Quantentunneln im Kollektiv
Wissenschaftler des MPQs, der LMU und des Weizmann-Instituts in Israel zeigen, wie das quantenmechanische Tunneln durch eine Barriere durch das Zusammenspiel vieler Teilchen dramatisch beeinflusst werden kann.
Quantensysteme verhalten sich oft anders, als es unsere Intuition und unsere alltäglichen Erfahrungen vermuten lassen. Ein Beispiel dafür ist das sogenannte Landau-Zener Problem aus der Quantenmechanik. Es beschreibt unter anderem das Tunneln eines Quantenteilchens zwischen zwei Potentialtöpfen, deren anfänglich großer Energieunterschied durch langsames Verschieben der Niveaus allmählich umgekehrt wird. Der russische Physiker Lew Landau und der amerikanische Physiker Clarence Zener haben diese Fragestellung bereits 1932 in einem allgemeineren Kontext untersucht. Dabei fanden sie heraus, dass das Teilchen, unabhängig von seiner Ausgangslage, das Töpfchen durch Tunneln wechselt, vorausgesetzt, die Umkehr des Energieunterschiedes vollzieht sich langsam genug. Im Gegensatz zu klassischen Flüssigkeiten, die unabhängig von ihrer Ausgangslage stets in das tiefere Töpfchen fließen würden, endet ein Quantenteilchen, das seine Wanderung im höher liegenden Töpfchen beginnt, wieder im höheren – ursprünglich gegenüberliegenden – Töpfchen. Physiker um Prof. Immanuel Bloch (Lehrstuhl für Experimentalphysik an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Direktor am Max-Planck-Institut für Quantenoptik) haben nun in Zusammenarbeit mit Theoretikern des Weizmann Institute of Science (Rehovot, Israel) entsprechende Untersuchungen an einem eindimensionalen System aus vielen Quantenteilchen durchgeführt. Dabei machten sie die Beobachtung, dass aufgrund der Wechselwirkungen zwischen den Atomen das Tunneln dramatisch beeinflusst werden kann und, im Gegensatz zu unserer Intuition, ein langsameres, kontrolliertes Ändern der Parameter zu einem Zusammenbrechen des Tunnelns führt (Nature Physics, AOP, 17.10.2010, DOI: 10.1038/NPHYS1801).
In ihren Experimenten kühlen die Wissenschaftler eine kleine Wolke von „bosonischen“ Rubidiumatomen auf nur wenige Nanokelvin über dem absoluten Nullpunkt, etwa minus 273 Grad Celsius, ab. Bei so niedrigen Temperaturen versammeln sich die Atome in einem einzigen Quantenzustand und bilden einen neuartigen Phasenzustand, der auch als Bose-Einstein-Kondensat bezeichnet wird. Dieses ultrakalte Quantengas wird anschließend in ein sogenanntes „optisches Gitter“ geladen: durch die Interferenz von zwei zueinander senkrechten Paaren gegenläufiger Laserstrahlen entsteht eine „Kristallstruktur“ von abwechselnd hellen und dunklen Bereichen. Die Wechselwirkung zwischen dem Laserlicht und den Rubidiumatomen sorgt dafür, dass sich diese gemäß der Intensitätsverteilung des Lichtes in einem Gitter von langgestreckten Quantengasen mit je bis zu einhundert Teilchen anordnen.
Nun fügen die Wissenschaftler dem Lichtkristall entlang einer Richtung ein weiteres optisches Gitter mit gerade dem halben Gitterabstand hinzu. Damit lassen sich jetzt die praktisch eindimensionalen Potentialröhren, in denen die Atome gefangen sind, in Röhrenpaare aufspalten. Die völlige Kontrolle über die relative Phase der neuen Stehwelle aus Laserlicht gegenüber dem ursprünglichen Gitter ermöglicht es den Forschern, sowohl jeweils nur eines der beiden Röhrchen eines Paares mit Atomen zu füllen, als auch den Energieunterschied zwischen den Potentialröhrchen in Echtzeit einzustellen. Somit ist es möglich, den Transport zwischen den Röhrchen bei der Umkehr der Energiedifferenz – einem sogenannten „Landau-Zener Sweep“ – zu untersuchen. Die Wissenschaftler interessiert dabei insbesondere die Frage, inwiefern die Wechselwirkung zwischen den Teilchen und die eindimensionale Geometrie des Quantengases die ursprünglich von Landau und Zener gefundenen Resultate verändert.
