Ein Gitter, eine Uhr und ein Mikroskop

Der Quantensimulator der nächsten Generation

Die Systeme mehrerer stark wechselwirkender Quantenpartikel zu verstehen, bleibt eine der großen Herausforderungen der Physik. Bisher ist es unmöglich, solche Systeme für mehr als ein paar Quantenteilchen auf Supercomputern zu simulieren. Doch vielversprechende Ansätze mit Quantensimulatoren rücken diese Idee in erreichbare Nähe. Das Team von Sebastian Blatt am Max-Planck-Institut für Quantenoptik hat entscheidende Fortschritte erzielt, um die Leistungsfähigkeit von Quantensimulatoren zu erweitern; hierzu kombinierte das Forschungsteam geordnete Muster gefangener Atome mit den weltbesten Atomuhren und einem speziellen und neuartigen Mikroskop.

Das Quanten-Vielteilchen-Problem ist eine der bekanntesten Herausforderungen in der Physik: Wenn drei oder mehr Teilchen quantenmechanisch interagieren, ist es nahezu unmöglich, ihr Verhalten zu berechnen. Der Grund dafür ist das Prinzip der Quantenverschränkung, durch die ein Teilchen selbst über große Distanzen mit jedem anderen Teilchen im System intrinsisch verbunden werden kann. Klassische Computer kommen schnell an ihre Grenzen, wenn sie komplexe Systeme mit Verschränkung bearbeiten müssen.

Diese Grenzen erinnern an das orientalische Märchen des königlichen Beraters, der den König bat, ihm seinen Lohn in Form von Reiskörnern auszuzahlen. Dabei sollte ein Reiskorn auf dem ersten Feld eines Schachbretts platziert und auf jedem weiteren Feld die Anzahl der Reiskörner verdoppelt werden, bis alle Felder des Schachbretts bedeckt seien. Der König fand allerdings sehr schnell heraus, dass er nicht in der Lage war, den Lohn zu auszuzahlen. Denn selbst heute würde es Hunderte von Jahren dauern, bis die Erde genug Reis produziert hätte, um dem Berater die korrekte Menge an Reiskörnern zahlen zu können – ein klassisches Beispiel für das Problem exponentiellen Wachstums.

Klassische Computer scheitern bei der Simulation von Quantenteilchen am selben Problem, denn das Hinzufügen eines zusätzlichen Quantenteilchens zur Simulation erfordert die doppelte Menge an Speicherplatz. Dies macht die exakte Simulation von mehr als ein paar Quantenteilchen selbst für modernste Supercomputer unmöglich.

Doch Richard Feynman sah bereits vor vierzig Jahren einen Ausweg aus diesem Dilemma: Er erkannte, dass man ein gut kontrolliertes Quanten-Vielteilchensystem nutzen könne, um andere Quanten-Vielteilchensysteme zu simulieren, deren genaue Untersuchung ansonsten unmöglich wäre. Im Kern argumentierte Feynman, dass es wohl leichter sei, eine Partie Quantenschach zu spielen, als eine solche auf einem klassischen Computer zu simulieren. Feynmans Überlegungen stellen jedoch eine große technische Herausforderung für heutige Experimentalphysiker und -physikerinnen dar, denn die Forschenden müssen ein Quanten-Vielteilchensystem erschaffen und dieses dann unter sauberen und präzise kontrollierten Bedingungen isolieren und manipulieren. Durch die Verwendung verschiedener modernster Technologien sind Sebastian Blatt und seinen Kollegen dabei, ein solches System in ihrem Labor zu schaffen.

Atome gefangen in einem Gitter aus Licht

Das Schachbrett von Sebastian Blatt ist ein Muster aus Licht, das durch Laserstrahlen erzeugt wird. Die Schachfiguren, die über das Brett ziehen, sind ultrakalte neutrale Strontium-Atome. Wenn ein Spiegel einen Laserstrahl zurückreflektiert, bildet das Licht ein stabiles Interferenzmuster von höherer und niedrigerer Intensität –  ein sogenanntes optisches Gitter. Die hochintensiven Bereiche eines solchen optischen Gitters bilden ein Feld mit regelmäßigen Abständen. Darin können neutrale Atome genau wie Schachfiguren auf einem Schachbrett platziert werden.

Atome, die in optischen Gittern gefangen sind, können sowohl zu benachbarten Feldern durchdringen als auch mit anderen Atomen in ihrer direkten Umgebung interagieren. Diese Anordnung simuliert auf natürliche Weise, wie sich Elektronen im Inneren eines Kristalls verhalten. Das von regelmäßigen Abständen durchzogene optische Gitter ahmt hierbei das gleichmäßige Muster von Ionen in einem Kristall nach, während die Atome die Elektronen imitieren, die von Ion zu Ion springen. Durch die gute Kontrollierbarkeit der Atome und die Makellosigkeit optischer Gitter sind Atome in optischen Gittern gut geeignet, um Quantensimulationen grundlegender Modelle der Festkörperphysik durchzuführen.

