Sisyphus-Arbeit für polare Moleküle
Neue Methode für die Kühlung von polaren Molekülen birgt das Potential, molekulare Gase in der Nähe des absoluten Temperaturnullpunkts zu untersuchen.
Die Untersuchung extrem kalter Moleküle ist für eine Reihe von Fragestellungen der Grundlagenforschung interessant. Sie könnte Auskunft darüber geben, wie chemische Reaktionen im Weltall ablaufen. Ultrakalte molekulare Gase könnten als Quantensimulatoren, einzelne kalte Moleküle als Quantenspeicher eingesetzt werden. Doch was bei Atomen schon seit einiger Zeit gelingt – sie auf Temperaturen im Nanokelvin-Bereich abzukühlen – erweist sich bei Molekülen aufgrund ihrer großen Komplexität als ungleich schwieriger. Ein Wissenschaftlerteam der Abteilung Quantendynamik von Prof. Gerhard Rempe am Max-Planck-Institut für Quantenoptik hat nun eine neue Kühlmethode entwickelt – die optoelektrische „Sisyphus-Kühlung“ –, die erstmals das Potential birgt, zu diesen bislang für größere und mehr-atomige Moleküle unerreichten tiefen Temperaturen vorzustoßen (Nature, AOP, 14. November 2012).
Der entscheidende Schritt, Atome auf extrem tiefe Temperaturen zu bringen, war die Entwicklung der Laserkühlung. Dabei werden die Atome mit Laserlicht bestrahlt, dessen Energie ein klein wenig unterhalb der Anregungsenergie für einen ausgewählten elektronischen Übergang liegt. Nur Atome, die den Laserstrahlen direkt entgegenlaufen, sind aufgrund des Dopplereffekts in Resonanz, werden angeregt und dabei in dieser Richtung abgebremst. Dieses Verfahren ist die Voraussetzung für die Anwendung weiterer Kühltechniken, die schließlich den Nanokelvin-Bereich erschließen, in dem atomare Ensembles neuartige Materiephasen bilden können.
Das Prinzip der Laserkühlung kann bei mehr-atomigen Molekülen nicht mehr funktionieren, da diese zu viele Anregungsmöglichkeiten besitzen: Hier gibt es nicht nur die elektronischen Anregungszustände – hinzu kommen Vibrationsanregungen, bei denen die Atome gegeneinander schwingen, und Rotationsanregungen, die Drehungen des Moleküls um eine Achse entsprechen. Doch ein Großteil der Moleküle besitzt dafür eine andere Eigenschaft, die sich zum Kühlen nutzen lässt: aufgrund der unterschiedlichen Elektronenaffinitäten der Atome kommt es innerhalb des Moleküls zu Ladungsverschiebungen. So fühlen sich, wie allgemein bekannt, die Elektronen in Wassermolekülen (H2O) stärker zu dem Sauerstoffatom als zu den Wasserstoffatomen hingezogen. Auf diese Weise bilden sich ein negativer und ein positiver Ladungsschwerpunkt aus. Auch wenn solche polaren Moleküle nach außen hin elektrisch neutral sind, besitzen sie somit ein ausgeprägtes Dipolmoment. Dies hat zur Folge, dass sich ihre Anregungsniveaus in einem statischen elektrischen Feld aufspalten – je nachdem, ob der Dipol parallel oder antiparallel zum elektrischen Feld ausgerichtet ist. Dieser sogenannte Stark-Effekt (benannt nach dem deutschen Physiker Johannes Stark) ist der Schlüssel zum optoelektrischen Sisyphus-Kühlen.
In dem hier beschriebenen Experiment wird die neue Kühltechnik an einem Ensemble aus ca. einer Million polaren CH3F-Molekülen getestet. Die bereits auf rund 400 Millikelvin vorgekühlten Teilchen sind zwischen den beiden Platten eines Kondensators gefangen, dessen Feld im Zentrum sehr gleichmäßig ist, aufgrund einer Mikrostrukturierung der Plattenoberfläche zum Rand hin jedoch stark ansteigt. Infolge der Wechselwirkung der molekularen Dipole mit dem elektrischen Feld zeigen ihre Energie-Niveaus die oben erwähnte Stark-Aufspaltung. Ein Kühlzyklus beginnt damit, Moleküle im Zentrum der Falle durch Infrarotstrahlung auf ein höher gelegenes Niveau anzuregen. Von dort aus gehen sie wieder unter Aussendung von Photonen spontan in den Grundzustand über. Dabei kann sich allerdings die Ausrichtung ihres Dipolmoments relativ zum elektrischen Feld ändern.
