Auf Quantenpfaden durch das Heliumatom
Mittels Elektronenholographie in ultrakurzen Laserimpulsen durchleuchten Wissenschaftler der Max-Planck-Institute für Kernphysik und Quantenoptik erstmals Heliumatome.
Wie bewegen sich die Elektronen in einem Atom, und was genau passiert, wenn diese Bewegung gestört wird? Antworten darauf konnte bisher nur die theoretische Physik geben, da sich eine direkte zeitaufgelöste Abbildung dieser Prozesse den verfügbaren Messmethoden entzog. Einen neuen Zugang bietet die Attosekundenphysik, die eine Genauigkeit von weniger als einem Millionstel einer Milliardstel Sekunde verspricht. Am Max-Planck-Institut für Quantenoptik (MPQ) in Garching konnten Wissenschaftler des Heidelberger Max-Planck-Instituts für Kernphysik (MPIK) um Prof. Joachim Ullrich in Zusammenarbeit mit ihren Garchinger Kollegen aus der Nachwuchsgruppe von Dr. Matthias Kling nachweisen, dass Elektronen aus der Ionisation von Heliumatomen in ultrakurzen Laserimpulsen eine der Holographie analoge Interferenz zeigen. Damit wurde eine wichtige Grundlage für Elektronenholographie von Atomen gelegt (Physical Review Letters 103, 053001 (2009), Advance Online Publication 27. Juli 2009).
Die Struktur und Bewegung von Quantensystemen zeitaufgelöst detailliert zu erfassen ist ein alter Wunschtraum der Physiker, dessen Erfüllung man in den letzten Jahren durch erhebliche methodische Fortschritte immer näher gekommen ist. Eine der größten Herausforderungen ist die Abbildung von Elektronen in der Atomhülle, vollzieht sich deren Bewegung doch innerhalb von Attosekunden (10-18 Sekunden). Daher haben sich die Max-Planck-Forscher die quantenmechanische Welleneigenschaft des Elektrons, mit sich selbst interferieren zu können, zunutze gemacht, um einen tieferen Einblick in die Atomhülle zu erhalten. Interferenz ist auch die Grundlage der optischen Holographie: Hier durchlaufen Lichtwellen einen Strahlteiler, wobei ein Teilstrahl an dem zu untersuchenden Objekt reflektiert wird, um dann wieder mit dem auf direktem Wege gelaufenen Teilstrahl überlagert zu werden. Das dabei entstehende Interferenzmuster trägt die vollständige Information über das abgetastete Objekt und erlaubt daraus dessen Rekonstruktion.
Im aktuellen Experiment spielt nun das Heliumatom selbst die Rolle des Strahlteilers, indem es einem Laserimpuls ausgesetzt wird, der nur wenig länger als ein Schwingungszyklus dauert: Hier kann das Elektron nur in ganz kurzen Zeitspannen von einigen Attosekunden durch das Laserfeld aus dem Atom herausgerissen werden, nämlich dann, wenn die Amplitude der Schwingung ihr Maximum erreicht hat. Aufgrund des hier verwendeten sinusförmigen Verlaufs des elektrischen Feldes (siehe Abb. 1) gibt es genau zwei Zeitpunkte t1 und t2 für diesen Vorgang.
Wird das Elektron zur Zeit t1 freigesetzt, so erzwingt der nachfolgende Verlauf der Feldstärke eine Kehrtwende und es muss wieder sein Mutterion passieren, bevor es das Atom endgültig verlässt. Dabei prägt das Mutterion dem Elektronen-Wellenpaket auf diesem Quantenpfad seine Eigenheiten auf. Erfolgt dagegen die Freisetzung zur Zeit t2, kann das Elektron ohne diesen Umweg herauslaufen (Abb. 1). Sind Richtung und Geschwindigkeit des Elektrons auf beiden möglichen Wegen am Ende identisch, und damit die Quantenpfade, welche ein und dasselbe Elektron gehen kann, ununterscheidbar, so kommt es zur Interferenz wie im bekannten Doppelspaltexperiment (Abb. 1). Analog zur optischen Holographie wird das Mutterion bestehend aus dem Atomkern und dem in der Atomhülle verbliebenen zweiten Elektron, als Objekt gewissermaßen von dem ersten Elektronen-Wellenpaket abgebildet. Den Referenzstrahl bildet das zu t2 freigesetzte direkte Elektron.
