Neuer Werkzeugkasten für die Photonik: Quantensimulation per Lichtfunk  

Garchinger Physiker entwickeln ein neues Prinzip für Quantensimulatoren, in denen Quantenbits über einen Wellenleiter gezielt Lichtquanten austauschen können.

2. August 2019

An Quantensimulatoren wird intensiv geforscht: Sie versprechen, die Eigenschaften komplexer Quantensysteme genau berechnen zu können. Konventionelle Computer scheitern daran. In einer Kooperation haben nun Theoretiker vom Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching und dem Instituto de Ciencias de Materiales de Madrid einen neuen Werkzeugkasten für Quantensimulatoren entwickelt und in Science Advances publiziert. Darin verarbeitet ist das nobelpreisgekrönte Prinzip der Topologie, um Quantenbits zum Beispiel aus einzelnen Atomen gezielt untereinander per „Lichtfunk“ kommunizieren zu lassen. Die „Funkkanäle“ liefert ein Lichtfeld, das mit Hilfe der Topologie zu einem Wellenleiter umgeformt wird. Das Konzept bietet Raum für ganz neue Ideen, die von der Grundlagenforschung bis zur Quanteninformation reichen.

„Wie können wir zwei voneinander entfernte Quantenbits dazu bringen, miteinander zu ,sprechen‘?“, fragt Alejandro González-Tudela und stellt fest: „Das ist eine wesentliche Herausforderung auf dem Gebiet der Quanteninformation!“ Der theoretische Physiker war bis vor Kurzem Postdoktorand in der Abteilung von Ignacio Cirac, Direktor am Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching, heute ist er Wissenschaftler am Instituto de Física Fundamental IFF-CSIC in Madrid. Gemeinsam mit Cirac und zwei ebenfalls spanischen Kollegen vom Instituto de Ciencias de Materiales de Madrid hat er nun eine wissenschaftliche Arbeit publiziert, die einen ganz neuen Werkzeugkasten in die Photonik einführt. Die Photonik ist ein Zweig der Physik, in dem es um die Wechselwirkung zwischen Licht und Materie und deren technische Nutzung geht.

 Eine Anwendungsmöglichkeit ist die sogenannte Quantensimulation, die auf eine Idee des berühmten US-amerikanischen Nobelpreisträger Richard Feynman zurückgeht. Will man das Verhalten eines Quantensystems auf einem herkömmlichen Computer möglichst exakt berechnen, so verdoppelt sich die notwendige Rechenleistung mit jedem neuen Quantenteilchen im System. Wegen dieser mathematischen Lawine überrollen schon relativ kleine Quantensysteme aus wenigen Dutzend Teilchen die Leistungsfähigkeit selbst von konventionellen Supercomputern. Feynman hatte daher schon vor Jahrzehnten die Idee, das Verhalten eines Quantensystems mit Hilfe eines anderen Quantensystems zu simulieren. Ein solcher Quantensimulator ist im Prinzip ein spezialisierter Quantencomputer, dessen einzelne Quantenbits gut von außen steuerbar sind – im Gegensatz zum eher unzugänglichen Quantensystem, dessen Verhalten er simulieren soll.

 An solchen Quantensimulatoren wird seit vielen Jahren intensiv geforscht. Sie versprechen zum Beispiel, Materialeigenschaften wie Supraleitung oder komplexen Magnetismus genauer zu verstehen. Auch am Institut in Garching spielen sie eine wichtige Rolle. So ein Simulator kann zum Beispiel aus einer Wolke ultrakalter Atome bestehen, die in einem räumlichen Gitter aus Laserlicht gefangen sind. Sollen diese Quantenbits – oder kurz Qubits – nun miteinander wechselwirken, dann tun sie dies über den Austausch von Lichtquanten, Photonen. Allerdings sendet ein Atom ein solches Photon normalerweise in irgendeiner zufälligen Richtung aus. Viel effizienter für Quantensimulationen wäre es, wenn das Qubit sein Photon zielgerichtet seinen nächsten oder übernächsten Nachbarn adressieren könnte.

