Quantenmagneten auf Wanderschaft
LMU/MPQ-Wissenschaftler beobachten in einer Kette von ultrakalten Atomen die kohärente Ausbreitung von einzelnen quantenmagnetischen Störstellen.
Immer wieder entdecken Physiker Phänomene, die sie zunächst nicht erwartet hätten – etwa, dass manche Stoffe bei tiefen Temperaturen ihren elektrischen Widerstand fast vollständig verlieren, oder dass andere sogar bei überraschend hohen Temperaturen zu solchen Supraleitern werden. Bislang waren es vor allem Theoretiker, die ungewöhnliche Eigenschaften mit eigens dafür entwickelten Modellen erklärten. Doch man kann nicht direkt nachschauen, wie der Ladungstransport in einem Festkörperkristall wirklich abläuft, denn dieser Prozess ereignet sich auf extrem kleinen Zeit- und Längenskalen.
Ein Team um Prof. Immanuel Bloch (Lehrstuhl für Experimentalphysik an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Direktor am MPQ) hat jetzt erstmals die kohärente Ausbreitung von einzelnen Spinanregungen in einem ultrakalten Quantengas aus stark korrelierten Atomen beobachtet (Nature Physics, Advance Online Publication, 24. Februar 2013). Dies ist einer der elementaren Prozesse im Magnetismus von Quantensystemen. In enger Zusammenarbeit mit theoretischen Physikern der Ludwig-Maximilians-Universität und der Universität Genf konnten die Wissenschaftler auch zeigen, dass der Transport der Spin-Störung in schwächer korrelierten Systemen durch die Ausbildung von Quasiteilchen (sogenannten Polaronen) verlangsamt wird.
Festkörpereigenschaften wie Magnetismus, elektrische Leitfähigkeit oder Supraleitung sind durch das Verhalten der Elektronen in dem periodischen Kristallgitter bestimmt. Eine besondere Rolle spielt dabei der Eigendrehimpuls, der sogenannte Spin, der Elektronen. So führt man die Hochtemperatur-Supraleitung bestimmter Kupferverbindungen auf die Spin-Kopplung von stark korrelierten Elektronen zurück. Ultrakalte Atome in optischen Gittern sind ideale Systeme, um diese „quantenmagnetischen“ Phänomene unter kontrollierten experimentellen Bedingungen zu untersuchen.
Im vorliegenden Experiment kühlen die Wissenschaftler zunächst Rubidium-Atome auf eine Temperatur dicht oberhalb des absoluten Nullpunkts ab. Mit Hilfe von Lichtfeldern erreichen sie, dass sich die Atome nur noch entlang eindimensionaler, parallel verlaufender Röhren be-wegen dürfen. Diesen Röhren wird eine stehende Laserwelle überlagert, so dass eine periodi-sche Folge heller und dunkler Gebiete erzeugt wird – ein optisches Gitter, in dem auf jedem Gitterplatz genau ein Atom fest gehalten wird. Dieser perfekt geordnete Zustand wird nach dem britischen Physiker Sir Neville Mott als „Mott-Isolator“ bezeichnet. Auf diese Weise bildet sich schließlich eine Anordnung von parallel verlaufenden Ketten aus jeweils ca. fünf-zehn Atomen aus.
Die Atome in dem optischen Gitter spielen die Rolle der Elektronen in dem Festkörpergitter, Genau wie diese sind sie durch einen Eigendrehimpuls, d.h. Spin, charakterisiert, jedoch können die Wissenschaftler auf den atomaren Spin, der sich (wie bei kleinen Magnetnadeln) in zwei entgegengesetzte Richtungen einstellen kann, direkt Einfluss nehmen. Anfangs sind alle Atome in dem Ensemble einheitlich ausgerichtet. Dann wird ein Atom in der Mitte jeder Kette zunächst mit einem Laserstrahl gezielt angesprochen und sein Spin wird durch Bestrahlen mit Mikrowellenpulsen umgeklappt. Nun verfolgen die Wissenschaftler, wie sich diese künstlich erzeugte Spin-Störung in dem eindimensionalen Gitter ausbreitet (siehe Abb. 1).
