Der erste dynamische Quantensimulator

Ein internationales Wissenschaftlerteam hat experimentell die Überlegenheit von Quantensimulatoren verglichen mit modernen numerischen Methoden nachgewiesen.

15. März 2012

Theoretischen Konzepten zufolge sollten „Quantensimulatoren“ Zugang zu komplexen physikalischen Prozessen ermöglichen, die mit den besten klassischen Algorithmen und verfügbaren Großrechnern nicht mehr zu erschließen sind. Eine Forschergruppe um Prof. Immanuel Bloch (Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching und Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU)) hat jetzt diese Überlegenheit experimentell nachgewiesen (Nature Physics, AOP, 19. Februar 2012, Doi:10.1038/nphys2232). Die Wissenschaftler konnten erstmals dynamische Prozesse in einem Vielteilchensystem aus stark korrelierten ultrakalten Atomen in einem optischen Gitter verfolgen. Insbesondere konnten sie dabei Erkenntnisse über die Relaxationsvorgänge in einem isolierten System gewinnen, das anfänglich weit von seinem Gleichgewichtszustand entfernt ist. Auf kurzen Zeitskalen wurden die Messungen hervorragend von numerischen Rechnungen reproduziert, was die Eignung des Systems als Quantensimulator untermauert. Das System liefert jedoch auch für längere Zeiträume, die für klassische Methoden nicht mehr zugänglich sind, aussagekräftige Ergebnisse. Die Forschungsarbeiten erfolgten in enger Kooperation mit theoretischen Physikern der LMU um Prof. Ulrich Schollwöck, dem Forschungszentrum Jülich, dem Wissenschaftskolleg Berlin und der University of Queensland (Australien).

Seit langem gehen Wissenschaftler der fundamentalen Frage nach, wie und ob ein aus dem Gleichgewicht gebrachtes Quanten-Vielteilchensystem wieder zur Ruhe kommt, wenn ihm jeglicher Kontakt zur Außenwelt fehlt. Die Konzepte der Thermodynamik, wie z. B. das alltäglich erfahrbare Phänomen, dass sich der morgendliche Kaffee langsam auf Raumtemperatur abkühlt (und dabei auch den Raum ein wenig aufheizt), lassen sich in diesem Szenario nicht mehr unmittelbar anwenden. Das in der statistischen Mechanik geltende Prinzip der maximalen Entropie legt zwar fest, welche Zustände im Gleichgewicht zu erwarten sind, aber nicht, wie die dorthin führenden dynamischen Prozesse in einem von der Umwelt isolierten Quantensystem ablaufen, und ob überhaupt ein Gleichgewicht erreicht wird. Wegen der hohen Komplexität der zugrunde liegenden Quantendynamik und der Möglichkeit der Verschränkung von Quantenteilchen versagen selbst ausgefeilte numerische Methoden bei dem Versuch, dieses Problem für große Teilchenzahlen und längere Zeiträume zu lösen. Wissenschaftler der Gruppe von Prof. Bloch haben solche „Relaxationsprozesse“ jetzt experimentell in stark korrelierten Quanten-Vielteilchen-systemen verfolgen können.

Im Experiment werden extrem kalte Rubidiumatome in ein dreidimensionales „optisches Gitter“ geladen, das durch paarweise interferierende Laserstrahlen entsteht. In dieser periodischen Folge von hellen und dunklen Bereichen ordnen sich auch die Atome zu einer regelmäßigen Struktur an, da sie – je nach Wellenlänge des Lichts – entweder in den hellen oder in den dunklen Gebieten fest gehalten werden. Dabei sorgt eine abstoßende Wechselwirkung zwischen ihnen dafür, dass höchstens ein Atom auf einem Gitterplatz zu finden ist. Mit Hilfe eines weiteren optischen „Übergitters“ mit doppelter Periode manipulieren die Wissenschaftler diese Anordnung so, dass die Atome schließlich in einer Raumrichtung nur jeden zweiten Gitterplatz besetzen und dort zunächst fixiert sind. Nun wird plötzlich die Tiefe des Gitters entlang dieser „Dichtewelle“ soweit verringert, dass die Atome nach den Regeln der Quantenmechanik in dieser Richtung auf ihre Nachbarplätze „tunneln“ und dort mit anderen Teilchen zusammenstoßen dürfen. Die anfängliche Dichteverteilung ist dabei weit entfernt von einem Gleichgewichtszustand. Nach unterschiedlichen Relaxationszeiten wird der Tunnelprozess wieder teilweise oder gänzlich unterdrückt und die zu diesem Zeitpunkt herrschende Verteilung der Teilchen im Gitter bestimmt. Daraus lassen sich Eigenschaften wie lokale Dichten und Tunnelströme in Abhängigkeit von der Zeit und der Gittertiefe ableiten.

Auf kurzen Zeitskalen werden die Messungen hervorragend von numerischen Rechnungen reproduziert, wobei die Vielteilchendynamik ohne Verwendung freier Parameter simuliert wurde. Im Laufe der Zeit bilden sich jedoch immer mehr Korrelationen zwischen weit entfernten Teilchen aus, für deren Berücksichtigung die Kapazität klassischer Rechner nicht ausreicht. Das Experiment dagegen liefert auch für Zeiträume, die weit über die theoretischen Vorhersagen hinausgehen, aussagekräftige Resultate (siehe Abbildung). Dies untermauert die Eignung solcher kalten Quantengase als Simulatoren von Relaxationsprozessen in Vielteilchensystemen. Sie zeigen hier eine höhere Leistungsfähigkeit als klassische Großrechner. Darüber hinaus gewähren diese Untersuchungen einen Einblick in den Ablauf fundamentaler Tunnelprozesse sowie in die Gleichgewichtseigenschaften des Systems nach der Relaxation. Diese Erkenntnisse zeigen neue Wege auf, die Physik kondensierter Materie und ihre Dynamik besser zu verstehen. [ST/OM]

Kontakt:

Prof. Dr. Immanuel Bloch
Lehrstuhl für Quantenoptik, LMU München
Schellingstr. 4, 80799 München
Direktor am Max-Planck-Institut für Quantenoptik
Hans-Kopfermann-Straße 1, 85748 Garching b. München
Telefon: +49 (0)89 / 32 905 -138
E-Mail:   immanuel.bloch@mpq.mpg.de

Prof. Dr. Ulrich Schollwöck
Lehrstuhl für theoretische Nanophysik, LMU München
Theresienstr. 37, 80333 München
Telefon: +49 (0)89 / 2180 -4117
E-Mail:   schollwoeck@lmu.de

Dr. Olivia Meyer-Streng
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für Quantenoptik
Telefon: +49 (0)89 / 32 905 -213
E-Mail:   olivia.meyer-streng@mpq.mpg.de

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