Physiker entwickeln ein effizientes Modem für das zukünftige Quanteninternet

Physiker am Max-Planck-Institut für Quantenoptik haben die grundlegende Technologie für ein neues „Quanten-Modem“ entwickelt, mit dem sich in Zukunft Quanteninformation durch das bestehende Glasfasernetz senden lässt.

5. November 2020
Die erste Quantenrevolution brachte die Halbleiterelektronik, den Laser und schließlich das Internet hervor. Die kommende, zweite Quantenrevolution verspricht abhörsichere Kommunikation, extrem genaue Quantensensoren und Quantencomputer für bislang unlösbare Rechenaufgaben. Noch aber steckt diese Revolution in den Babysocken. Ein zentrales Forschungsobjekt ist die Schnittstelle zwischen lokalen Quantengeräten und der Fernübertragung der hochsensiblen Quanteninformation durch Lichtquanten. An einem solchen „Quantenmodem“ forscht die Otto-Hahn-Gruppe „Quanten-Netzwerke“ am Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching. Dem Team ist nun ein erster Durchbruch zu einer relativ einfachen, aber hocheffizienten Technik gelungen, die sich in bestehende Glasfasernetze integrieren lässt. Die Arbeit ist gestern im Fachmagazin „Physical Review X“ erschienen.

Die Corona-Pandemie führt uns tagtäglich vor Augen, wie wichtig das Internet geworden ist. Das World Wide Web, einst ein Nebenprodukt physikalischer Grundlagenforschung, hat unsere Kultur radikal verändert. Könnte ein Quanteninternet zum nächsten großen Innovationsschub aus der Physik heraus werden?

Noch ist es für eine Antwort zu früh, aber die Grundlagenforschung arbeitet längst am Quanteninternet. Viele Anwendungen werden zwar spezieller und sinnlich weniger erfahrbar sein als Videokonferenzen, aber die Bedeutung einer absolut abhörsicheren Fernkommunikation ist für alle nachvollziehbar. „Über ein Quanteninternet könnte man in Zukunft auch Quantencomputer, die an verschiedenen Orten stehen, zusammenschalten“, sagt Andreas Reiserer, „was deren Rechenleistung erheblich steigern würde!“ Der Physiker leitet die eigenständige Otto-Hahn-Forschungsgruppe „Quanten-Netzwerke“ am Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching.

Beim Quanteninternet geht es also im Kern um das globale Vernetzen neuer Technologien, die die Quantenphysik konsequent wie nie zuvor nutzen. Allerdings erfordert dies geeignete Schnittstellen für die extrem empfindliche Quanteninformation. Technisch ist das eine enorme Herausforderung, deshalb sind solche Schnittstellen eine zentrale Baustelle der Grundlagenforschung. Sie müssen möglichst verlustarm dafür sorgen, dass ruhende Quantenbits – kurz Qubits – effizient mit „fliegenden“ Qubits für die Fernkommunikation interagieren, ohne die Quanteninformation zu zerstören. Ruhende Qubits befinden sich in den lokalen Geräten, zum Beispiel als Speicher oder Prozessor eines Quantencomputers. Fliegende Qubits sind in der Regel Lichtquanten, Photonen, die die Quanteninformation durch die Luft, das Vakuum des Weltalls oder durch Glasfasernetze transportieren.

Heikle Verbindung zwischen Quantenbits

Das „Quanten-Modem“ muss nun eine Verbindung zwischen fliegenden und ruhenden Qubits effizient herstellen können. Dafür hat das Team um den Doktoranden Benjamin Merkel eine neue Technik entwickelt und gerade ihre grundlegende Funktionsfähigkeit demonstriert. Ihr entscheidender Vorteil: Sie wäre in das bereits bestehende Telekommunikations-Glasfasernetz integrierbar. Damit ließe sich eine funktionierende Fernvernetzung von Quantentechnologien am schnellsten vorantreiben.

