Kalte Moleküle auf Kollisionskurs
Mit einer neuen Kühlmethode gelingt Wissenschaftlern am MPQ die Beobachtung von Stößen in einem dichten Strahl aus kalten und langsamen dipolaren Molekülen.
Wie verlaufen chemische Reaktionen bei extrem tiefen Temperaturen? Um diese Frage zu beantworten, benötigt man molekulare Proben, die gleichzeitig kalt, dicht und langsam sind. Wissenschaftler um Dr. Martin Zeppenfeld aus der Abteilung Quantendynamik von Prof. Gerhard Rempe am Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching haben jetzt mit einer neuen Kühltechnik einen entscheidenden Schritt in diese Richtung gemacht. Ihre sogenannte „Kryofuge“ kombiniert kryotechnische Puffergas-Kühlung mit einer speziellen Zentrifuge, in der die bereits vorgekühlten dipolaren Moleküle mit Hilfe von rotierenden elektrischen Feldern auf Geschwindigkeiten von weniger als 20 Meter pro Sekunde abgebremst werden. Da gleichzeitig hohe Flussdichten erzielt wurden, gelang es dem Team, Stöße zwischen den kalten Molekülen zu beobachten. Für zwei ausgewählte Verbindungen mit ausgeprägtem Dipolcharakter wurden so Kollisionswahrscheinlichkeiten in Abhängigkeit von Geschwindigkeit und Flussdichte bestimmt (Science, 13. Oktober 2107). Das neue Verfahren ist ein Meilenstein für das Gebiet der kalten Chemie. Es könnte die Möglichkeit bieten, chemische Reaktionswege bei extrem tiefen Temperaturen zu kontrollieren und zu manipulieren.
Die Erzeugung von kalten Molekülen stellt eine große technische Herausforderung dar. Denn die bei Atomen hocheffiziente Laserkühlung funktioniert im allgemeinen nicht, weil Moleküle neben den elektronischen Energieniveaus noch Vibrations- und Rotationszustände besitzen. Allerdings ist bei vielen Molekülen wie z.B. Wasser (H2O) die elektrische Ladung unsymmetrisch verteilt. Moleküle mit einem so ausgeprägten Dipolcharakter lassen sich durch elektrische Felder beeinflussen und somit auch abbremsen.
Das MPQ-Team hantiert vor allem mit den Verbindungen Fluormethan (CH3F) und deuteriertem Ammoniak (ND3). Die Moleküle haben zu Beginn des Experiments eine Temperatur von 200 Kelvin und eine Geschwindigkeit von mehreren hundert Metern in der Sekunde. Sie werden zunächst in einer Kupferbox, die mit Helium- oder Neon-Gas gefüllt ist, auf 6 Kelvin (Helium) bzw. 17 Kelvin (Neon) gekühlt. Bei Austritt aus der Box haben sie nur noch eine Geschwindigkeit von 50 bis 100 Meter in der Sekunde. „Für uns kommt es aber nicht nur auf die Geschwindigkeit an“, betont Dr. Martin Zeppenfeld, Projektleiter. „In Hinblick auf die Stoßprozesse, die wir an den Molekülen beobachten möchten, ist es für uns entscheidend, dass – wie wir durch Kontrollmessungen nachweisen können – durch den Kühlprozess auch die internen Zustände gekühlt sind. D.h., die Moleküle sind nur in wenige und niedrige Rotations- bzw. Vibrationszustände angeregt.“
Über einen Quadrupol-Leiter werden die Moleküle zu dem zweiten Teil der Kühlanordnung, der sogenannten Zentrifuge, geleitet. „Dabei können wir über die an den Elektroden liegende Gleichspannung die Tiefe des Führungspotentials steuern, und damit auch, wie hoch die Dichte der Moleküle in dem Strahl ist“, erklärt Thomas Gantner, Doktorand am Experiment. „Je höher die Spannung, desto größer die Dichte. Diese Kontrollmöglichkeit ist wichtig, um in der anschließenden Messung den Ablauf der Stoßprozesse zwischen den Molekülen besser zu verstehen.“
In der Zentrifuge zirkulieren die Moleküle zunächst in einem äußeren Speicherring mit einem Durchmesser von 40 Zentimetern, der aus zwei statischen und zwei rotierenden Elektroden besteht. Von dort sammelt ein sich drehender Quadrupol-Leiter die Moleküle an einem beliebigen Punkt ein und führt sie entlang seiner nach innen spiralförmig gebogenen Struktur in die Mitte zur Drehachse. Die elektrischen Felder zwingen die Moleküle also gewissermaßen, sich ins Zentrum der Scheibe zu bewegen. Dabei müssen sie ständig gegen die nach außen drückende Zentrifugalkraft des mit 30 Hertz rotierenden Quadrupol-Leiters arbeiten und werden kontinuierlich abgebremst.
Bei Austritt aus der Zentrifuge werden die Moleküle über einen langen graden Quadrupol-Leiter zu einem Massenspektrometer gebracht. Dort werden sie hinsichtlich ihrer Geschwindigkeit analysiert. „Die Moleküle befinden sich ca. 25 Millisekunden lang in dem Quadrupol-Leiter“, erklärt Thomas Gantner das Messverfahren. „Dabei treten sie miteinander in Wechselwirkung, und in diesen Stoßprozessen gehen Moleküle verloren. Die Analyse mit dem Massenspektrometer zeigt uns, dass dies vor allem bei niedrigen Geschwindigkeiten der Fall ist, und dass der Verlust an Molekülen mit zunehmender Dichte des Molekularstrahls steigt. Die Modellrechnungen, mit deren Hilfe wir die Daten interpretieren, haben wir vor allem Xing Wu, dem Erstautor dieser Arbeit zu verdanken, der an diesem Experiment promoviert hat.“
„Die Beobachtung von molekularen Stößen in diesem Temperaturregime ist ein Meilenstein für das Gebiet der kalten Chemie“, betont Dr. Zeppenfeld. „Denn das Prinzip der Kryofuge ist sehr allgemein und funktioniert für eine Vielzahl von dipolaren Verbindungen. Wir denken, dass sich damit in Zukunft Experimente zu chemischen Reaktionen mit langen Wechselwirkungszeiten bei sehr tiefen Temperaturen realisieren lassen.“
Darüber hinaus könnte die Kryofuge die Möglichkeiten für die Forschung mit kalten Molekülen erheblich ausweiten. So könnte z.B. der Strahl kalter und langsamer Methanolmoleküle ideal sein, um zeitliche Schwankungen des Verhältnisses der Elektron-zu-Proton-Masse zu messen. Diese könnten nach theoretischen Vorhersagen durch die Wechselwirkung mit dunkler Materie zustande kommen. Die Kryofuge könnte auch als perfekte Quelle in Experimenten mit Laser-kühlbaren zwei-atomigen Molekülen dienen. Auf der anderen Seite vermitteln die Dipole langreichweitige und richtungsabhängige Wechselwirkungen über Mikrometer-Distanzen. Das macht kalte polare Moleküle besonders geeignet für Anwendungen in der Quantensimulation oder in Quantencomputern. „Die erstmalige Beobachtung von Stößen in einem kalten Gas aus natürlich vorkommenden Molekülen bringt uns auch dem Traum eines komplexen Quantengases wie zum Beispiel eines Bose-Einstein-Kondensats aus Wassermolekülen näher“, so Prof. Gerhard Rempe. Olivia Meyer-Streng