Fermiflüssigkeiten: Wenn Seifenblasen zu Suppe werden
WissenschaftlerInnen am MPQ gelingt es mittels hochauflösender Mikroskopie, die Transformation eines Metalls aus magnetischen Polaronen in eine normale Fermiflüssigkeit zu beobachten. Das Team konnte zudem neuartige Korrelationen vermessen, die als Grundlage für theoretische Modelle stark-korrelierter Elektronen dienen können.
Magnetische Polaronen stehen unter Verdacht, maßgeblich an der Entstehung von Hochtemperatur-Supraleitung in Kupferoxid-Keramiken beteiligt zu sein. Bei diesen magnetischen Polaronen handelt es sich um Quasiteilchen, die man sich als Seifenblasen in einem Raum vorstellen kann. Ihr Zusammenspiel wirft seit langer Zeit große Fragen auf. Was passiert, wenn mehrere Seifenblasen aufeinandertreffen? Zerplatzen oder verschmelzen sie? Und was geschieht, wenn man den Raum immer weiter mit Seifenblasen füllt? WissenschaftlerInnen am MPQ sind diesen Fragen nachgegangen, indem zunächst mittels Quantensimulation entsprechende künstliche Materialien im Labor erzeugt und dann mikroskopisch untersucht wurden. Dabei konnten die Forscher aufzeigen, dass sich bei einer Konzentration ab 30 Prozent alle „Seifenblasen“ auflösen. Es entsteht dann eine Art Suppe: die Fermiflüssigkeit. Dies ist ein bekannter Zustand von Elektronen und in der Natur sehr häufig, er tritt zum Beispiel in normalen Metallen wie Kupfer auf. Zudem konnten die Forscher im Rahmen dieses Experiments neuartige Korrelationen messen, die helfen können, effiziente Theorien über diese Transformation und ihre Verbindung zu Hochtemperatur-Supraleitung zu entwickeln.
Mehr als drei Jahrzehnte nach der Entdeckung von Supraleitung, also der verlustfreien Leitung von elektrischem Strom, in Kupferoxid-Keramiken bei außergewöhnlich hohen Temperaturen, werfen diese Materialien und ihre exotischen Eigenschaften weiterhin grundlegende Fragen auf. Um entschlüsseln zu können, wie die Supraleitung dieser elektronischen Systeme funktioniert, muss man zunächst die ungewöhnlichen metallischen Zustände oberhalb der sogenannten Sprungtemperatur besser verstehen. Mit Sprungtemperatur ist hier die Temperatur gemeint, bei der sich Supraleitung ausbildet. Vereinfacht gesagt entstehen viele dieser Phänomene wie eben die Supraleitung, wenn man Löcher in einem Magneten mit mikroskopisch alternierender Polung, dem sogenannten Antiferromagneten, erzeugt. Denn solche Löcher stören lokal die magnetische Ordnung. Wenn nur ein einziges Loch im Antiferromagneten vorhanden ist, entsteht ein sogenanntes magnetisches Polaron. Damit ist im Grunde nichts anderes gemeint als ein Loch, das von einer Wolke gestörten Magnetismus umgegeben ist, und das man sich bildhaft wie eine Seifenblase vorstellen kann. Die Anzahl der Löcher kann man über die sogenannte Dotierung kontrollieren. Wenn man nun die Temperatur eines Antiferromagneten mit mehreren magnetischen Polaronen senkt, bilden sich exotische Phasen aus. Wie es zu solchen und anderen faszinierenden Effekten kommt, ist bis heute nicht vollends geklärt, aber man weiß inzwischen, dass die Wechselwirkung mehrerer Polaronen bereits bei höheren Temperaturen und die Frage, was passiert, wenn zu viele von Ihnen vorhanden sind, dabei eine entscheidende Rolle spielen.
WissenschaftlerInnen der Vielteilchen-Gruppe am MPQ wollten untersuchen, was bei höheren Temperaturen mit magnetischen Polaronen passiert, wenn die Dotierung immer stärker wird: wie entwickeln sich die Korrelationen zwischen den Löchern und ihrer magnetischen Umgebung? Erstmals schauten sie sich auch Korrelationen höherer Ordnung (also zwischen mehr als zwei Punkten) an, die das Zusammenspiel von Polaronen charakterisieren. Der Quantensimulator, welchen das Team hierbei einsetzte, benutzt kontrollierte Laserstrahlen und magnetische Felder, um Lithium-Atome in einem Vakuum zu fangen und zu manipulieren. Diese bringen die Lithium-Atome dazu, sich wie Elektronen in einem Material zu verhalten. Die Lithium-Atome im optischen Laserfeld bilden also das Material künstlich nach. Die Forscher nahmen im Anschluss ein hochauflösendes Foto der Atome im optischen Lichtgitter auf, um die Position und magnetische Orientierung jedes Teilchens zu messen. Anhand vieler zehntausender Bilder können so unterschiedliche Korrelationen analysiert werden. Ein einzigartiger Vorteil des Garchinger Versuchsaufbaus lag darin, dass die Forschergruppe gleichzeitig den Ort und die magnetische Orientierung eines jeden Teilchens feststellen konnte. In ihrer Veröffentlichung konnten die WissenschaftlerInnen entsprechend erstmals mikroskopisch aufzeigen, bei welcher Dotierung und auf welche Weise sich das System magnetischer Polaronen in einen normalen metallischen Zustand (die Fermiflüssigkeit) verwandelt. Zudem konnte eine Vielzahl an Korrelationen vermessen werden, die man als Grundlage für theoretische Modelle stark-korrelierter Elektronen nutzen kann. In herkömmlichen Experimenten mit echten Materialien ist eine derartige mikroskopische Studie in dieser Form bisher nämlich nicht möglich.
Doch mit diesen neuen Forschungserkenntnissen tun sich natürlich auch weitere Fragen auf. Das nächste Ziel der WissenschaftlerInnen ist es, in einem weiteren Experiment die Temperatur der künstlich nachgebildeten Materialien weiter zu abzusenken, um die Physik nahe an einer möglichen Sprungtemperatur zur Supraleitung zu erforschen. Dabei könnte man zum Beispiel untersuchen, ob und wie sich magnetische Polaronen bei noch kälteren Temperaturen anziehen. Bildlich gesprochen könnte man also beobachten, wie zwei Seifenblasen sich anziehen und zu einem Seifenblasenpaar verschmelzen.