Lichtgekühlte Mikro-Chips
MPQ-Forscher wenden atomare Laserkühlung auf mesoskopische Systeme an.
Makroskopische Objekte gehorchen den Gesetzen der klassischen Physik, mikroskopische den Gesetzen der Quantenmechanik. So weit, so gut. Aber wann hört ein System auf, sich klassisch zu verhalten und legt quantenmechanische Eigenschaften an den Tag? Ein Testfeld dafür sind sogenannte mesoskopische, einige Mikrometer große Objekte, mit denen das Team von Dr. Tobias Kippenberg am MPQ in Garching hantiert. Bereits in früheren Arbeiten1 gelang es den Wissenschaftlern, mit der für einzelne Quantenteilchen entwickelten Methode der Laserkühlung die Schwingungen eines mechanischen Mikroresonators effektiv zu dämpfen. Nun haben sie gezeigt, dass sich auch die Weiterentwicklung der Laserkühlung, die „aufgelöste Seitenband-Kühlung“, erfolgreich auf diese Objekte aus ca. 1014 Molekülen anwenden lässt. Dieses Experiment ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg, den Quantengrundzustand eines Objektes zu erreichen. Die hier erfolgreich demonstrierte Kühlung ist aber auch von praktischem Interesse, kann sie doch zu einer Verbesserung von technischen Verfahren wie der Raster-Kraft-Mikroskopie beitragen.
Die Experimente der selbständigen Max-Planck-Nachwuchsgruppe „Laboratory of Photonics“ von Dr. Tobias Kippenberg am MPQ gehen auf eine Idee zurück, die der russische theoretische Physiker Vladimir Braginski bereits in den 1970er Jahren formulierte. Wenn Licht in einem Resonator eingefangen ist, dann übt der Druck der Photonen auf das System eine „rückwirkende Kraft“ aus, die dessen mechanische Schwingungen beeinflusst. Diese Kräfte lassen sich zur effektiven Kühlung des Systems nutzen, was allerdings dessen extrem hohe optische und mechanische Güte voraussetzt. Erst kürzlich erlangte Fortschritte in den Materialien machten es daher möglich, diese von Braginski geäußerte Idee experimentell umzusetzen. Heute befassen sich Forscher weltweit mit der Laserkühlung mechanischer Mikrosysteme, mit dem Ziel, thermische Fluktuationen so weit zu unterdrücken, dass Quanteneffekte messbar werden. Auf diesem Gebiet arbeiten in Europa neben dem MPQ das Laboratoire Kastler-Brossel in Paris sowie die Universität Wien, in den USA die Yale University, das California Institute of Technology (Caltech), das National Institute of Standards and Technology (NIST), das Massachusetts Institute of Technology (MIT) sowie die University of California Santa Barbara (USCB).
Theoretische Untersuchungen der Max-Planck-Nachwuchsgruppe in Zusammenarbeit mit der Gruppe von Wilhelm Zwerger an der Technischen Universität München, sowie parallele Arbeiten aus Yale und München, haben gezeigt, dass – in Analogie zur Laserkühlung von Atomen – der ultimative Quantengrundzustand, in dem die Bewegungsenergie des Oszillators auf das quantenmechanische Mindestmaß reduziert ist, aus grundsätzlichen Erwägungen in keinem der bis dato vorgeführten Experimente erreicht werden könnte. Denn die rückwirkende Kraft der Photonen fluktuiert, d.h. die Lichtquanten versetzen dem System ganz zufällige „Kicks“ und führen somit zu dessen Erwärmung. Einen Ausweg aus diesem Dilemma skizzierten Theoretiker schon in den 70er Jahren: die so genannte „aufgelöste Seitenband-Kühlung“. Sie wurde erstmals in den 90er Jahren an einzelnen Atomen und Ionen erfolgreich erprobt.
Wenn sich ein Ion in einer Falle befindet, schwingt es ein wenig hin und her. Infolgedessen enthält das Absorptionsspektrum des Ions Serien von Seitenbändern, die um ein Einfaches oder Mehrfaches der Bewegungsfrequenz gegenüber der eigentlichen Resonanzfrequenz verschoben sind. Durch Einstrahlung mit Laserlicht, dessen Frequenz einem energetisch niedrigeren Seitenband entspricht, bringt man das Ion dazu, Photonen auszusenden, die mehr Energie haben als die Photonen, die es absorbiert. Dadurch erfolgt die Kühlung.
Auch in einem mechanischen Mikrooszillator kommt es unter bestimmten Bedingungen zu der Entstehung von Seitenbändern im optischen Absorptionsspektrum, so dass die „aufgelöste Seitenband-Kühlung“ im Prinzip übertragbar ist. Voraussetzung dafür ist, dass die Frequenz des mechanischen Oszillators die optische Dissipationsrate übersteigt, so dass die Photonen über viele mechanische Schwingungsperioden im Resonator gefangen bleiben. „Nur in diesem Fall kann der Kühlungseffekt die durch die Fluktuationen der Lichtkraft bewirkte Erwärmung überwiegen“, erklärt Albert Schließer, Doktorand am Projekt.
Zusammen mit seinen Kollegen Rivière, Anetsberger und Dr. Arcizet konnte er dieses Regime jetzt auch experimentell erreichen. Dafür fertigten die Forscher in den Reinräumen von Prof. Jörg Kotthaus (Ludwig-Maximilians-Universität München) lithographisch gläserne Mikrotoroide an (Durchmesser: ca. 60 Mikrometer, mechanische Resonanzfrequenz: 70 MHz) und bestrahlten sie mit einem entsprechend rot-verstimmten Laser. Die mechanischen Schwingungen wurden dann mit Hilfe eines weiteren, unabhängigen Lasersystems aufgezeichnet, wobei eine Empfindlichkeit von 10-18 Metern (100 Millionen Mal kleiner als der Durchmesser des Wasserstoffatoms) in einer Messzeit von nur einer Sekunde erreicht wurde. So konnte die starke Reduzierung der Fluktuationen des mechanischen Oszillators – also seine effektive Kühlung – zweifelsfrei nachgewiesen werden.
Die Methode der „aufgelösten Seitenband-Kühlung“ wurde hier erstmals erfolgreich auf ein mesoskopisches Objekt angewandt. Der Quantengrundzustand wurde zwar noch nicht erreicht, der mechanische Freiheitsgrad konnte aber auf das etwa 5900-fache der Quantengrundzustandsenergie abgekühlt werden. Allerdings ist das Experiment ein fundamental wichtiger Schritt auf dem Weg, quantenmechanische Phänomene bei makroskopischen Objekten zu beobachten. Die Marschroute der MPQ-Forscher für die nahe Zukunft ist abgesteckt und lässt spannende Physik erwarten. [OM/AS]
1Schliesser, A., Del'Haye, P., Nooshi, N., Vahala, K. J. & Kippenberg, T. J.
Radiation pressure cooling of a micromechanical oscillator using dynamical backaction
Physical Review Letters 97, 243905 (2006).
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