Elektronen beim Tunneln erwischt
Deutsch-österreichisch-holländischem Forscherteam gelingt erstmals die Beobachtung des quantenmechanischen Tunnelvorgangs
Gemäß theoretischen Vorhersagen erfolgt die Ionisation von Atomen unter dem Einfluss starker elektromagnetischer Felder über einen quantenmechanischen Prozess: die Elektronen überwinden die anziehende Kraft des Atomkerns, indem sie durch den so genannten Potentialwall „tunneln“. Einem deutsch-österreichisch-holländischem Forscherteam um Prof. Ferenc Krausz, Direktor am Max-Planck-Institut für Quantenoptik, ist es nun erstmals gelungen, die Elektronen bei diesem Vorgang zu beobachten (Nature, 5. April 2007)Mit ultrakurzen Laserpulsen konnten die Wissenschaftler diskrete Ionisationsstufen nachweisen, die jeweils einige 100 Attosekunden(das ist weniger als eine Billiardstel Sekunde)dauern. Dieses Ergebnis stellt einen Meilenstein dar auf dem Weg, ein tieferes Verständnis von der Bewegung der Elektronen in Atomen und Molekülen zu gewinnen. Von diesen Einblicken erhofft man Fortschritte in vielen Bereichen der Wissenschaft, Technik und Medizin.
Unsere Alltagserfahrung lehrt uns, dass wir einen Berg erklimmen müssen, um ihn zu überwinden. In der Quantenphysik geht das jedoch auch anders: Objekte können auf die andere Seite eines Hügels gelangen, indem sie ihn - anstatt mühsam hochzuklettern - einfach waagerecht durchqueren. Dieser „Tunnel-Effekt“ lässt sich aus dem Wellencharakter des Objekts erklären. Makroskopische Objekte besitzen eine extrem geringe Tunnelwahrscheinlichkeit, weshalb dieses Phänomen hier noch nie beobachtet worden ist. In scharfem Gegensatz dazu können die Teilchen des Mikrokosmos mit einer durchaus bedeutenden Wahrscheinlichkeit durch Gebiete tunneln, in denen sie sich nach den Gesetzen der klassischen Physik gar nicht aufhalten dürften.
So wie die Schwerkraft einen Körper auf dem Boden eines Tals zur Ruhe kommen lässt, so halten die Kernkraft, die Protonen und Neutronen zum Atomkern zusammenbindet, und die elektrische Kraft, die die negativ geladenen Elektronen mit dem positiv geladen Atomkern zu einem Atom zusammenfügt, diese Teilchen innerhalb eines winzig kleinen Raumes fest. Dieser Bindungseffekt lässt sich ebenfalls durch eine Art Tal darstellen, das die Physiker auch Potential nennen. In der Welt der Quantenteilchen gehört es gewissermaßen zur Tagesordnung, den Wall, der den „Potentialtopf“ umgibt, zu „durchtunneln“1.Der Tunnelprozess wird für so verschieden Prozesse wie den Zerfall von Atomkernen oder den Schaltvorgang in elektronischen Bauelementen verantwortlich gemacht. Da er aber nur unglaublich kurze Zeit dauert, ist er noch nie in Echtzeit beobachtet worden. Bis vor kurzem. Mit den neuen Werkzeugen der Attosekundenmetrologie hat es ein deutsch-österreichisch-holländisches Forscherteam um Ferenc Krausz erstmals geschafft, die Elektronen dabei zu ertappen, wie sie unter dem Einfluss von Laserlicht durch das Bindungspotential des Atomkerns tunneln [1].
Eine wichtige Rolle spielten bei diesem Meisterstück zwei Lichtpulse: ein intensiver Puls aus nur wenigen Wellenzügen roten Laserlichts [2], und ein Attosekunden-Puls im Extremem Ultravioletten, der mit dem roten Puls perfekt synchronisiert ist [3].
Das elektrische Feld des Laserpulses übt eine starke Kraft auf ein an der Peripherie des Atoms befindliches Elektron 2(symbolisiert durch die grüne Wolke um den Atomkern in Abb. 1) aus. Abb. 2 zeigt, wie sich diese Kraft mit der Zeit ändert. In nur etwa einer Femtosekunde (eine Femtosekunde ist ein Trillionstel (10-15) einer Sekunde) wechselt sie ihre Richtung – zum Zeitpunkt t1 wirkt sie mit maximaler Stärke nach rechts, zum Zeitpunkt t2 mit maximaler Stärke nach links, und nach einer weiteren Femtosekunde wieder nach rechts (Zeitpunkt t3). 3
Zu diesen Zeiten maximaler Stärke drückt die Lichtkraft den Potentialwall nach unten. Für einen kurzen Augenblick um den Höhepunkt des Wellenbergs herum hat das Elektron die Chance, die Barriere zu durchdringen und dem Atom zu entkommen. Diese Möglichkeit besteht ausschließlich bei den Wellenbergen, d.h. nur in einem extrem kurzen Zeitintervall von einem Bruchteil einer Femtosekunde. Wenn also nun der aus wenigen Wellenzügen bestehende Laserpuls das Atom durchquert, sollte die Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein Elektron freigesetzt wird, stufenweise ansteigen. Jedes Mal, wenn ein Wellenberg auf das Atom trifft, wächst die Wahrscheinlichkeit innerhalb von einigen 100 Attosekunden an, wie mit der grünen Linie in Abb. 3 (unten) angedeutet wird. Dieses von der Theorie vorhergesagte Phänomen [4] hat sich über mehr als vier Jahrzehnte der direkten Beobachtung entzogen.