Zum Nachweis der Elektronen dient ein am Heidelberger MPIK entwickeltes und gebautes Reaktionsmikroskop, welches für das gemeinsame Experiment an der AS-1-Beamline des MPQ installiert wurde. Die mit einer Repetitionsrate von 3 kHz erzeugten linear polarisierten Laserimpulse von fünf Femtosekunden (10-15 Sekunden) Dauer und einer Wellenlänge von 740 nm werden in einer Ultrahochvakuumkammer auf einen Überschall-Gasjet aus Heliumatomen fokussiert. Mit schwachen elektrischen und magnetischen Feldern werden die Reaktionsprodukte – die freigesetzten Elektronen sowie die Heliumionen – auf zwei Detektoren gelenkt. Aus der Flugzeit und dem Auftreffort lässt sich Richtung und Geschwindigkeit der Teilchen bestimmen.
Die Häufigkeitsverteilungen der so ermittelten Messwerte verglichen die Physiker mit Resultaten einer von Dieter Bauer (MPIK) durchgeführten theoretischen Modellrechnung (Abb. 2). Es zeigte sich, dass die gemessenen Werte qualitativ sehr gut mit der Vorhersage übereinstimmen, wobei das Modell nicht die gesamte Komplexität des Heliumatoms berücksichtigt. Daraus schließen die Forscher, dass die beobachteten Interferenzmuster in der Tat wie in einem Doppelspaltexperiment entstehen. Die Spalte sind dabei die beiden Zeitfenster, in denen das Elektron freigesetzt werden kann. Aus den gemessenen Strukturen folgt, dass die effektive Spaltbreite lediglich ca. 20 Attosekunden beträgt. Die mit dem Reaktionsmikroskop gemessene dreidimensionale Geschwindigkeitsverteilung des Elektrons einschließlich der darin enthaltenen Interferenzmuster könnte so als zeitabhängiges Hologramm des Heliumions aufgefasst werden. Die Forscher um Ullrich und Kling messen dieser Methode ein großes Potential bei, weitere Fortschritte bei der Abbildung der inneren Dynamik von Atomen zu erzielen und zeitabhängige Informationen über atomare und molekulare Strukturen zu erhalten. Bei einer noch besseren Kontrolle der Wellenform der Laserimpulse könnte man beispielsweise zeitliche Veränderungen der Elektronen des Rumpfions auf einer Attosekunden Zeitskala sichtbar machen.
Abb. 1: Ionisation von Helium in einem ultrakurzen Laserimpuls. Das Elektron wird zu den Zeitpunkten t1 bzw. t2 im jeweiligen Maximum der elektrischen Feldamplitude (gelbe Kurve) aus dem Atompotential (blauer Trichter) freigesetzt. Die beiden Teilwege tasten dabei das Rumpfion in verschiedener Weise ab. Die entsprechenden Wellenpakte des auslaufenden Elektrons (rechts) überlagern sich schließlich und interferieren.
Abb. 2: Berechnetes Interferenzmuster eines Elektrons nach Ionisation von Helium in einem ultrakurzen Laserimpuls. Dargestellt ist die Häufigkeitsverteilung der Geschwindigkeit parallel (horizontale Achse) und senkrecht (vertikale Achse) zur Laserpolarisation.
Abb. 3: Künstlerische Darstellung der Ionisation von Helium in einem ultrakurzen Laserimpuls und der beiden Wege des Elektrons zum Detektor, auf dem ein Interferenzmuster entsteht.
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Dr. Matthias F. Kling
JRG “Attosecond Imaging”
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