Abb. 1: Skizze des experimentellen Aufbaus für die „Sisyphus-Kühlung“ der polaren Moleküle. Graphik: Rosa Glöckner, MPQ
„Damit ein Molekül erfolgreich gekühlt werden kann, müssen nun zwei Schritte erfolgen“, erklärt Martin Zeppenfeld, der das Experiment im Rahmen seiner Doktorarbeit konzipiert und mit seinen Kollegen aufgebaut hat. „Zum einen muss es in dem höheren der beiden Stark-Zustände gelandet sein. Zum andern muss es sich anschließend in die Randzone der Falle bewegen, in der das elektrische Feld stark ansteigt.“ Wenn das Molekül diesen ‚Berg‘ hoch läuft, wandelt sich ein großer Teil seiner Bewegungsenergie in potentielle Energie um. Genau an diesem Punkt wird das Dipolmoment des Moleküls mit geeigneten Radiofrequenzfeldern gezielt gedreht, sodass es in den tieferen Stark-Zustand übergeht. Da hier die Wechselwirkung mit dem elektrischen Feld kleiner ist, gewinnt es beim ‚Zurückrollen‘ ins Fallenzentrum weniger Energie als es beim ‚Hochlaufen‘ aufgewendet hat. „Hier liegt die Analogie zur mühevollen Arbeit des antiken Helden Sisyphus“, erläutert Zeppenfeld. „Die Methode nutzt die spontane Photonenemission besonders effizient für die Verringerung der Entropie des Systems. Die eigentliche Abkühlung erfolgt dagegen durch die starke Wechselwirkung der Dipole mit den elektrischen Feldern in der Teilchenfalle.“
Bereits mit einigen Wiederholungen des Zyklus wird das System relativ stark – von 390 Milli-Kelvin auf 29 Milli-Kelvin – abgekühlt. „Diese Technik lässt sich auf viele unterschiedliche Moleküle anwenden, solange diese nicht zu groß sind und ein ausgeprägtes Dipolmoment besitzen“, betont Barbara Englert, die an diesem Experiment als Doktorandin forscht. Potentielle Anwendungen sieht sie in der Entwicklung molekularer Schaltungen, insbesondere in Verbindung mit supraleitenden Materialien. Rosa Glöckner, ebenfalls Doktorandin am Experiment, ist dagegen vor allem von den Möglichkeiten für die Vielteilchenphysik fasziniert. „Unsere Methode hat das Potential, molekulare Gase so stark abzukühlen, dass wir andere Kühltechniken wie das Verdampfungskühlen anschließen können. Damit könnten wir in den für die Bildung eines Bose-Einstein-Kondensats notwendigen Nanokelvin-Bereich vorstoßen.“ Von besonderem Interesse dabei sei es, das Verhalten polarer Moleküle in optischen Gittern zu untersuchen, da sich die Reichweite der Dipol-Wechselwirkung über mehrere Gitterplätze erstreckt.
Abb. 2: Künstlerische Darstellung der optoelektrischen Sisyphus-Kühlung. Graphik: Alexander Prehn, MPQ
Bis solche Anwendungen möglich werden, ist noch ein weiter Weg zu bewältigen. „Wir haben aber noch eine Reihe von Möglichkeiten, das aktuelle Experiment zu optimieren, von Verbesserungen an der elektrischen Falle oder am Nachweisverfahren für die Moleküle bis hin zur Verwendung anderer Molekülspezies“, meint Martin Zeppenfeld. „Somit dürften wir schon relativ bald zu deutlich niedrigeren Temperaturen vorstoßen. Schon jetzt aber ermöglicht unsere Technik neuartige Untersuchen an polaren Molekülen – von hochauflösender Spektroskopie bis hin zur Untersuchung von Stößen zwischen gefangenen Molekülen in durchstimmbaren homogenen elektrischen Feldern.“ Olivia Meyer-Streng
Kontakt:
Prof. Dr. Gerhard Rempe
Direktor am Max-Planck-Institut für Quantenoptik
Hans-Kopfermann-Straße 1, 85748 Garching
Telefon: +49 (0)89 32 905 -701 / Fax: -311
E-Mail: gerhard.rempe@mpq.mpg.de
Dipl. Phys. Martin Zeppenfeld
Max-Planck-Institut für Quantenoptik
Hans-Kopfermann-Straße 1, 85748 Garching
Telefon: +49 (0)89 32 905 -726 / Fax: -395
E-Mail: martin.zeppenfeld@mpq.mpg.de
Dr. Olivia Meyer-Streng
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für Quantenoptik
Telefon: +49 (0)89 32 905 -213
E-Mail: olivia.meyer-streng@mpq.mpg.de