Kein Instrument kann diesen Vorgang direkt auflösen. Nachweisen lassen sich nur die Endprodukte, d.h. die Atome, die im Anschluss an den Laserpuls in ein Elektron und ein positiv geladenes Ion zerfallen sind. Die Forscher mussten sich daher eines Tricks bedienen, indem sie als Untersuchungsobjekte Neonatome verwendeten. Hier befinden sich die Elektronen in abgeschlossenen Schalen, sind daher besonders fest gebunden und widersetzen sich den Bestrebungen des Laserpulses, sie aus dem Atom zu lösen. Nur Elektronen, die von einem Attosekunden-UV-Blitz getroffen werden, gelangen an die Peripherie des Atoms4und können sich durch „Tunneln“ aus dem Atom befreien. Daher können nur Neonatome, die zuerst mit einem solchen Blitz „präpariert“ wurden, später von einem roten Laserpuls ionisiert werden. Mit einem nur 250 Attosekunden dauernden UV-Puls, der zeitlich genau mit dem roten Laserpuls synchronisiert war, konnten die Wissenschaftler mit Attosekundenpräzision zu jedem beliebigen Zeitpunkt innerhalb der Laserwelle ein Elektron an die Peripherie befördern. Die Forscher verschoben diesen Zeitpunkt, Schritt für Schritt, und maßen dabei die Zahl der Atome, die vom Laser ionisiert wurden. Auf diese Weise konnten sie den zeitlichen Verlauf des Ionisierungsprozesses rekonstruieren. Wie von der Theorie vorhergesagt, verließen die Elektronen die Atome in der unmittelbaren Nähe der intensivsten Wellenberge, wie aus den diskreten, mit den Wellenbergen zusammenfallenden Ionisationsstufen in Abb. 3 (grüne Linie) gut erkennbar. Diese Stufen dauern weniger als 400 Attosekunden: Innerhalb einer derart kurzen Zeit werden die Elektronen durch die Lichtkraft aus den Atomen freigesetzt. Das Ergebnis bestätigt eindrucksvoll und das erste Mal durch Echtzeitbeobachtung die theoretische Vorhersage der Quantenmechanik, dass mikroskopische Teilchen durch Potenzialbarrieren tunneln können.
Die Experimente gewähren nicht nur einen erstmaligen Einblick in die Dynamik des Elektronen-Tunnelns. Durch weitere Messungen [1] konnte das Forscherteam auch zeigen, dass Laserfeld-induziertes Tunneln ausgenutzt werden kann, um die Bewegung von Elektronen innerhalb von Atomen oder Molekülen in Echtzeit zu beobachten. Dieser Gewinn an Verständnis von und Kontrolle über die inneratomare Elektronenbewegung kann in der Zukunft einen wichtigen Beitrag leisten, um zu erforschen, wie sich die Grenzen der Mikroelektronik verschieben lassen, oder um kompakte brillante Röntgenquellen zu entwickeln, die ihrerseits Fortschritte bei der Abbildung biologischer Objekte und der Strahlentherapie ermöglichen werden.
Literatur
[1] Uiberacker, M. et al. Nature, in press.
[2] Baltuska, A. et al., Nature 421, 611 (2003).
[3] Kienberger, R. et al., Nature 427, 817 (2004).
[4] Keldysh, L.V., Sov. Phys. JETP 20, 1307 (1965).
[1]Man glaubt, dass bei der Kernspaltung Alphateilchen, die aus zwei Protonen und zwei Neutronen bestehen, über den Tunneleffekt frei werden. In Halbleiter-Nanostrukturen tunneln die Elektrronen oft durch Gebiete, die klassisch verboten sind. Das ist die Ursache für eine Reihe von Funktionen elektronischen und opto-elektronischen Bauelementen, wie z.B. den negativen (differentiellen) Widerstand von Tunnel- (Esaki)-Dioden, oder die Emission von Infrarot-Licht aus Quantenkaskaden-Lasern.
[2]Physiker bezeichnen diese Elektronen auch als Valenzelektronen.
[3]Das gilt für rotes Licht. Bei blauem Licht ist die Schwingungsperiode kürzer, bei infrarotem länger.
[4]Gleichzeitig wird ein zweites Elektron emittiert, so dass ein einfach geladenes Ion zurückbleibt.
Kontakt:
Prof. Dr. Ferenc Krausz
Geschäftsführender Direktor
Max-Planck-Institut für Quantenoptik
Hans-Kopfermann-Straße 1, 85748 Garching
Telefon: +49 (0)89 32 905 -612 / -649
E-Mail: ferenc.krausz@mpq.mpg.de
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Dr. Olivia Meyer-Streng
Presse & Kommunikation
Max-Planck-Institut für Quantenoptik
Telefon: +49 (0)89 32 905 -213
E-Mail: olivia.meyer-streng@mpq.mpg.de