Elektronenritt auf der Laserwelle
Geladene Partikel lassen sich mit Licht beschleunigen, wodurch kompaktere Teilchenbeschleuniger möglich werden
Heutige Teilchenbeschleuniger messen bis zu mehrere Kilometer und kosten Milliarden Euro. Doch mithilfe einer neuen Methode könnten sie in Zukunft auf weniger als zehn Meter schrumpfen und rund zehn Mal kostengünstiger werden. Dazu haben Physiker des Max-Planck-Instituts für Quantenoptik in Garching bei München Elektronen direkt mit einer Lichtwelle beschleunigt.
Im herkömmlichen Verfahren werden Teilchen hingegen mit Mikrowellen auf Tempo gebracht. In ihrem Demonstrationsexperiment erzielten John Breuer und Peter Hommelhoff auf diese Weise bereits eine ebenso starke Beschleunigungskraft wie sie in heutigen herkömmlichen Teilchenbeschleunigern üblich sind. Das Besondere an dem Garchinger Verfahren: es lässt sich baukastenartig zu einer mehrstufigen Anlage ausbauen, die geladene Teilchen – neben Elektronen könnten das auch Protonen oder Ionen sein – rund 100 Mal stärker beschleunigen könnte als heutige Anlagen und somit deutlich kleiner gebaut werden könnten. Für diesen Ausbau ist allerdings noch Entwicklungsarbeit nötig.
Kostengünstige Teilchenbeschleuniger im Labormaßstab, also nicht größer als zehn Meter, würden der Forschergemeinde einen großen Nutzen bringen. Heute stehen sehr viele Forschergruppen regelrecht Schlange an den wenigen Linearbeschleunigern, in denen Partikel auf einer geraden Strecke bis nahe an die Lichtgeschwindigkeit gebracht werden. Kleinere und billigere Beschleuniger wären hingegen in größerer Zahl verfügbar und würden ein Mehr an Forschung und schnellere Forschungsergebnisse etwa in der Kernphysik, der Materialwissenschaft und den Lebenswissenschaften mit sich bringen.
Um kompaktere Teilchenbeschleuniger bauen zu können, müsste das elektrische Feld, das die Teilchen antreibt, verstärkt werden. Was das bedeutet, lässt sich in einem Bild veranschaulichen, in dem ein Wagen die Rolle eines Elektrons spielt, eine Straße den Part des elektrischen Feldes übernimmt und das Gefälle der Straße für die Stärke des Feldes steht. Ein stärkeres elektrisches Feld entspricht dann einer abschüssigeren Straße, auf der ein rollender Wagen schon auf einer kurzen Strecke dasselbe Tempo aufnimmt wie auf einem langen flacheren Weg. Doch mit der heutigen Technologie lässt sich das elektrische Feld kaum noch steigern. Im übertragenen Sinne sind die heutigen Beschleuniger ein Hang mit begrenztem Gefälle.
Mit Licht lässt sich die Beschleunigungskraft für Elektronen verhundertfachen
Die Grenzen heutiger Teilchenbeschleuniger setzt das Material, aus dem sie bestehen: Metall. Eine zu hohe elektrische Feldstärke beschädigt die Metalloberflächen. Mit der elektrischen Feldstärke bleibt auch die Energie begrenzt, die einem Teilchen auf jedem Meter Wegstrecke zugeführt werden kann.
Ein hundert Mal größeres elektrisches Feld als Metalle halten nichtleitende (dielektrische) Materialien wie etwa Glas aus, sofern die Quelle des elektrischen Feldes Licht ist. „Somit kann die Beschleunigungskraft potenziell verhundertfacht werden“, sagt John Breuer, der im Rahmen seiner Doktorarbeit am Max-Planck-Institut für Quantenoptik Elektronen mit Licht beschleunigt hat. „Statt Kilometer wären Beschleuniger dann lediglich zehn Meter lang“, fügt er hinzu. Also liegt es nahe, für Teilchenbeschleuniger der nächsten Generation dielektrische Materialien zu wählen und die Teilchen mit Lichtwellen anzutreiben. John Breuer und Peter Hommelhoff haben dazu Glas und gepulstes Laserlicht verwendet. Zeitgleich mit einem Team um Forscher der Universität Stanford und des SLAC National Accelerator Laboratory im kalifornischen Menlo Park haben sie es als erste geschafft, Elektronen mit Licht auf diese Weise zu beschleunigen
An der Front evaneszenter Wellen werden Elektronen beschleunigt
Das im Experiment der Garchinger Forscher verwendete Glasstückchen besitzt an seiner Oberfläche schmale Rillen in einem Abstand von 750 Nanometern, was etwa der Wellenlänge des roten Laserlichtes entspricht. Dieses Beugungsgitter, welches etwa zwei Hunderstel Millimeter breit ist, lenkt senkrecht darauf auftreffendes Licht von seiner geradlinigen Ausbreitungsrichtung ab. Der Lichtstrahl wird dabei in verschiedene Anteile, so genannte Moden, aufgespalten. Bei einigen dieser Moden handelt es sich um evaneszente Wellen: Lichtwellen, die sich nicht in den Raum hinter dem Gitter ausbreiten. Stattdessen laufen sie parallel zur Oberfläche des Gitters. Breuer und Hommelhoff nutzten eine solche evaneszente Welle, um Elektronen zu beschleunigen.
