Quantenmagnete in Bewegung
Erstmals ist es Forschern gelungen, ein neues Transportphänomen in Spin-Ketten unter dem Mikroskop zu beobachten – mit überraschendem Ergebnis: Die Bewegung in der Quantenwelt ähnelt speziellen aus dem Alltag bekannten Phänomenen, wie der Form von Kaffeeflecken auf einer Tischdecke.
Das Verhalten mikroskopischer Quantenmagnete ist seit Langem Inhalt von Vorlesungen in theoretischer Physik. Allerdings: Die Bewegung der Systeme, die sich weit außerhalb des Gleichgewichtszustands befinden, zu untersuchen und quasi live zu verfolgen, war bislang schwierig. Forschern am Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching ist das nun gelungen. Sie nutzten dazu ein Quantengas-Mikroskop. Damit lassen sich gezielt bestimmte Zustände von Quantensystemen erzeugen und dann mit so hoher Auflösung abbilden, dass darin sogar einzelne Atome erkannt werden können. Die Resultate der Experimente an linearen Ketten von Spins zeigen: Die Art, wie sich deren Orientierung fortpflanzt, entspricht der sogenannten Kardar-Parisi-Zhang-Superdiffusion. Das bestätigt eine kürzlich aus theoretischen Überlegungen aufgestellte Vermutung.
Ein Team um die Physiker Dr. Johannes Zeiher und Prof. Immanuel Bloch hat Objekte im Blick, die sonst kaum ein Mensch zu sehen bekommt. Die Forscher am Max-Planck-Institut für Quantenoptik (MPQ) in Garching verwenden ein sogenanntes Quantengas-Mikroskop, um Vorgängen auf der winzigen Skala der Quantenphysik auf die Spur zu kommen. Ein solches Instrument erlaubt es unter anderem mit Hilfe von Lasern, gezielt Quantensysteme mit gewünschten Eigenschaften zu erzeugen und mit hoher Auflösung zu untersuchen. Im Fokus der Forscher stehen bei diesen Experimenten auch Transportphänomene – Bewegungen von Quantenobjekten unter bestimmten äußeren Bedingungen.
Dabei ist dem Team nun eine überraschende experimentelle Entdeckung gelungen. Die Forscher konnten nachweisen, dass sich der eindimensionale Transport von Spins – der Begriff „Spin“ steht für eine bestimmte, magnetische Quanteneigenschaft von Atomen und anderen Teilchen – in gewissen Bereichen makroskopischen Phänomenen ähnelt. Meist unterscheiden sich Vorgänge im Quantenkosmos und in der Alltagswelt deutlich voneinander. „Doch unsere Arbeit offenbart eine interessante Verbindung zwischen quantenmechanischen Spin-Systemen in kalten Atomen und klassischen Systemen wie wachsenden Bakterienkolonien oder sich ausbreitenden Buschfeuern“, sagt Johannes Zeiher, Gruppenleiter in der Abteilung Quanten-Vielteilchensysteme am MPQ. „Diese Entdeckung ist vollkommen unerwartet und deutet auf eine tiefe Verbindung im Bereich der Nichtgleichgewichtsphysik hin, die bisher noch unzureichend verstanden ist.“
Physiker sprechen bei solch einer theoretischen Analogie zwischen zufälliger Bewegung bei Quanten- und klassischen Systemen von Universalität. Im konkreten Fall handelt es sich um die Kardar-Parisi-Zhang-Universalität (KPZ) – einem Phänomen, das bisher nur aus der klassischen Physik bekannt war.
Der verräterische Exponent
Um das Phänomen mikroskopisch beobachten zu können, kühlte das Garchinger Team zunächst eine Wolke von Atomen auf Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt ab. Dadurch ließen sich Bewegungen aufgrund von Wärme ausschließen. Danach sperrten sie die ultrakalten Atome in ein speziell geformtes, „kastenförmiges“ Potenzial, gebildet durch eine Anordnung aus winzigen Spiegeln. „Daran haben wir die Relaxation einer einzelnen magnetischen Domänenwand in einer Kette aus 50 aufgereihten Spins getestet“, erklärt David Wei, Forscher in der Gruppe um Johannes Zeiher. Die Domänenwand trennt Bereiche mit identischer Orientierung benachbarter Spins voneinander. Die Forscher schufen die Domänenwand für den Versuch zunächst durch einen neuen Trick, wobei ein „effektives Magnetfeld“ durch die Projektion von Licht erzeugt wurde. Dabei können die Forscher die Kopplungen zwischen Spins stark unterdrücken, und sie damit quasi an ihren Plätzen „festhalten“.
Die Relaxation innerhalb der Spin-Kette erfolgte nach dem kontrollierten Einschalten der Kopplungen zwischen Spins und folgte, wie sich zeigte, einem charakteristischen Muster. „Dieses lässt sich mathematisch beschreiben durch ein Potenzgesetz mit dem Exponent 3/2“, sagt Wei – ein Hinweis auf den Zusammenhang mit der KPZ-Universalität. Einen weiteren Beleg dafür lieferte den Forschern die Detektion der Bewegung von einzelnen Spins, die der Blick durch das Quantengas-Mikroskops offenbarte. „Diese hohe Präzision war die Basis für eine detaillierte statistische Auswertung“, sagt Zeiher.
„Der markante Verlauf der Spin-Diffusion, den unser Experiment sichtbar gemacht hat, entspricht in seiner mathematischen Form beispielsweise näherungsweise der Ausbreitung eines Kaffeeflecks auf einer Tischdecke“, erklärt der Max-Planck-Physiker. Dass ein solcher, erstaunlicher Zusammenhang bestehen könnte, hatte ein Forschungsteam vor etwa zwei Jahren aufgrund theoretischer Überlegungen vermutet. Eine experimentelle Bestätigung der These fehlt jedoch bisher.
Ein altes Modell lässt die Physiker staunen
Für die Beschreibung von quantenmechanischen Spin-Phänomenen verwenden die Physiker seit Langem sehr erfolgreich das sogenannte Heisenberg-Modell (aber erst seit kurzem konnten Spin-Transportphänomene innerhalb dieses Modells theoretisch beschrieben werden). „Unsere Resultate zeigen, dass auch in einem etablierten theoretischen Rahmen immer noch überraschende neue Erkenntnisse möglich sind“, betont Johannes Zeiher. „Und sie sind ein Beleg dafür, wie sich Theorie und Experiment in der Physik gegenseitig befruchten.“
Die Ergebnisse, die der Garchinger Wissenschaftler mit seinem Team nun auf dieser Basis erzielt hat, sind aber nicht nur von akademischem Wert. Sie könnten auch für handfeste technische Anwendungen nützlich sein. So liegen Spins auch bestimmten Formen von Quantenrechnern zugrunde. Das Wissen um die Transporteigenschaften der Informationsträger könnte von entscheidender Bedeutung für die praktische Realisierung solcher neuartigen Rechnerarchitekturen sein.