360 Qubits in einer Kristallmembran
Das Seltene-Erden-Metall Erbium könnte in zukünftigen Quanten-Netzwerken eine Schlüsselrolle spielen: Einem Forschungsteam am MPQ und der TU München ist es gelungen, bis zu 360 Erbiumionen spektral aufzulösen und individuell zu kontrollieren.
Informationen abhörsicher und schnell übertragen – zukünftige Quantennetzwerke sollen das möglich machen. Die Grundlage für die Realisierung solcher Netzwerkes bilden Qubits, die – analog zum klassischen Bit – Quanteninformation speichern. Aus welchen Bestandteilen ein solches Quantennetzwerk in der Praxis bestehen soll, beschäftigt Forschende weltweit. Ein Team am Max-Planck-Institut für Quantenoptik und an der Technischen Universität München unter der Leitung von Andreas Reiserer hat den vielversprechenden Kandidaten Erbium näher unter die Lupe genommen – ein Element, das zu den seltenen Erden gehört und Licht in einem Bereich des elektromagnetischen Spektrums emittiert, das für die Übertragung mit Glasfasern besonders geeignet ist. Den Forschenden gelang es, bis zu 360 Erbiumionen, mehr als dreimal so viel wie davor, in einer dünnen Kristallmembran spektral aufzulösen und individuell zu kontrollieren. Die Ergebnisse, die im Fachjournal Advanced Optical Materials erschienen sind, bestätigen Erbium als einen aussichtsreichen Anwärter für die Realisierung von Quantennetzwerken.
Vieles spricht dafür, dass Erbium in den Quantennetzwerken der Zukunft eine wichtige Rolle spielen könnte. Das Seltene-Erden-Metall emittiert Licht bei 1.5 µm: ein Bereich des elektromagnetischen Spektrums, der sich gut für die Datenübertragung mit optischen Glasfasern eignet. Um künftig Quanteninformationen über lange Distanzen zu übertragen, ließe sich demnach die bereits bestehende Glasfaserinfrastruktur nutzen. Daneben besitzen Erbium-Ionen besondere optische Eigenschaften, die weitestgehend unempfindlich gegenüber Störeinflüssen aus der Umgebung sind.
Bereits 2022 hatte das Forschungsteam einen ersten Durchbruch in einem Experiment mit Erbium-Atomen erreicht. Integriert in eine dünne kristalline Platte und zwischen zwei Spiegeln platziert – diesen Aufbau bezeichnet man als optischen Resonator –, zeigten die Erbium-Atome eine starke Wechselwirkung mit Licht. Bis zu 100 Erbium-Atome bzw. „Qubits“ konnten die Forscher in dem Resonator spektral auflösen und kontrollieren. All das bei äußerst niedrigen Temperaturen: Ein Kryostat kühlt den Aufbau auf -271 Grad Celsius und reduziert so die thermischen Schwingungen im Kristall.
Ein co-dotierter Kristall
Auf diesen Ergebnissen bauten die Wissenschaftler entscheidend auf, indem sie den makroskopischen Kristall vorab dotierten – d.h. seine Eigenschaften gezielt manipulierten. Hierfür wurden dem Yttrium-Orthosilikat-Kristall Europium-Atome beigefügt, um absichtlich Inhomogenitäten, also „Verunreinigungen“, in das Material einzubringen.
Was zunächst kontraintuitiv klingt, ist eine kalkulierte Strategie, um die Technik des Spektralen Multiplexing optimal nutzen zu können. Die Methode erlaubt es, eine hohe Anzahl an Photonen gleichzeitig zu emittieren und über die Glasfasern loszuschicken. Die Wahrscheinlichkeit, dass mindestens ein Photon – und die darin enthaltene Information – am Ziel ankommt, steigt damit erheblich. Die Methode funktioniert allerdings nur dann, wenn sich die Emitter im Spektrum nicht überlappen. Das passiert schnell, wenn die Zahl der Erbium-Ionen bzw. ihre Dichte zu hoch ist und eine spektrale Auflösung nicht mehr durchführbar ist.
Um also möglichst viele – aber eben nicht zu viele – Emitter zu erzeugen, wurde der Kristall durch die absichtlich eingeführten Defekte bewusst verunreinigt. Die Konsequenz: Durch die Unregelmäßigkeiten im Kristall verschiebt sich die Frequenz der Erbium-Ionen auf zufällige Weise. Die Emitter können anschließend über die korrespondierende Frequenz kontrolliert werden.
Den MPQ- und TUM-Wissenschaftlern gelang es mit Hilfe dieses co-dotierten Kristalls, insgesamt 360 Ionen bzw. Qubits individuell „anzusprechen“ – mehr als dreimal so viel wie davor. „Unser Fabry-Perot Resonator und die darin enthaltene Kristallmembran ist unseres Wissens einzigartig im Aufbau, da es technisch sehr aufwendig ist, eine dünne und gleichzeitig nahezu atomar flache Kristallmembran herzustellen. Die geringe Rauigkeit ist entscheidend, um Verluste innerhalb des Resonators zu vermeiden,“ erklärt Doktorand und Erstautor Alexander Ulanowski. Der optische Resonator hat einen weiteren praktischen Nebeneffekt: er verkürzt die optische Lebenszeit, wodurch die Übertragungsraten erhöht werden können. Das Team erreichte mit ihrem optischen Resonator eine Beschleunigung um den Faktor 100.
Verringerung der spektralen Diffusion
Ob und wie das Seltene-Erde-Metall Erbium im Quanteninternet der Zukunft eine Rolle spielen wird, ist noch nicht klar - dafür muss der vielversprechende Kandidat weiter untersucht werden. Eine noch zu meisternde Herausforderung besteht insbesondere in der spektralen Diffusion der Emitter, der zufälligen Änderung der Emissionsfrequenz: „Hier könnte es helfen, zu einem anderen Kristall zu wechseln, der weniger oder gar keine Kernspins enthält. Das würde das magnetische Rauschen am Ort der Erbium-Ionen verbessern und die spektrale Diffusion verringern“, erklärt Alexander Ulanowski. Auch das Dotieratom Europium will das Team weiter untersuchen. Es weist sehr lange Kohärenzzeiten auf und wäre möglicherweise als Quantenspeicher geeignet.