Robuster Photonenfunk

González-Tudela und seine Mitarbeiter haben nun ein theoretisches Prinzip entwickelt, das einen solchen einen zielgerichteten „Photonenfunk“ zwischen den Atomen ermöglicht. „Wir müssen die Qubits und Photonen dazu in einen Wellenleiter packen“, erklärt der Theoretiker. Allerdings: Wie „verdrahtet“ man ein Ensemble von Atomen, die in einem Lichtgitter im Raum schweben, mit solchen Wellenleitern? Und wie bringt man sie dazu, auf robuste Weise miteinander zu „reden“? Die Antwort der vier Theoretiker lautet: mit äußerst trickreich eingesetztem Licht.

 Der Trick besteht im Wesentlichen darin, das mathematische Konzept der Topologie aus der Festkörperphysik in die Photonik zu übertragen. In der Festkörperphysik hat es in den vergangenen Jahren einen regelrechten Hype ausgelöst, weil es ganz neue, bisher unbekannte Materialeigenschaften hervorbringen kann. 2016 erhielten die drei britischen Physiker David Thouless, Duncan Haldane und Michael Kosterlitz den Nobelpreis für Physik, weil sie topologische Konzepte erfolgreich in die Festkörperphysik eingeführt hatten. Im Prinzip geht es dabei darum, wie viele Löcher ein geometrischer Körper hat. Eine Kaffeetasse zum Beispiel hat ein Loch im Henkel, genau wie ein Donut-Kringel im Zentrum, und damit haben beide die topologische Zahl Eins. Die Konsequenz: Rein geometrisch gesehen können Tasse und Donut leicht ineinander umgewandelt werden. Auf heftigen topologischen Wiederstand hingegen stößt man, wenn man einen einlöchrigen Donut in eine dreilöchrige Bretzel umwandeln will.

 In der Physik hat diese Lochzahl-Regel die Konsequenz, dass die Topologie bestimmte physikalische Eigenschaften gegenüber Störungen enorm stabilisieren kann. Und das führt zur zweiten großen Herausforderung in der Quanteninformation und damit der Quantensimulation: allgegenwärtige Störungen lassen die hochempfindliche Quanteninformation schnell zerfallen.

 „Diese sogenannte Dekohärenz ist das größte Problem der Quanteninformation“, sagt González-Tudela. Die bestechenden Eigenschaften der Topologie brachten schlaue Köpfe bald darauf, dass man die empfindlichen Quantenbits schön stabil in physikalische Systeme mit solchen topologischen Eigenschaften verpacken könnte. Daran wird zum Beispiel in der Festkörperphysik geforscht, auch große Konzerne wie Microsoft investieren kräftig in dieses Feld. 

Topologischer Werkzeugkasten 

González-Tudela und seine drei Mitautoren haben sich nun einen Werkzeugkasten ausgedacht, mit dem man solche topologischen Konzepte in die Photonik übertragen kann. Einige Systeme wie ultrakalte Atome in Lichtgittern sind nämlich in ihrer Kontrollierbarkeit bereits sehr weit entwickelt. Sie bieten daher für die Quantensimulation viele Möglichkeiten. Der Werkzeugkasten der vier Theoretiker bietet neuen Raum für viele kreative Ideen. Einfach gesagt, besteht er aus einem Satz von Quantenbits, zum Beispiel einzelne Atome, die in einer Linie angeordnet sind. Sie können mit einem raffiniert konstruierten, ebenfalls linearen „Lichtbad“ wechselwirken, das sich wie der gesuchte Wellenleiter verhält.

 Dreht man nun an den verschiedenen Stellschrauben des Systems, dann können die Quantenbits wie gewünscht über diesen Wellenleiter ganz gezielt Photonen austauschen. Aber nicht nur das: Ein Qubit kann zum Beispiel Information in eine Richtung schicken, in der Gegenrichtung aber vollkommen dunkel bleiben. Solche Interaktionen sind in der Mikrowelt der Atome extrem schwer umsetzbar.

 Damit bietet der Werkzeugkasten der vier Theoretiker viele neue Möglichkeiten, Quantenbits miteinander kommunizieren zu lassen. Genau das benötigen zukünftige Quantensimulatoren. Das Konzept ist zudem universell: Es lässt sich auch in einigen Quantensystemen aus vielen Qubits realisieren, an denen derzeit geforscht wird.  Die neue Arbeit der vier Theoretiker könnte zur Keimzelle für ganz neuen Ideen werden, die von der reinen Grundlagenforschung bis zur Quanteninformation reichen.

(RW)

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