Quantenmagnete mit Löchern
MPQ-Wissenschaftler decken verborgene magnetische Ordnung in eindimensionalen, mit Löchern dotierten Quantenkristallen auf.
Magnetismus ist ein Phänomen, das uns vom Alltag her sehr vertraut ist. Er beruht darauf, dass in bestimmten Stoffen wie etwa Eisen die Spins der Elektronen einheitlich ausgerichtet sind. Besonders interessante Effekte treten auf, wenn magnetische Festkörperkristalle „Löcher“ aufweisen, d.h., wenn an bestimmten Gitterplätzen ein Elektron fehlt. Hier kommt es zu einem Wechselspiel zwischen der Bewegung der Fehlstelle und den magnetischen Korrelationen der Elektronen-Spins, wodurch die magnetische Ordnung des Kristalls nicht mehr so stark zu Tage tritt. Festkörperphysiker können im Allgemeinen die beiden Prozesse nicht separieren und daher die Frage, ob die magnetische Ordnung in der Tat reduziert oder nur verdeckt ist, nicht beantworten.
Ein Forscherteam um Dr. Christian Groß aus der Abteilung Quanten-Vielteilchensysteme (Direktor Prof. Immanuel Bloch) am Max-Planck-Institut für Quantenoptik hat jetzt gezeigt, dass die magnetische Ordnung in eindimensionalen Quantenmagneten erhalten bleibt, auch wenn sie mit Löchern dotiert sind, und damit einen wichtigen Nachweis für die Trennung von Spin und Ladung (Dichte) erbracht. Die Quantenkristalle werden dabei aus kalten Atomen in optischen Gittern erzeugt. Voraussetzung dafür war die Möglichkeit, die Bewegung des Lochs und die Anregung der Spins in einem Messprozess jeweils getrennt zu beobachten (Science, 4. August 2017). Im nächsten Schritt wollen die Wissenschaftler das Verfahren auf zweidimensionale Systeme ausweiten. Hier wäre die Wechselwirkung von Löchern mit den magnetischen Korrelationen noch weitaus komplexer und könnte zu der Entdeckung von exotischen Materiephasen führen, die z.B. für die sogenannte Hochtemperatur-Supraleitung verantwortlich sind.
Die Garchinger Wissenschaftler kühlen zunächst ein Ensemble von fermionischen Lithium-6-Atomen auf extrem tiefe Temperaturen, etwa einem Millionstel Kelvin über dem absoluten Nullpunkt. Die Atome werden in einer aus Laserstrahlen gebildeten optischen Falle so eingefangen, dass sie sich in einer Ebene anordnen. Diese wird wiederum in rund 10 parallel verlaufende Röhrchen aufgespalten, innerhalb der sich die Atome bewegen können. Im letzten Schritt wird den Röhrchen ein optisches Gitter überlagert. Es entspricht dem periodischen Potential, das Elektronen in einem Festkörperkristall spüren. So wie Elektronen tragen auch Lithium-Atome einen Spin-1/2-Zustand (bzw. ein magnetisches Moment), der aufwärts oder abwärts zeigen kann. Bereits in einem früheren Experiment haben die Wissenschaftler gezeigt, dass sich in einem solchen System die magnetischen Momente benachbarter Atome unterhalb einer bestimmten Temperatur entgegengesetzt ausrichten und somit zu antiferromagnetischen Korrelationen führen.
In dem Nachfolgeexperiment gehen die Physiker der Frage nach, wie sich Löcher auf den Ordnungsgrad des Quantenkristalls auswirken. „Die Dotierung mit Löchern erreichen wir dadurch, dass wir in das optische Gitter weniger Atome laden, als Gitterplätze vorhanden sind“, erklärt Timon Hilker, Erstautor und Doktorand an dem Experiment. „Die spannende Frage ist nun, ob die Löcher statisch oder beweglich sind, und wie sie sich auf den Ordnungsgrad des Systems auswirken.“
Wir alle kennen die Situation: bleibt im Theater in der Mitte einer Stuhlreihe ein Sitz frei, dann kommt Bewegung in die Menge, nach und nach rücken Zuschauer auf – anders ausgedrückt: das Loch wandert. Etwas Ähnliches können die Physiker an ihrem Quantensystem mit ihrem Quantengasmikroskop beobachten, mit dem sie die genaue Position der Atome und der Fehlstellen mit Einzelplatzauflösung erkennen. „Im Unterschied zum leer gebliebenen Sitzplatz im Theater sind diese Löcher aber delokalisiert“, betont Timon Hilker. „Erst bei der Messung entscheidet sich, wo sie sich genau befinden.“
Auf den ersten Blick reduzieren bzw. verdecken die Fluktuationen der Atome im Gitter die antiferromagnetischen Korrelationen. Das Team von Christian Groß vermag jedoch genauer hinzuschauen. Die Forscher haben nämlich ein Verfahren entwickelt, Atome unterschiedlicher Spin-Richtung räumlich zu trennen. Dafür überlagern sie dem optischen Gitter noch ein Übergitter, sodass, in Kombination mit einem magnetischen Feldgradienten, in jedem Gittertopf eine Doppelstruktur entsteht, deren Potential von der Spin-Richtung abhängt. Die große technische Herausforderung dabei besteht darin, dass Übergitter und optisches Gitter auf Nanometer genau, also auf Bruchteile der Wellenlänge, justiert werden müssen.
„Auf diese Weise können wir in unserem System sowohl die Löcher als auch die beiden Spin-Richtungen auf einen Schlag erkennen“, betont Dr. Christian Groß, der Leiter des Projektes. „So können wir uns direkt die Umgebung eines Lochs anschauen. Wir sehen, dass im Allgemeinen die Ordnung erhalten bleibt, d.h. dass die beiden Spins links und rechts von einem Loch antiparallel ausgerichtet sind. Und bei der Auswertung unserer Aufnahmen, die jeden Spin und jedes Loch in dem System aufzeigen, können wir die Löcher in gewisser Weise heraus rechnen. Solche nicht-lokalen Messungen sind experimentelles Neuland und öffnen neue Perspektiven für die Untersuchung exotischer Materiephasen.“
Die Wissenschaftler wollen mit dieser Methode jetzt auch zweidimensionale Löcher-dotierte Quantenkristalle untersuchen. Das wäre ein neuer Ansatz, das Verhalten von zweidimensionalen korrelierten Elektronensystemen zu simulieren, die Fehlstellen enthalten. Solche Experimente könnten zu einem besseren Verständnis der sogenannten Hochtemperatur-Supraleitung führen. Damit bezeichnet man das vor rund 30 Jahren entdeckte Phänomen, dass in bestimmten keramischen Verbindungen mit kupferhaltigen Schichten der elektrische Widerstand bereits oberhalb der Siedetemperatur von flüssigem Stickstoff verschwindet. Nach einem gängigen theoretischen Modell spielt dabei das Wechselspiel zwischen Löchern und antiferromagnetischen Korrelationen eine ganz zentrale Rolle. Olivia Meyer-Streng