Quantenexperimente in der Schwerelosigkeit

Wissenschaftler des QUANTUS-Projekts testen Prinzipien der Relativitätstheorie an Quantensystemen.

23. Juni 2010

Vor rund 100 Jahren wurden zwei bahnbrechende Theorien formuliert, die unser Verständnis der Naturgesetze geradezu revolutionierten: die allgemeine Relativitätstheorie, welche für die klassische Welt gilt und insbesondere die Eigenschaften großräumiger Strukturen im Universum erklärt, sowie die Quantenmechanik, die das Verhalten der Teilchen im Mikrokosmos beschreibt. Noch ist es nicht gelungen, beide Theorien zu vereinheitlichen und z.B. die allgemeine Relativitätstheorie auf die Quantenwelt auszudehnen. Als interessantes Bindeglied könnte sich hier das sogenannte Bose-Einstein-Kondensat erweisen. Dabei handelt es sich um eine Wolke aus etwa einer Million Atomen, die sich bei extrem tiefen Temperaturen zu einer kohärenten Materiewelle zusammenschließen. Ein BEC ist somit einerseits ein Quantensystem, kann aber andererseits mit einer Ausdehnung von bis zu einigen Millimetern klassische Dimensionen erreichen. Im Rahmen des QUANTUS-Projekts haben jetzt Mitarbeiter verschiedener Forschungsinstitutionen, darunter die Universität Hannover, die Ludwig-Maximilians-Universität München und das Max-Planck-Institut für Quantenoptik, die Relativitätstheorie an einem BEC getestet (Science, 17. Juni 2010), das sich im freien Fall von einem 146 Meter hohen Turm befand. Solchermaßen nahezu in der Schwerelosigkeit ließ sich die Ausbreitung der Materiewelle bis zu eine Sekunde lang beobachten. Die Genauigkeit von Atom-Interferometern, die sowohl zur Messung von Gravitationsfeldern als auch zum Test der Relativitätstheorie eingesetzt werden, könnte unter solchen Bedingungen um Größenordnungen verbessert werden.

Für die Erzeugung eines BEC wird eine Wolke von Atomen in einer Vakuumkammer mit speziellen Verfahren auf Temperaturen von einigen Nanokelvin gekühlt. Unterhalb dieser Schwellentemperatur vollzieht sich ein Übergang in eine Phase, in der sich alle Atome in den gleichen Quantenzuständen befinden. Das Ensemble aus etwa einer Million Atomen verhält sich dann wie ein einziges Superatom. Ursache hierfür ist der Wellencharakter der Quantenteilchen, der desto ausgeprägter ist, je tiefer die Temperaturen sind: die Wellen überlappen sich immer stärker, bis sie schließlich zu einer einzigen gigantischen Materiewelle verschmelzen.

Mit Hilfe einer geeigneten Anordnung von Magnetfeldern und Laserstrahlen wird die Atomwolke in einer sogenannten magnetooptischen Falle festgehalten. Um die Ausbreitung der Materiewelle zu beobachten, werden die Fallenfelder abgeschaltet. In gewöhnlichen Laborexperimenten kann die Ausbildung der Welle nur für kurze Zeit verfolgt werden, da die Atome infolge der Schwerkraft in wenigen Millisekunden auf den Boden der Kammer treffen. In dem hier beschriebenen Experiment gelang es den Wissenschaftlern dagegen, die Schwerkraft weitestgehend auszuschalten. Dazu wurde ein kompakter Aufbau für die Erzeugung eines BEC in eine Kapsel eingebaut, die man von dem 146 Meter hohen Fallturm des Zentrums für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation in Bremen fallen ließ. Gemäß dem Äquivalenzprinzip von schwerer und träger Masse wirkte auf die Apparatur im freien Fall nur noch rund ein Hunderttausendstel der irdischen Schwerkraft.

Die für dieses Experiment erforderliche Miniaturisierung der Teilchenfalle wurde durch die Verwendung von sogenannten Atom-Chips möglich, die vor ein paar Jahren in der Gruppe von Professor Theodor W. Hänsch (Leiter der Abt. Laserspektroskopie am MPQ und Lehrstuhl für Experimentalphysik an der LMU) entwickelt wurden. Hier werden die für das Festhalten der Quantengase notwendigen magnetischen Felder durch die elektrischen Leiterbahnen mikrostrukturierter Chips erzeugt. Um zu verhindern, dass sich anfängliche mechanische Erschütterungen auf die Entwicklung des BEC auswirken, wird dieses erst eine Sekunde nach dem Loslassen der Kapsel erzeugt. Mit Hilfe von Absorptionstechniken wurde das BEC sichtbar gemacht und zwar nach 30, 500 und sogar noch nach 1000 Millisekunden. Seit November 2007 wurde das Experiment 180 Mal wiederholt. Der Bestand einer Materiewelle über einen so langen Zeitraum zeigt neue Perspektiven für Atom-Interferometer auf. Bei diesen Instrumenten werden die Welleneigenschaften von Materie beispielsweise dazu genutzt, um Schwankungen im Gravitationsfeld der Erde aufzuspüren.

In dem hier geschilderten „proof of principle“ Experiment wurde erstmals Albert Einsteins Gedankenexperiment eines „frei fallenden Fahrstuhls“ für ein Quantenobjekt realisiert. Es stellt einen Meilenstein dar auf dem Weg, das Verhalten kalter Quantengase in der Schwerelosigkeit zu untersuchen. Davon versprechen sich die Wissenschaftler eine Reihe neuer Möglichkeiten, die Grenzbereiche der Quantenphysik auf der einen und der allgemeinen Relativitätstheorie auf der anderen Seite zu erforschen. Olivia Meyer-Streng

Das Projekt QUANTUS ist ein Zusammenschluss deutscher und europäischer Forschungseinrichtungen, darunter die Leibniz Universität Hannover, die Universität Ulm, die Humboldt-Universität zu Berlin, die Universität Hamburg, das Max-Planck-Institut für Quantenoptik, die Universität Darmstadt, die Ecole Normale Supérieure de Paris, das Midlands Ultracold Atom Research Center in Birmingham, das DLR Zentrum für Raumfahrtsysteme und das Zentrum für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation (ZARM) in Bremen. Finanziert wurde das Projekt durch die Deutsche Agentur für Luft- und Raumfahrt (DLR) mit Mitteln des Ministeriums für Wirtschaft und Technologie und durch den Exzellenzcluster QUEST (Centre for Quantum Engineering and Space-Time Research) an der Leibniz Universität Hannover.

Kontakt:

Dr. Tilo Steinmetz
Max-Planck-Institut für Quantenoptik
Hans-Kopfermann-Straße 1, 85748 Garching
Telefon: +49 (0)89 32905 -770 / Fax: -200
E-Mail:   tilo.steinmetz@mpq.mpg.de

Prof. Dr. Theodor W. Hänsch
Lehrstuhl für Experimentalphysik,
Ludwig-Maximilians-Universität, München
Direktor am Max-Planck-Institut für Quantenoptik
Telefon: +49 (0)89 32905 -702/712 / Fax: -312
E-Mail:   t.w.haensch@mpq.mpg.de

Dr. Olivia Meyer-Streng
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für Quantenoptik
Telefon: +49 (0)89 32905 -213
E-Mail:   olivia.meyer-streng@mpq.mpg.de

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