Störungen erwünscht!
Ein neuartiges Konzept für universelle Quantencomputer profitiert von dissipativen Prozessen.
Bereits einfache Systeme aus mehreren Quantenteilchen können nicht mehr mit Hilfe klassischer Computer beschrieben werden. Desto schwieriger ist es, das Verhalten komplexer Vielteilchensysteme zu verstehen. Einen Ausweg sollen hier Quantencomputer weisen, in denen die klassischen Bits durch Quantenteilchen ersetzt sind. Nach bisherigen Vorstellungen ist eine Grundvoraussetzung für die Realisierung eines universellen Quantencomputers, dass das System aus Quantenteilchen extrem gut von der Umgebung isoliert ist. Dies stellt eine große Herausforderung für die Experimentalphysik dar. Eine neues, von Prof. Ignacio Cirac, Direktor am Max-Planck-Institut für Quantenoptik und Leiter der Theorie-Abteilung, und seinen ehemaligen Mitarbeitern Dr. Michael Wolf (jetzt Wissenschaftler am Nils-Bohr-Institut in Kopenhagen) sowie Prof. Frank Verstraete (jetzt Universität Wien) entwickeltes Konzept stellt diese Überlegungen gewissermaßen auf den Kopf. In einer soeben in der Zeitschrift Nature Physics (AOP 20. Juli 2009, DOI 10.1038/NPHYS1342) erschienenen Arbeit entwickeln die Wissenschaftler Konzepte, in denen Störungen des Systems durch die Umgebung geradezu die Voraussetzung für effektives ‚Quantum Computing‘ sind. Noch handelt es sich dabei um einen allgemeinen Machbarkeitsnachweis. Das Konzept, das eventuell den universellen Quantencomputer seiner Verwirklichung ein Stück näher bringt, lässt sich jedoch mit Experimenten an atomaren Quantengasen oder Ionenfallen überprüfen.
Der typische ‚Standard-Quantencomputer‘ basiert auf einem System aus Quantenteilchen, die der Speicherung und Kodierung von Informationen dienen. Dabei wird ausgenützt, dass sich die Quantenbits im Unterschied zu klassischen Bits nicht nur in den Zuständen ‚1‘ oder ‚0‘ befinden können, sondern auch in allen möglichen Superpositionen dieser Zustände. Alle Veränderungen dieser Zustände sind umkehrbar (im Fachjargon: unitär). Konventionelle Schaltkreise in solchen Quantencomputern sind Quantengatter, die immer zwei Qubits miteinander verschränken. Problematisch wird es, wenn das System an die Umgebung Informationen verliert. Diese sogenannte ‚Dissipation‘ zerstört Quanteneffekte wie Superposition und Verschränkung, die für die Speicherung, Verschlüsselung, Verarbeitung und Übertragung von Quanteninformation benötigt werden. Störungen sind hier also unerwünscht, weshalb das Quantensystem von der Umgebung möglichst gut entkoppelt sein muss.
In dem von Cirac, Verstraete und Wolf propagierten Modell ist aber gerade die Dissipation die Voraussetzung für effizientes ‚Quantum Computing‘ sowie die Erzeugung von beliebigen Quantenzuständen, und zwar ohne die Beteiligung anderer kohärenter dynamischer Prozesse. Ausgangspunkt ist auch hier ein System aus Qubits, das jetzt aber auf Grund von Wechselwirkung mit der Umgebung über dissipative Prozesse Information verliert. Infolgedessen entwickelt es sich im Laufe der Zeit auf einen Fixpunkt, d.h. einen dauerhaften stationären Zustand, hin. Dies lässt sich für Quantenrechnungen nutzen. Dabei wird die Dissipationsdynamik je nach Wunsch „maßgeschneidert“, d.h. der Fixpunkt könnte den Grundzustand des Systems darstellen, er könnte ein bestimmter Zustand sein, den man präparieren möchte, oder er kann z.B. das Rechenergebnis enthalten. Ein wesentlicher Vorteil dieses Ansatzes liegt darin, dass bei rein dissipativen Prozessen der Endzustand unabhängig von den Anfangsbedingungen und somit auch unabhängig von eventuellen Störungen auf dem Weg dahin erreicht wird. Dies macht das ‚Dissipative Quantum Computing‘ besonders widerstandsfähig und verleiht ihm eine inhärente Störungsunempfindlichkeit.
Obwohl weder reine Quantenzustände noch unitäre Prozesse erforderlich sind, erweisen sich dissipative Quantensysteme den konventionellen Quantenschaltkreisen als gleichwertig in Bezug auf die erzielbare Rechenleistung. Die Methode ist sogar besonders gut geeignet für die Präparation interessanter Grundzustände: sogenannte ‚topologische Systeme‘ bilden z.B. eine Klasse von exotischen Zuständen, die bei neuartigen Quanteneffekten wie dem fraktionalen Quantenhalleffekt eine wesentliche Rolle spielen.
Noch handelt es sich bei den vorliegenden Untersuchungen um eine grundlegende Machbarkeitsstudie, die zeigt, dass die Dissipation eine neue Möglichkeit bietet, Quantenrechnungen durchzuführen oder gezielt Zustände zu erzeugen. Dahinter steckt jedoch die Idee, das Konzept auf Systeme anzuwenden, in denen Atome oder Ionen als Qubits dienen, z.B. atomare kalte Gase in optischen Gittern oder Ionen in elektromagnetischen Fallen. „Dieses Modell von ‚Quantum Computation‘ widerspricht fast allen Anforderungen, die wir bislang für die Umsetzung solcher Geräte für notwendig hielten”, betont Prof. Cirac. „Es könnte zu einer Entwicklung von Quantencomputern führen, die entweder besonders stabil oder besonders einfach zu implementieren sind. Das wichtigste ist aber, dass das neue Konzept eine völlig neue Perspektive bietet, wie Quantencomputer in Zukunft in der Praxis funktionieren könnten.“ [OM]
Kontakt:
Prof. Dr. Ignacio Cirac
Professor für Physik, TU München,
Direktor am Max-Planck-Institut für Quantenoptik
Hans-Kopfermann-Straße 1, 85748 Garching
Telefon: +49 (0)89 32 905 -705/736 / Fax: -336
E-Mail: ignacio.cirac@mpq.mpg.de
www.mpq.mpg.de/cirac
Dr. Olivia Meyer-Streng
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für Quantenoptik
Telefon: +49 (0)89 32 905 -213
E-Mail: olivia.meyer-streng@mpq.mpg.de