Mit der Elektronenquelle eines herkömmlichen Elektronenmikroskops schossen sie die Elementarteilchen über die Oberfläche des Glasgitters, also parallel zur Laufrichtung der evaneszenten Wellen. Ein Teil der Elektronen erfuhr dabei einen ähnlichen Effekt wie ihn Wellensurfer nutzen. An den Wellenfronten beschleunigt das dort wirkende elektrische Feld die Elektronen auf ähnliche Weise wie der Abhang eines Wellenberges Surfer antreibt. Die Forscher konnten eine Beschleunigungskraft von 25 Megaeletronenvolt pro Meter messen, was in etwa der Kraft heutiger Beschleuniger entspricht. „Das zeigt, dass das Prinzip funktioniert“, sagt Breuer. Um allerdings eine für Teilchenphysik interessante Endenergie zu erreichen, müsste das Glasgitter komplexer gestaltet werden. Die evaneszenten Wellen müssten dafür mit den beschleunigten Elektronen an Geschwindigkeit gewinnen. Ihr Tempo hängt vom Abstand der Rillen im Glas ab, dieser Abstand müsste daher über die Beschleunigungsstrecke hinweg wachsen. Dadurch würde auch die Beschleunigungskraft zunehmen. Ein so konzipierter Teilchenbeschleuniger ließe sich dann wesentlich kleiner bauen als heutige Anlagen. Breuer betont in diesem Zusammenhang, dass zu diesem Zweck parallel entwickelte Techniken wie die Garchinger und die aus Stanford kombiniert werden könnten.
Aus mehreren Gittern lässt sich eine leistungsfähige Anlage bauen
Als wichtigsten Vorteil der neuen Methode nennt Breuer die leichte Skalierbarkeit des Verfahrens. Das bedeutet, dass sich ein Beschleuniger durch Aneinanderreihen von mehreren Gittern einfach zu einer leistungsfähigeren Anlage ausbauen lässt. Ein weiterer Vorzug sei, dass sich die beschleunigten Elektronenpulse zeitlich feiner steuern ließen. Weil die Frequenz des antreibenden Lichtes deutlich höher ist als die von Mikrowellen ließen sich zudem Elektronenpulse mit höherer Frequenz erzeugen, betont Breuer. So entstünde quasi ein extrem schnelles Elektronen-Stroboskop, das es erlaubt, schnelle Vorgänge wie etwa Veränderungen in einem Kristall zu untersuchen. „Auch für den Bau künftiger, kostengünstiger und kompakter Freie-Elektronen-Laser eignet sich die Methode“, fügt Breuer hinzu. Solche Röntgenstrahlungs-Quellen sind ebenfalls gefragte Forschungsinstrumente in der Materialwissenschaft und Biologie.
Grenzen hätten allerdings auch Beschleuniger oder Freie-Elektronen-Laser, die auf der neuen Garchinger Methode aufbauen. Sie würden einen geringen Elektronenstrom erzeugen und kleinere Strahldurchmesser liefern. Die damit verbundene geringere Leistung des Röntgenlichts im Vergleich zu heute üblichen Synchrotronquellen kann allerdings dadurch wettgemacht werden, dass solche neuartige Quellen bessere kohärente Eigenschaften aufweisen – die Lichtwellen ihrer Pulse schwingen also genauer im Gleichtakt als die Wellen gewöhnlicher Synchrotron-Strahlung. Dies würde eine Vielzahl neuer Experimente ermöglichen, die von hochauflösender Tomografie bis hin zur Spektroskopie von Atomkernen reichen.
In Zukunft will das Garchinger Forscherteam Strukturen aus dielektrischen Materialen bauen, die länger sind als die jetzigen wenigen Hunderstel Millimeter und somit eine höhere Beschleunigung ermöglichen. Dabei haben sie auch das Material Silizium im Blick, auf dem sich komplexere Strukturen dank in der Halbleiterindustrie etablierter Methoden leichter aufbringen lassen, als auf Glas. Christian Meier/MPG