Rasante Reise durchs Kristallgitter
Forscher der TU-München und des Max-Planck-Instituts für Quantenoptik messen, wie lang Elektronen benötigen um einzelne Lagen aus Atomen zu durchqueren.
Wie schnell flitzen Elektronen durch die Atomlagen eines Kristallgitters? Dieser Frage ging ein internationales Wissenschaftlerteam unter Führung von Forschern der Technischen Universität München (TUM), in Zusammenarbeit mit Kollegen des Max-Planck-Instituts für Quantenoptik (MPQ) in Garching, der Ludwig-Maximilians-Universität München und der Technischen Universität Wien nach. Die Forscher bestimmten die Zeit, die Elektronen benötigen, um einen Film aus nur wenigen Lagen von Magnesiumatomen zu durchqueren.
Fast unvorstellbar kurz sind die Zeitdimensionen, in denen sich Elektronen innerhalb von Atomen bewegen. Werden sie etwa durch Licht angeregt, dann ändern sie ihren quantenmechanischen „Aufenthaltsort“ in nur Attosekunden-langen Zeitspannen. Eine Attosekunde ist ein Milliardstel einer milliardstel Sekunde.
Doch wie schnell flitzen Elektronen über Distanzen, die der Dicke einzelner Atomlagen entsprechen? Solche Distanzen sind wenige Milliardstel Meter lang. Diesen Laufzeiten der Elektronen ist nun ein internationales Forscherteam um Reinhard Kienberger, Professor für Laser- und Röntgenphysik an der Technischen Universität München und Forschungsgruppenleiter am Max-Planck-Institut für Quantenoptik nachgegangen.
Dazu brachten die Physiker auf einen Wolframkristall eine definierte Anzahl von Lagen aus Magnesiumatomen auf. Auf diese Proben schickten die Forscher zwei Lichtpulse. Der erste Lichtpuls dauerte rund 450 Attosekunden, bei Frequenzen im extremen Ultraviolett. Dieser Lichtblitz drang in das Material ein und löste sowohl aus den Magnesiumatomlagen als auch aus dem darunter liegenden Wolframkristall je ein sehr nahe am Atomkern gelegenes Elektron heraus.
Das „Wolfram-Elektron“ und das „Magnesium-Elektron“ bewegten sich nach ihrer Freisetzung durch den Kristall bis an dessen Oberfläche, an der sie den Festkörper verließen. (Elektronen aus dem Wolframkristall konnten maximal vier Lagen von Magnesiumatomen durchdringen.) Dort wurden die Teilchen vom elektrischen Feld des zweiten Lichtpulses erfasst, einem infraroten Wellenzug mit einer Dauer von weniger als fünf Femtosekunden.
Da das „Wolfram-Elektron“ und das „Magnesium-Elektron“ aufgrund unterschiedlich langer Wege auch zu unterschiedlichen Zeiten an der Oberfläche ankamen, spürten sie den zweiten, infraroten Lichtpuls zu verschiedenen Zeiten, d.h. sie erfuhren unterschiedliche Stärken des oszillierenden elektrischen Feldes. Demzufolge wurden beide Teilchen auch unterschiedlich stark beschleunigt. Aus den daraus resultierenden Energieunterschieden der Elektronen konnten die Forscher ermitteln, wie lange ein Elektron benötigte, um eine Lage von Atomen zu durchqueren.
Die Messungen ergaben, dass ein „Wolfram-Elektron“ beim Durchqueren einer Lage von Magnesiumatomen um rund 40 Attosekunden verzögert wird, also genau diese Zeit für den Gang durch diese Schicht benötigt.
Die Experimente geben Aufschluss darüber, wie Elektronen sich in der weitgehend unerforschten Welt des Mikrokosmos bewegen. Das Wissen, wie schnell sich ein Elektron von einem Ort zum anderen bewegt, ist für viele Anwendungen von großer Bedeutung: „Während sich beispielsweise in heutigen Transistoren eine Vielzahl von Elektronen über immer noch große Strecken bewegt, könnten in Zukunft einzelne Elektronen ein Signal über Nanostrukturen übermitteln“, sagt Prof. Reinhard Kienberger. „Dadurch könnten elektronische Geräte, z.B. auch Computer, um ein Vielfaches schneller und kleiner werden.“ Thorsten Naeser