Schon in dem vermeintlich einfachen Fall, in dem die Atome in dem Röhrchen mit der niedrigeren potentieller Energie starteten, ließen sich deutliche Abweichungen vom Resultat für ein einzelnes Teilchen finden. Zwar ließen sich in ausreichend langsamen Landau-Zener Sweeps alle Atome in das andere Röhrchen transferieren. Die bosonische Natur der Teilchen und die abstoßenden Wechselwirkung führten jedoch zu einer erheblichen Verstärkung dieses Transferprozesses.
Noch deutlicher wird der Unterschied zur Einteilchenphysik, wenn alle Atome in dem Röhrchen mit höherer potentieller Energie starten. Hier zeigte sich, dass niemals alle Atome die anfänglich leere Seite erreichen. Dabei nahm die Transfereffizienz desto stärker ab, je langsamer der Landau-Zener Sweep durchgeführt wurde. Dieses Verhalten ähnelt stark der Erwartung für eine klassische Flüssigkeit, die stets in den am tiefsten gelegenen Topf fließen würde. Bei diesem Vorgang wird die potentielle Energie zunächst kontinuierlich in kinetische Energie umgewandelt und anschließend als Wärme an die Umgebung abgegeben, bis die Flüssigkeit wieder zur Ruhe gekommen ist.
In einem geschlossenen Quantensystem gibt es diesen Energieaustausch mit der Umgebung normalerweise nicht: die Überschussenergie würde im System verbleiben und so die Relaxation des Quantenteilchens in den tiefer gelegenen Potentialtopf verhindern. In einem eindimensionalen Quantengas aus vielen wechselwirkenden Teilchen jedoch sind Anregungen mit beliebig niedriger Energie möglich. In solche internen Anregungen, die aufgrund ihrer Ähnlichkeit zu den Gitterschwingungen in Festkörpern oft auch als „Phononen“ bezeichnet werden, kann die Überschussenergie umgewandelt werden, so dass eine Relaxation in das tiefer liegende Potentialröhrchen erlaubt ist. Im übertragenen Sinne übernehmen diese internen Anregungen den Part einer „inneren Umgebung“, an die die freiwerdende Energie abgegeben werden kann. Dabei findet die Relaxation nur in dem eng begrenzten Zeitraum während des Sweeps statt, in dem die Potentialunterschiede zwischen den Röhren klein sind. Je langsamer dieser Bereich durchlaufen wird, desto größer ist der Anteil der Teilchen des eindimensionalen Quantengases, die am Ende des Prozesses in der tiefer liegenden Röhre zu finden sind.
Mit den beschriebenen Experimenten konnte erstmals ein Landau-Zener-Problem in einem eindimensionalen System aus vielen miteinander wechselwirkenden Quantenteilchen untersucht werden. Die Dynamik solcher Systeme birgt eine Vielzahl offener Fragen und ungelöster Probleme, vor allem in Hinblick auf Relaxationsmechanismen und mögliche Thermalisierung. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, Vielteilchen-Phasenübergänge, an denen sich die Anregungsspektren drastisch verändern, anhand solcher generalisierter Landau-Zener-Experimente zu identifizieren. Die hier aufgeführten Messungen bieten einen tiefen Einblick in die Nicht-Gleichgewichtsphysik gekoppelter eindimensionaler Quantengase und öffnen die Tür für weitere detaillierte Untersuchungen der diesen Systemen innewohnenden schallwellenartigen Anregungen. Stefan Trotzky
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Dipl.-Phys. Stefan Trotzky
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Prof. Dr. Immanuel Bloch
Lehrstuhl für Experimentalphysik, LMU München
Direktor am Max-Planck-Institut für Quantenoptik
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Telefon: +49 (0)89 32905 -138 / Fax: -313
E-Mail: immanuel.bloch@mpq.mpg.de