Das Unvorstellbare kontrollieren
München, Cambridge, Berkeley, Garching: Johannes Zeiher bricht gern zu neuen Ufern auf - auch akademischen. Sein Ziel: Einzelne Atome so zu kontrollieren, dass sie in Quantencomputern komplexe Probleme ausrechnen oder simulieren können.
Der Quantenphysiker Johannes Zeiher ist 2020 von der kalifornischen Berkeley University nach Garching zurückgekehrt. Am Max-Planck-Institut für Quantenoptik leitet er seitdem eine eigene Forschungsgruppe. Mit seinem Team untersucht er unter anderem, wie man einzelne Atome mit Hilfe von hochpräzisen Laserstrahlen kontrollieren kann. Das Wissen dazu ist nötig, um neuartige, praxistaugliche Quantencomputer zu entwickeln. Damit dieses revolutionäre Konzept Wirklichkeit werden kann, hat Johannes Zeiher gemeinsam mit Kollegen planqc gegründet - ein Start-up, das bereits jetzt mit einem Preis ausgezeichnet wurde.
Johannes Zeiher liebt es, Dinge zu untersuchen, von denen die meisten Menschen noch nicht einmal eine vage Vorstellung haben: Quantensysteme. 2008 kam Johannes Zeiher während seines Bachelor-Studiengangs in Physik als studentische Hilfskraft ans Max-Planck-Institut für Quantenoptik, kurz MPQ. Anfangs war sein Thema noch die Laserchemie: “In der Laserchemie haben wir damals die Eigenschaften von Molekülen in verschiedenen Flüssigkeiten untersucht”, sagt der Quantenphysiker: “Da drin ging es ziemlich chaotisch zu.” Johannes Zeiher aber möchte genau verstehen, wie sich Atome als Bestandteile kleinster Systeme, eben der Quantensysteme, verhalten: “Mich fasziniert es, zu erforschen, wie wir über einzelne Atome Kontrolle gewinnen können, wie wir Quantensysteme Atom für Atom aufbauen und ihre Natur von Grund auf verstehen können” Das ist kein Spleen, sondern hat auch praktische Relevanz für die Entwicklung von neuen Technologien wie Quantencomputern.
Als Leiter der Forschungsgruppe “Schnittstellen für Quantenmaterie” am MPQ kann sich Johannes Zeiher seit 2022 diesem Thema voll und ganz widmen. Zuvor hat er – neben dem MPQ – an verschiedenen wissenschaftlichen Elite-Einrichtungen studiert und geforscht: Ludwig-Maximilians-Universität, Cambridge und Berkeley. Entscheidend für seine akademische Laufbahn war 2010 der Wechsel in die Abteilung “Quantum Many-Body Systems” von Immanuel Bloch - zu der Zeihers Forschungsgruppe auch heute gehört. Immanuel Bloch gehört zu seinen wichtigsten Mentoren: “Bei Immanuel habe ich die Welt der Quantenphysik betreten, und er hat mich von Anfang an stark unterstützt”, sagt Johannes Zeiher: “Und das macht er auch heute noch, sowohl in der Grundlagenforschung als auch bei deren Überführung in die praktische Anwendung.”
Zeihers Themen: Supraflüssigkeiten und Bose-Einstein-Kondensate
Aber der Reihe nach. Versuchen wir erstmal, ein wenig in Johannes Zeihers Grundlagenforschung einzutauchen, bevor wir die Aspekte der Anwendung beleuchten. Im Fokus seines Interesses sind zum Beispiel Supraflüssigkeiten oder so genannte Bose-Einstein-Kondensate – makroskopische Materiewellen, die sich unserer Intuition nahezu vollständig entziehen. Johannes Zeiher versteht es trotzdem, sie auch dem Laien verständlich zu machen. Der Trick bei der Sache sind sehr tiefe Temperaturen, so richtig, richtig tief.
Im Weltall herrscht eine Temperatur von 2,7 Kelvin oder knapp -270,5 Grad Celsius. Für Johannes Zeihers Experimente ist das immer noch höllisch heiß. Er braucht es viel kälter. Näher dran an null Kelvin, dem absoluten Temperatur-Nullpunkt. Bei null Kelvin hören Atome auf, sich zu bewegen. Wissenschaftler wie Zeiher können sie dann einzeln beobachten, in Gruppen zusammensetzen - und Quantensysteme daraus bauen.
Eine Ultra-Gefriermaschine brauchen die Physiker nicht, um knapp an den absoluten Nullpunkt zu kommen. Sie benutzen stattdessen hochpräzise Laserstrahlen zur Kühlung von Atomen. Bei diesem Verfahren wirkt das Laserlicht in entgegengesetzter Richtung zur Bewegungsrichtung der Atome - und bremst diese fast bis zur Bewegungslosigkeit ab. Ein bewegungsloses Atom befände sich am absoluten Temperatur-Nullpunkt – auch wenn in der Nachbarschaft Raumtemperatur herrscht. Anschließend kommen wiederum Laser zum Einsatz, um die nahezu bewegungslosen Teilchen in Lichtfallen zu fangen. Mit den Lichtfallen kann Johannes Zeihers Team sowohl einzelne Atome untersuchen, als auch ganze Gruppen. Für sie bestehen Gruppen von Atomen aus Millionen von Atomen – die sich unter anderem in die erwähnten Bose-Einstein-Kondensate überführen lassen. “In den Lichtfallen können wir grundlegende Eigenschaften und Verhaltensmuster im Zusammenspiel der Atome untersuchen”, erklärt Johannes Zeiher, “die auch praktisch relevanten Anwendungen wie der Supraleitung zugrunde liegen.”
