorliegen, lässt sich andererseits auch die Theorie selbst testen bzw. überprüfen. Weichen nämlich die Messungen von den theoretischen Rechnungen ab, können Forscher aus diesen Diskrepanzen möglicherweise neue Erkenntnisse über unsere Naturgesetze ableiten.
Für Präzisionsmessungen bieten sich insbesondere wasserstoffähnliche Systeme an, da der einfache Aufbau dieser Atome zuverlässige Rechnungen erlaubt. Vitaly Wirthl beschäftigte sich in seiner Arbeit mit dem schweren Wasserstoffatom, dem sogenannten Deuterium. Das atomare Deuterium besitzt im Gegensatz zu gewöhnlichem Wasserstoff einen zusammengesetzten Kern. Aufgrund der Hyperfeinstruktur, die von der Kopplung der Drehmomente des Kerns und des Elektrons entsteht, ist die Struktur der Energieniveaus komplexer als im gewöhnlichen Wasserstoff. Der Wissenschaftler konnte jedoch belegen, dass der 2S-6P-Übergang im Deuterium – einer von mehreren elektronischen Übergängen, die noch nie präzise gemessen wurden – sich genauso sicher messen lässt wie im einfachen Wasserstoff, d.h. mit einer Genauigkeit von zwölf Dezimalstellen.
Um eine Messung dieser Präzision zu ermöglichen, entwickelte der Forscher eine Technik, um die sogenannte Doppler-Verschiebung zu unterdrücken. Hauptelement des Systems ist der aktive faserbasierte Retroreflektor (AFR), der auch bei Messungen von einfachem Wasserstoff zum Einsatz kommt. Durch eine Verbesserung des Faserkollimators, der für die Erzeugung von hochwertigen gegenläufigen Laserstrahlen verantwortlich ist, ließ sich der 2S-6P-Übergang im Deuterium erstmals genau messen. Vitaly Wirthls Arbeit bietet damit eine wichtige Grundlage für zukünftige Präzisionsmessungen, um die QED-Theorie im Deuterium mit einer Genauigkeit von zwölf Dezimalstellen zu testen – und dabei möglicherweise auch in der Suche nach „neuer Physik“ ein Stück weiter zu kommen.
„Selbst in Harvard hat man so einen Service normalerweise nicht.“
What’s next?
Vitaly Wirthl führt seine Arbeit in der Abteilung für Laserspektroskopie als Postdoktorand weiter fort. „Präzisionsexperimente dauern in der Regel länger als eine Doktorandenzeit, und ich schätze die hervorragende wissenschaftliche Atmosphäre hier am MPQ sehr,“ erklärt Vitaly. Dankbar und beeindruckt zeigt er sich auch von der Unterstützung durch die Feinmechaniker und Techniker, die den Wissenschaftler:innen viel Arbeit abnehmen: „Selbst in Harvard hat man so einen Service normalerweise nicht. Dort muss man meistens in der Werkstatt jedes noch so kleine Ding selbst bauen.“