Mit Hilfe eines in der Gruppe entwickelten Abbildungsverfahrens, das einzelne Atome auf ihren Gitterplätzen mit hoher Auflösung sichtbar macht, wird der Ort der Störung nach unterschiedlichen Zeitabständen bestimmt, und zwar gleichzeitig für alle Ketten. Die daraus resultierenden Verteilungen weisen eine Struktur auf, wie sie aus der Interferenz kohärenter Wellen zu erwarten ist. „Die Ausbreitung der Spin-Störung führen wir auf den Mechanismus des „korrelierten Super-Austauschs“ zurück“, erklärt Dr. Christian Groß, Wissenschaftler am Experiment. „Wenn die Spin-Störung einen Platz nach rechts wandert, nimmt im Gegenzug das Nachbaratom dessen Platz ein. Da dieser Vorgang mit der gleichen Wahrscheinlichkeit gleichzeitig in der anderen Richtung stattfindet, kommt es zu der von uns beobachteten Interferenz. In einem klassischen System dagegen würde die Verteilung im Laufe der Zeit lediglich breiter werden. Wir haben damit den Beweis erbracht, dass sich die Spinwelle kohärent ausbreitet.“
In der Mott-Phase sind die Barrieren zwischen den Gitterplätzen so hoch, dass die Teilchen fest an ihre Plätze gebunden sind und lediglich der oben erwähnte korrelierte Superaustausch möglich ist. Wird die Gitterhöhe – d.h. die Intensität der Laserwelle – herunter gefahren, dann können die Teilchen unterhalb einer bestimmten Schwelle mit einer quantenmechanisch festgelegten Wahrscheinlichkeit zu ihren jeweiligen Nachbarplätzen hinüber „tunneln“. In dieser „suprafluiden Phase“ ist die Beweglichkeit der Atome eigentlich erhöht, allerdings wird die Ausbreitung der Störstelle – wie die Messungen zeigten – abgebremst. „Das liegt daran, dass die Tunnelprozesse die Wechselwirkung der Spin-Störung mit den Hintergrundatomen und deren Dynamik sehr viel komplexer machen“, erläutert Dr. Takeshi Fukuhara, der an dem Experiment als Postdoc forscht. „Im Endeffekt stößt die Spin-Störung unmittelbar benachbarte Teilchen von sich weg.“ Dadurch entsteht in dem „Bad“ aus Hintergrundatomen eine Vertiefung, die von der Störung mit geschleppt werden muss, wodurch diese schwerfälliger und auch langsamer wird. „Das ist so, wie wenn man sich auf dem Weg zur U-Bahn einen Weg durch einen Menschenmenge bahnen muss: auch das geht natürlich nur langsam, da man sich ständig aufs neue Platz schaffen, also ein „Loch“ mit sich ziehen muss“, führt Fukuhara aus. „Die in unserer Messung beobachtete Störstellenbewegung lässt sich mit der Entstehung von Quasiteilchen, den auch in der Festkörperphysik auftretenden Polaronen, erklären.“
Die hier beschriebenen Messungen sind unter zwei Aspekten von großer Bedeutung. Zum einen demonstrieren sie die herausragenden Kontrollmöglichkeiten von ultrakalten Quantensystemen, die die Grundlage für die Simulation von kollektiven Festkörperanregungen sind, insbesondere von quantenmagnetischen Phänomenen. Zum anderen geben sie einen direkten Einblick in die Prozesse, die dem Transport von elektrischen Ladungen und Störstellen in Festkörperkristallen zu Grunde liegen und letztendlich die makroskopisch beobachtbaren Eigenschaften von Stoffen festlegen. Olivia Meyer-Streng