Quantenbits im Griff behalten
Aus einzelnen Atomen können Physiker wie Johannes Zeiher auch Quantencomputer bauen. Während in einem herkömmlichen Computer zum Beispiel magnetische Zustände der Materie für die Informationsspeicherung genutzt werden, sind es in Quantencomputern – der Name verrät es bereits –- Quantenzustände. Der Unterschied: Die grundlegende Speichereinheit in heutigen Computern, das Bit, kennt zwei Zustände: Null oder Eins. In Quantenbits oder Qubits sind ebenfalls Null oder Eins denkbar - und beliebige Überlagerungszustände dazwischen.
Außerdem beeinflussen die Qubits sich gegenseitig, was schon für kleine Anzahlen von Qubits zu einer enormen Anzahl möglicher Quantenzustände führt. Die Leistungsfähigkeit solcher Maschinen kann daher im Vergleich zu den jetzt im Einsatz befindlichen klassischen Rechnern nahezu unvorstellbar stark ansteigen.
Allerdings hat die Sache einen Haken: Die Quantenbits zu kontrollieren ist ungleich schwieriger als die Bits im Griff zu behalten, die auf Magnetismus beruhen. Womit wir wieder bei Johannes Zeihers Forschung und seiner Freude an komplexen Systemen sind: Er strebt danach, die Kontrolle über die Quantenzustände zu gewinnen - genauso wie viele andere Forscherinnen und Forscher, die sich auf dem extrem schnell voranschreitenden Feld weltweit tummeln.
German Start-up Award für planqc
Trotzdem ist Johannes Zeiher nicht einer unter vielen. Der Beweis: Gemeinsam mit drei Forscherkollegen, Sebastian Blatt, Alexander Glätzle und Lukas Reichsöllner, hat Johannes Zeiher die Firma planqc gegründet. Das Spin-off aus dem MPQ arbeitet ganz konkret an der Entwicklung neuartiger Quantencomputer. Die Sache scheint vielversprechend und CEO Alex Glätzle konnte Finanziers schon von der Idee überzeugen: 4,6 Millionen Euro haben sie in planqc investiert, eine Summe also, die niemand mal eben so für Nonsens ausgibt. Kürzlich hat planqc dazu noch einen 29 Millionen Euro schweren Auftrag vom Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrum (DLR) gewonnen, um den ersten digitalen Quantencomputer in Europa auf Basis von Neutralatomen, also nicht ionisierten Atomen, zu bauen. Für diesen Erfolg ist Alexander Glätzle – und damit eigentlich das ganze Team - als Newcomer des Jahres mit dem German Startup Award ausgezeichnet.
Die Vision von planqc ist der Bau von Quantencomputern basierend auf neutralen Atomen, die durch sehr präzise Laser kontrolliert werden. Die Ungenauigkeiten, die derzeit beim Einsatz der Qubits noch auftreten, sollen sich durch die geplanten Entwicklungen deutlich reduzieren. Wenn die Idee praxisreif ist, kann sie enorme Umwälzungen beispielsweise bei industriellen Entwicklungsarbeiten bedeuten.
Für Johannes Zeiher ist die Gründung von planqc ein logischer nächster Schritt seiner Forschungsaktivitäten. Dabei spielt auch das Umfeld eine entscheidende Rolle, wie er sagt: “Hier im Munich Quantum Valley finden wir für Forschung und für die Gründung einer Firma ideale Voraussetzungen.” So konnte sich planqc schnell entwickeln. Gegründet haben Zeiher, Glätzle, Blatt und Reichsöllner planqc im April 2022 – genau zu dem Zeitpunkt als Johannes Zeiher Vater wurde: “Bei der Geburt meines Sohnes war ich selbstverständlich dabei”, sagt er: “Aber als ich wegen der Gründung von planqc einige Tage später zum Notar wollte, musste ich bei meiner Frau schon ein bisschen betteln.”
Erforschen, was wirklich faszinierend ist
Mittlerweile hat planqc über 15 Mitarbeitende und plant den Umzug in größere Räume. Zukünftiger Standort wird ein ehemaliger Baumarkt in Garching sein. Dort findet sich auch genug Platz für weitere junge Unternehmen, wie Johannes Zeiher sagt: “Für uns ist es wichtig, in einem Umfeld zu arbeiten, wo gegenseitiger Austausch möglich ist. Das ist die Voraussetzung für gute neue Ideen.”
Vom Gedankenaustausch hat Johannes Zeiher während seiner ganzen akademischen Karriere profitiert und ist dadurch immer wieder zu neuen Ufern aufgebrochen: “Es ist extrem wichtig, dass man nicht auf eingetretenen Pfaden weiterläuft.” Sein Ratschlag an junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die so wie Johannes Zeiher etwas bewirken wollen: “Widmet euch Forschungsthemen, die euch wirklich faszinieren. Ein Leben in der Wissenschaft gleicht einem Marathonlauf. Da gibt es Höhen und Tiefen, und man hält nur durch, wenn man von einer Sache richtig, richtig überzeugt ist.” So wie Johannes Zeiher, der von seinem Wunsch durchdrungen ist, das – nahezu – Unvorstellbare zu kontrollieren.