Eine „Flipper-Maschine“ für Atome und Photonen
Physiker vom MPQ, Caltech und ICFO haben ein neues Konzept entwickelt, durch Kombination von Nano-Photonik mit ultrakalten Atomen Quanten-Vielteilchensysteme zu simulieren und neue Materiezustände zu erzeugen.
Ultrakalte Atome in optischen Gittern, die durch die kreuzweise Überlagerung von Laserstrahlen entstehen, haben sich bereits als die meist versprechenden Werkzeuge für die Simulation und das Verständnis von Vielteilchensystemen wie Festkörperkristallen herausgestellt, zum Beispiel in Bezug auf deren elektrische oder magnetische Eigenschaften. Optische Gitter im freien Raum lassen aber nur atomare Abstände von mindestens rund 400 Nanometern und Wechselwirkungen mit kurzer Reichweite zu. Um diese Einschränkungen zu umgehen, hat jetzt ein Team um Prof. Ignacio Cirac (MPQ, Garching) und Prof. Jeff Kimble (California Institute of Technology, Pasadena, USA) ein neues Konzept entwickelt, das die Vorteile der Physik ultrakalter Atome und der Nano-Photonik integriert. Damit sollten sich, so die Vorhersage, 10mal kleinere Gitterkonstanten und Wechselwirkungen mit größerer Reichweite realisieren lassen (Nature Photonics, AOP, 6. April 2015). Die Autoren untersuchen dabei die Möglichkeiten, mit Hilfe dielektrischer Materialien mit Nano-Strukturen, sogenannten photonischen Kristallen, Atome dichter aneinander zu bringen und über geführte Lichtmoden in Wechselwirkung treten zu lassen. Als Folge davon werden die Energieskalen des Systems sowie die Reichweiten der Wechselwirkungen größer, was die Erforschung neuer Formen von Quantenvielteilchenmaterie erlaubt.
Die Grundidee des Vorschlags besteht darin, den Brechungsindex einer dielektrischen Schicht periodisch zu modulieren, indem in einem gitterartigen Muster entweder kleine Löcher in die Schicht hineingebohrt oder kleine Stifte auf deren Oberfläche angebracht werden. Die Autoren zeigen, wie sich hier durch eine Kombination von optischen Kräften und Vakuumfeldern Gitter mit atomaren Abständen von etwa 50 Nanometern, also rund 10mal kleiner als bei optischen Gittern, erzeugen lassen.
„Mit diesen „subwavelength“-Gittern können wir im Prinzip die gleichen Vielteilchen-Phänomene untersuchen wie mit den optischen Gittern, die im Vakuum durch Licht erzeugt werden“, erklärt Dr. Alejandro González-Tudela, Wissenschaftler in der Abteilung Theorie von Prof. Cirac und Erstautor der Veröffentlichung. „Der entscheidende Unterschied und Vorteil unseres Vorschlags liegt darin, dass die Atome viel dichter aneinander sitzen. So erzielen wir höhere Tunnelraten und Wechselwirkungsenergien für die Simulation von Quanten-Vielteilchensystemen. Und das bedeutet, dass wir die hohen Anforderungen an die Kühlung von Atomen ein wenig lockern können.“
Doch die Möglichkeit, neue Physik zu machen, beruht nicht nur auf der kleinen Gitterkonstante. Vielmehr erlaubt es die Geometrie dieser dünnen dielektrischen Schicht, das einfallende Licht einzufangen und zu führen. Wenn nun ein einlaufendes Photon auf ein eingefangenes Atom trifft, hat es mit ihm starke Wechselwirkung und prallt dann von ihm ab. Aber es fliegt danach nicht in den freien Raum, sondern bleibt im Wellenleiter, bis es auf das nächste Atom trifft und mit ihm wechselwirkt, und so geht es immer weiter.
„Unsere Analyse zeigt, dass wir auf diese Weise Wechselwirkungen zwischen den Atomen erhalten, die nicht durch Hüpfen (wie bei den optischen Gittern im freien Raum), sondern durch den direkten Austausch von Photonen zustande kommen“, sagt Alejandro González-Tudela. „Das Ergebnis ist ein zweidimensionaler Festkörper, in dem die Atome nicht durch Gitterschwingungen, wie in gewöhnlicher Materie, sondern durch Photonen zusammen gehalten werden. Damit bekommen wir eine neue Qualität der Licht-Materie-Wechselwirkung, mit der Möglichkeit, die Stärke und Reichweite der Wechselwirkungen gezielt zu formen und einzustellen. Dies gäbe uns Zugang zu einer Vielzahl von Phänomenen, wie etwa dem Quantenmagnetismus oder der Spin-Spin-Wechselwirkung über den Austausch von Photonen.“ Olivia Meyer-Streng