Einsteins „spukhafte Fernwirkung“ nachgewiesen ohne sie zu zerstören

Physiker am MPQ haben eine neue Methode entwickelt, um die Verschränkung von zwei entfernten atomaren Qubits zerstörungsfrei zu detektieren.

Verschränkung ist eine der wichtigsten Eigenschaften von Quantenteilchen und eine Kernressource vieler aufstrebender Quantentechnologien. Wie für die Quantenwelt typisch, ist sie jedoch ein sehr fragiles Phänomen, das bei der Messung oft zerstört wird. Ihr Nutzen als Ressource war dadurch begrenzt. Bis jetzt: Mit Photonen als Hilfsmittel hat ein Team von Physikern am Max-Planck-Institut für Quantenoptik (MPQ) erfolgreich eine neuartige Technik entwickelt, um verschränkte Zustände entfernter Qubits zu detektieren und dabei die wertvolle Verschränkung zu erhalten. Dieses Forschungsergebnis liefert der Wissenschaft nun ein wichtiges neues Werkzeug, um große Visionen von großflächigen Quantennetzwerken oder verteilt rechnenden Quantencomputern zu verwirklichen. Die Arbeit wurde im Fachmagazin Nature Photonics publiziert.

Was Einstein einst als „spukhafte Fernwirkung“ beschrieb, gehört zu den paradoxesten und verblüffendsten Prinzipen der gesamten Physik. Die Verschränkung ermöglicht es, dass Teilchen auf eine Weise miteinander korreliert sind, dass sie nicht mehr unabhängig voneinander charakterisiert werden können – obwohl sie sich an unterschiedlichen Orten befinden. Sie scheinen durch eine unsichtbare Kraft miteinander verbunden zu sein, solange die Verschränkung besteht. „Dieses rätselhafte aber sehr charmante Konzept der Quantenmechanik ist eine extrem wertvolle Ressource für viele der neuen vielversprechenden Quantentechnologien“, erklärt Prof. Gerhard Rempe, Direktor der Gruppe Quantendynamik am MPQ und Leiter des Forschungsteams. Unter anderem Quantencomputer setzen auf die Verschränkung von Qubits – Quantenspeicher für Informationen – um schnell komplexe Berechnungen auszuführen.

Verschränkung aufspüren und messen

Da die Verschränkung für viele Anwendungen so elementar ist, ist die Wissenschaft unentwegt darum bemüht, neue und effiziente Methoden zu finden, um verschränkte Zustände nicht nur zu erzeugen, sondern auch zu detektieren. „Verschränkte Zustände detektieren bedeutet, herauszufinden – oder zu messen – auf welche genaue Art und Weise Qubits miteinander verschränkt sind“, erklärt Stephan Welte, Erstautor der Arbeit. Allerdings gibt es viele verschiedene Arten, wie Qubits miteinander verschränkt sein können, und es ist sehr schwierig, sie alle zu unterscheiden. Hinzu kommt, dass die Verschränkung sehr anfällig ist, und bei dem Versuch, sie zu messen, leicht zerstört werden kann.

Eine Analogie mag dem Verständnis an dieser Stelle hilfreich sein: Nehmen wir an, wir haben einen einfachen Fall von nur zwei verschränkten Qubits. Wir stellen uns diese zwei Qubits als zwei Fadenstränge vor, die vollständig miteinander verknüpft und somit verschränkt sind. Den Zustand ihrer Verschränkung zu detektieren, bedeutet herauszufinden, auf welche Art und Weise sie verknotet wurden. Wer versucht, diesen Fall zu lösen und beide Fadenstränge direkt vor sich hat, würde wohl folgendermaßen vorgehen: die Verbindung auftrennen, um zu sehen, wie sie ursprünglich miteinander verknotet wurden. Diese Methode ist effektiv und das worauf sich die meisten bisherigen Techniken stützen – mit einem immanenten Problem: Sobald die Fäden getrennt wurden, ist die Verschränkung verschwunden.

Photonen als Hilfsmittel

Die Frage, die sich also stellte, lautet: Wie ist es möglich, den verschränkten Zustand von zwei oder mehr Qubits zu erkennen, ohne ihn dabei zu zerstören? Im Laufe des letzten Jahres hat ein Team von Physikern um Emanuele Distante und Stephan Welte, beide Postdoktoranden am MPQ, dieses Problem eingängig untersucht und nun in der Fachzeitschrift Nature Photonics eine neuartige Methode vorgeschlagen. Die Physiker fügten ihrer zu detektierenden Verschränkung zwei zusätzliche Photonen, als „Extra-Fäden“ hinzu, ließen diese mit den Qubits interagieren und überprüften wie sich beide Photonen nach der Interaktion verändert hatten. Um bei der obigen Analogie zu bleiben: Die Wissenschaftler heften die Extra-Fäden (Photonen) jeweils an die ursprünglichen verknoteten Fäden (Qubits) an und je nachdem welche Gestalt die Extra-Fäden nach dem Anknüpfen annehmen, können die Wissenschaftler ableiten, auf welche Weise die ursprünglichen Fäden miteinander verbunden sind. „Der entscheidende Unterschied ist, dass die Verschränkung gemessen wird, ohne die Qubits zu entkoppeln, bzw. die Fäden zu entwirren. Das Ergebnis wird sozusagen abgeleitet und nicht durch Auftrennen offengelegt. Dadurch können wir die Verschränkung als bedeutende Ressource für eine zukünftige Nutzung erhalten“, erklärt Emmanuele Distante das Prinzip.

Wissenschaftliche Methode

Als Qubits verwendeten die Wissenschaftler zwei einzelne lasergekühlte Atome, die jeweils in der Mitte eines optischen Resonators – auch optischer Hohlraum genannt – sitzen. Dieser ist aus zwei gegenüberliegenden winzigen Spiegeln im Herzen einer Vakuumkammer aufgebaut. Die beiden Atome und ihre jeweiligen Resonatoren befinden sich in zwei verschiedenen Laboren und sind durch eine optische Glasfaser verbunden. Die beiden Photonen werden zunächst vom ersten Atom-Resonator-System reflektiert, wandern dann über die Glasfaser hinüber zum zweiten Atom-Resonator-System, werden dort erneut reflektiert und danach schließlich gemessen. Diese Messung liefert dann alle notwendigen Informationen, um die Verschränkung der beiden Atome logisch ableiten zu können – ohne die Verschränkung zu zerstören oder aufzulösen.

Ausbau eines Quantennetzwerkes

Die faszinierendste Aussicht für die Physiker ist nun, die zerstörungsfreie Messung der Verschränkung auch auf weitere Qubits auszuweiten. Die beiden atomaren Qubits könnte man sich nämlich auch als Teil eines größeren Quantennetzwerkes vorstellen, das weitere Qubits enthält. „Da sich Photonen in optischen Glasfasern bewegen, können wir mit ihnen auch mehr als nur zwei entfernte Qubits messen. Das sollte es uns ermöglichen, ein Quantenmessgerät zu bauen, das den Verschränkungszustand vieler Qubits – sagen wir drei, vier oder noch mehr – die sich in einem Netzwerk befinden, erkennt“, blickt Emanuele Distante in die Zukunft dieses Forschungsprojektes. „Bis dahin sind allerdings noch einige technische Hürden zu überwinden, aber immerhin: der Weg ist klar“, ergänzt Stephan Welte.

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