In den letzten Jahren hat das Team um Sebastian Blatt eine neue Methode entwickelt, um mit Hilfe von hochwertigen optischen Resonatoren die Größe solcher optischen Gitter zu erhöhen. So gelang es dem Team nicht nur, das optische Gitter zu vergrößern, sondern auch die Anzahl der Quadrate auf ihrem Quantensimulations-Schachbrett um eine Größenordnung zu steigern.

Die beste Atomuhr der Welt

Das Team von Sebastian Blatt befüllt seine optischen Gitter mit Strontium-Atomen, um deren einzigartige Merkmale ideal nutzen zu können. Diese ergeben sich aus dem Zustand des äußersten Elektrons. Das Elektron kann sich entweder in seinem „Grundzustand“ und somit im kleinstmöglichen Energielevel befinden oder in seinem ersten „angeregten“ Zustand, der ein höheres Energielevel besitzt als der Grundzustand. Der Grundzustand und der angeregte Zustand sind durch einen Übergang miteinander verbunden, dessen Frequenz der Energiedifferenz zwischen den Zuständen entspricht. Dieser Übergang ist für Strontium-Atome besonders eng, weshalb die Physiker den Wert besonders genau bestimmen können.

Darüber hinaus wird dieser Übergang von Forschern genutzt, um durch die genau definierten Frequenzen eines Takt-Lasers ein Strontium-Atom aus seinem Grundzustand in einen angeregten Zustand zu versetzen. Das macht Strontium-Atome zur Grundlage der besten derzeit verfügbaren Atomuhren. Denn sie sind so genau und präzise in ihrer Messung, dass sie, selbst wenn sie seit Beginn des Universums laufen würden, heute noch auf die Sekunde genau die korrekte Uhrzeit anzeigen würden. Diese Technologie macht sich auch das Team von Sebastian Blatt zu Nutze. Damit können sie den Quantenzustand jedes einzelnen Strontium-Atoms innerhalb seines optischen Gitters kontrollieren und modifizieren.

Vor kurzem hat das Team mehrere besondere Varianten von optischen Gittern vorgestellt, bei denen sich das Strontium-Atom im Grundzustand frei bewegen kann, während es im angeregten Zustand fest an einer Stelle des Gitters haftet. Hieraus lassen sich verschiedene Bewegungsregeln ableiten, die vom Zustand des jeweiligen Atoms abhängig sind. Um beim Schachspielen zu bleiben: das Atom wäre dann in seinem Grundzustand genauso frei beweglich wie die Königin, wohingegen es im angeregten Zustand in seinen Bewegungen noch eingeschränkter wäre als der König.

Quantengasmikroskop für die beste mögliche Auflösung

Mit der Entwicklung von großen Schachbrettern und individuellen Bewegungsregeln für einzelne Schachfiguren hat das Team von Sebastian Blatt perfekte Voraussetzungen geschaffen, um das Spiel mit einzelnen Atomen und neuen Varianten der Quantensimulation neu zu starten zu können. Um einzelne Atome in einem optischen Gitter mit einem Taktlaser zielgerichtet anzupeilen, braucht man ein hochmodernes Quantengasmikroskop, das die bestmögliche optische Auflösung bietet. Dabei handelt es sich um eine Technologie, die in den letzten zehn Jahren durch die Pionierarbeit der Forschungsgruppe um Immanuel Bloch am MPQ entscheidend weiterentwickelt wurde. Durch diese Technologie ist es mithilfe eines getakteten Laserstrahls möglich, ein Atom im angeregten Zustand in ein frei bewegliches Atom im Grundzustand umzuwandeln. Dieses Atom kann als frei reisendes Photon betrachtet werden, während man ein gefangenes Atom im angeregten Zustand als ein Photon verstehen kann, das in einem Quantenemitter gespeichert ist.

Simulation von Emittern mit einer starken Wechselwirkung

Mit ihren großen optischen Gittern kann das Team von Sebastian Blatt die starke photonische Wechselwirkung zwischen vielen solchen Quantenemittern simulieren. In der Theorie stellen diese Wechselwirkungen ein grundlegendes Problem der Quantenoptik dar, das jedoch in der Realität nur sehr schwer zu untersuchen ist. Der Vorteil einer Quantensimulation besteht darin, dass alles nach Belieben verändert werden kann: die Abstände zwischen den Emittern, die Stärke der Interaktion und die Bewegungsregeln der fliegenden Photonen. Auch die grundlegenden Eigenschaften eines fliegenden Photons können durch die Verwendung verschiedener Isotope des Strontium-Atoms für die Quantensimulation verändert werden. Sie können so präpariert werden, dass sie sich, genau wie echte Photonen, gegenseitig nicht bemerken. Wissenschaftler können sie jedoch auch kollidieren lassen und ihren quantenstatistischen Charakter modifizieren. Solch ein Experiment wird neue physikalische Systeme jenseits dessen ans Licht bringen, was im Rahmen der Quantenoptik untersucht werden kann.

Das neue Quantenspiel von Sebastian Blatt wird mit neuen Figuren auf einem deutlich größeren Spielbrett gespielt. Er ist zuversichtlich, dass durch die Arbeit seines Teams viele Probleme innerhalb der Materialwissenschaft und der Quantenchemie genauer untersucht werden können. Gleichzeitig wird durch diese Arbeit auch der Grundstein für die nächste Generation von Strontium-Atomuhren gelegt.

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