Damit das funktioniert, müssen die vom Modem als Quanteninformationsträger gesendeten oder empfangenen Photonen präzise an die Infrarotwellenlänge des zur Telekommunikation genutzten Laserlichts angepasst sein. Das bedeutet, dass das Modem ruhende Qubits besitzen muss, die genau auf diese Infrarotphotonen mit einem Quantensprung reagieren können. Nur so lässt sich die empfindliche Quanteninformation direkt zwischen den ruhenden und fliegenden Qubits übertragen.  

Eine ausführliche Recherche der Garchinger ergab, dass das Element Erbium dafür am besten geeignet ist, denn darin können Elektronen einen passenden Quantensprung vollführen. Leider machen die Erbiumatome diesen Quantensprung höchst ungern. Sie müssen also in einer geeigneten Umgebung fixiert werden, die sie zu einer schnelleren Reaktion zwingt. Um dieses Problem zu lösen, werden die Erbiumatome und die Infrarotphotonen möglichst lange in einen geeigneten Raum eingesperrt. „Sie können sich das wie eine Party vorstellen, die eine möglichst gute Kommunikation zwischen, sagen wir, zehn Gästen stimulieren soll“, erklärt Reiserer. Dabei ist die Größe des Raums entscheidend. „In einem Fußballstadium würden sich die Gäste verlieren, eine Telefonzelle wäre wiederum zu eng“, fährt der Physiker fort, „aber ein Wohnzimmer hätte gerade die richtige Größe.“

Die Party wäre allerdings schnell vorbei, weil die lichtschnellen Photonen höchst flüchtig sind und gerne verschwinden. Daher nutzt das Garchinger Quanten-Modem ein winziges Spiegelkabinett als „Wohnzimmer“: Zwischen fast hundertprozentig perfekten Infrarotspiegeln liegt wie die Butterschicht in einem Sandwich ein nur knapp zwanzig Mikrometer dünner, transparenter Kristall aus einer Yttriumsilikatverbindung, der die Erbiumatome enthält. Zum Vergleich: Menschliches Haar ist fünfmal so dick. Der Abstand der Spiegel ist etwa doppelt so groß wie die Kristalldicke. Um die für Quanteninformation zerstörerische Wärmewackelei der Atome auszuschalten, wird das Ganze auf minus 271 °C gekühlt.

Photonen-Pingpong im Spiegelkabinett

Die zwischen den Spiegeln gefangenen Photonen werden durch den Kristall hin und her reflektiert, wie Pingpongbälle. Dabei kommen sie so oft an den Erbiumatomen vorbei, dass diese genug Zeit haben, mit einem Quantensprung zu reagieren. Im Vergleich zur Situation ohne Spiegelkabinett geschieht das sehr viel effizienter und fast sechzigmal schneller. Da die Spiegel trotz ihrer Perfektion auch etwas durchlässig für die Photonen sind, kann sich das Modem mit dem Netz verbinden.

„Über den Erfolg sind wir sehr glücklich“, freut sich Reiserer. Als nächsten Schritt möchte er das Experiment so verbessern, dass einzelne Erbiumatome via Laserlicht als Qubits adressierbar sind. Das ist nicht nur ein wichtiger Schritt zu einem einsetzbaren Quantenmodem. Vielleicht lassen sich Erbiumatome als Qubits in einem Kristall sogar direkt als Quantenprozessor, also zentrales Teil eines Quantencomputers, einsetzen. Das würde das Modem auf einfache Weise kompatibel mit solchen Quantenendgeräten machen.

Mit einer so eleganten Lösung wären auch vergleichsweise einfach konstruierte „Quantenrepeater“ möglich. Diese Geräte müssten im Glasfasernetz alle hundert Kilometer die zunehmenden Verluste der Quanteninformation transportieren Photonen als „Zwischenverstärker“ ausgleichen. Quantenrepeater stehen ebenfalls im Fokus der Forschung. „Obwohl so ein Gerät auf Basis unserer Technologie Hunderttausend Euro kosten würde, wäre ein flächendeckender Einsatz nicht unrealistisch“, sagt Reiserer.

Noch ist das Garchinger Quanten-Modem reine Grundlagenforschung. Doch es hat das Potenzial, die technische Realisierung eines Quanteninternets voranzutreiben.

 (RW/MPQ)

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