Alternative Quantenchemie: Analoge Quantensimulation von Pseudomolekülen

Theoretiker entwickeln ein vereinfachtes experimentelles Konzept, das die ersten Quantensimulationen von chemischen Prozessen ermöglichen könnte.

Die Simulation quantenchemischer Prozesse verspricht viele Fortschritte, zum Beispiel die Entdeckung neuer Reaktionswege, synthetischer Stoffe, oder Medikamente. Aber sie ist eine Herkulesaufgabe, an der bekannte Methoden bis dato scheitern. Für klassische Supercomputer sind die Moleküle zu komplex, für Quantensimulationen mit kalten Atomen die technologischen Hürden noch zu hoch. In einer neuen Arbeit haben Theoretiker am Max-Planck-Institut für Quantenoptik (MPQ) deshalb nun eine vereinfachte Methode entwickelt, die derartige Simulationen in greifbarere Nähe rückt – allerdings zu einem Preis: die simulierten Modelle sind nur eine Näherung an die chemische Realität und haben andere Eigenschaften. Sie erlauben daher keine echten Prognosen, bieten aber einen neuen und lehrreichen Zugang zur Quantenchemie und zu den experimentellen Herausforderungen derartiger Quantensimulationen.

Die Quantenchemie ist ein Teilbereich der theoretischen Chemie, der versucht, chemische Eigenschaften von Molekülen und deren Reaktionen mithilfe quantenmechanischer Atom-Modelle zu berechnen. Eine erfolgreiche Berechnung kann viele experimentelle Versuche ersetzen und die Fortschritte in der Chemie beschleunigen. Aber sowohl herkömmliche als auch quantenmechanische Methoden kommen bisher nicht zum Ziel: Supercomputer gehen angesichts komplexer Quantenzustände schnell in die Knie und auch wenn im Prinzip bekannt ist, wie Moleküle in einem Quantensimulator aus kalten Atomen repräsentiert werden könnten (siehe https://www.mpq.mpg.de/6070710/2019-10-analogue-quantum-chemistry-simulation), wird dieser Ansatz noch von technologischen Schwierigkeiten zurückgehalten.

In existierenden Plattformen, wie sie zum Beispiel in der Arbeitsgruppe von Immanuel Bloch am MPQ entwickelt werden, springen ultrakalte Atome in optischen Gittern von Ort zu Ort und können miteinander wechselwirken.  Dieses Phänomen ist sehr nützlich, um Quantensimulationen von stark korrelierten Elektronen durchzuführen. Die meisten solcher Experimente arbeiten mit Kontaktwechselwirkungen und benötigen daher hohen Dichten von etwa einem Atom pro Gitterplatz, um die Effekte starker Wechselwirkungen beobachten zu können. Elektronen in Molekülen hingegen sind – relativ zu ihrer Größe – meist sehr weit voneinander weg, weil sie sich wegen ihrer negativen Ladung auch über größere Entfernungen hinweg stark abstoßen.

Damit sich kalte Atome in optischen Gittern aber wie Elektronen in den Molekülen verhalten, die man für die Quantenchemie simulieren will, müssen starke Wechselwirkungen auch über große Entfernungen bestehen. Eine Möglichkeit, um solch weitreichende Interaktionen zwischen den kalten Atomen zu erzeugen, ist das sogenannte „Rydberg-Dressing“. Dabei werden Atome mithilfe eines Lasers in einen Zustand gebracht, in dem sich das äußerste Elektron (das Valenzelektron) in einer Überlagerung von Grundzustand und fast-ionisiertem Zustand befindet. In dem fast-ionisierten Zustand ist das Elektron weit weg vom Atomkern und es entsteht ein fluktuierendes Dipolfeld, das langreichweitige Interaktionen der Atome erzeugt.

Rydberg-Anregung und optische Gitter kombiniert

Theoretiker am Max-Planck-Institut für Quantenoptik haben nun einen neuen Ansatz entwickelt, der „Rydberg-Dressing” und optische Gitter kombiniert, um analoge Simulationen an einem vereinfachten Modell der Quantenchemie durchzuführen. In ihrem Vorschlag spielen kalte Atome die Rolle von Elektronen, die sich in einem diskreten Raum bewegen (das optische Gitter) und sich durch das Rydberg-Dressing abstoßen, als wären sie negativ geladen. Gleichzeitig wird ein Potential angelegt, das die Anziehungskraft der Atomkerne simuliert. Im Gegenatz zu bestehenden Vorschlägen verzichtet das Konzept explizit auf die volle Übereinstimmung mit den Gesetzen der Quantenchemie. Die Experimente sind dadurch stark vereinfacht weswegen sie auch keine Vorhersagen für echte Moleküle zulassen – es ist Trick und Haken zugleich.

Die Idee ist, eine vereinfachte Form der Quantenchemie zu simulieren, die zwar keine exakten Prognosen erlaubt, aber dennoch viele der wichtigsten physikalischen Phänomene echter Quantenchemie enthält. Der Vorschlag bietet eine hilfreiche Testumgebung mit neuen Blickwinkeln auf Moleküle und erörtert die wichtigsten experimentellen Voraussetzungen und wie diese erreicht werden könnten. Ihre Ergebnisse untermauern die Wissenschaftler mit numerischen Simulationen von Experimenten zur Herstellung von Helium oder molekularem Wasserstoff, zur Messung der Bindungslänge in molekularem Wasserstoff oder zur Durchführung von Wasserstoffspektroskopie unter Verwendung realistischer Parameter.

Die Einfachheit des Protokolls erlaubt es, das Konzept bereits in heutigen State-of-the-Art-Quantensimulationsexperimenten zu implementieren und könnte so den Weg für die erste experimentelle Erforschung der Quantenchemie mit Hilfe analoger Quantensimulationen ebnen – und damit vielleicht in Zukunft die Entdeckung neuer Reaktionswege, synthetischer Stoffe, Katalysatoren oder Medikamenten beschleunigen.

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