Neuartiges System zur Studie exotischer Quantengase realisiert
LMU-MPQ-Forschern gelingt die Herstellung eines entarteten Quantengases mit zwei verschiedenen fermionischen Atomsorten
Wissenschaftler um Prof. Dr. Theodor W. Hänsch und Dr. Kai Dieckmann (Ludwig-Maximilians-Universität München und Max-Planck-Institut für Quantenoptik, Garching) haben erstmals extrem kalte, so genannte „entartete“ Quantengase erzeugt, die zwei verschiedene fermionische Atomsorten, Lithium und Kalium, enthalten (Phys. Rev. Lett. 100, 010401 (2008)). Solche Gase dienen als Modelle, um damit exotische Festkörpereigenschaften wie etwa die Supraleitfähigkeit zu simulieren und besser zu verstehen. Darüber hinaus bietet das hier vorgestellte Experiment eine Plattform für die Realisierung völlig neuer Materiezustände.
Die makroskopisch beobachtbaren Eigenschaften von Festkörpern wie z.B. die Leitfähigkeit oder der Magnetismus gehen letztendlich auf die quantenmechanischen Eigenschaften ihrer elementaren Bausteine – der Elektronen und Atome – zurück. Während der letzten zehn Jahre haben Physiker viel über hierfür relevante, grundlegende Mechanismen gelernt, indem sie verdünnte atomare Gase als Modellsysteme untersuchten. Ultrakalte Gase sind aufgrund ihrer Reinheit und exzellenten Kontrollierbarkeit für solche Untersuchungen besonders geeignet.
Anfangs konzentrierte sich die Forschung dabei auf Experimente mit Bosonen, Teilchen mit ganzzahligem Spin. Wie 1995 experimentell nachgewiesen wurde, gehen bosonische Teilchen bei extrem tiefen Temperaturen in ein so genanntes Bose-Einstein-Kondensat (BEC) über, in dem die Teilchen zu einer Art Riesenatom verschmelzen. In letzter Zeit richtet sich das wissenschaftliche Interesse in zunehmendem Maße auf fermionische Gase, deren Analogie zu Festkörpern größer ist. Fermionen, Teilchen mit halbzahligem Spin, gehorchen dem Pauli’schen Ausschließungsprinzip (d.h. sie müssen sich immer in mindestens einer Quantenzahl unterscheiden) und können daher kein BEC bilden. Durch Anlegen eines Magnetfeldes geeigneter Stärke lassen sich je zwei Fermionen aber dazu bewegen, sich zu einer Art zusammengesetztem Boson zu verbinden: In einem bestimmten Bereich der Magnetfeldstärke entstehen Fermi-Fermi-Moleküle, die bei hinreichend geringer Temperatur ein molekulares BEC bilden. In einem anderen Bereich ergibt sich ein sogenannter BCS-Zustand (nach den Physikern Bardeen, Cooper und Shrieffer), in dem die beiden Fermionen Cooper-Paare bilden, wie analog je zwei Elektronen in der supraleitenden Phase von Festkörpern. Ein zentrales Motiv des hier geschilderten Experimentes ist es, den kontinuierlichen, sogenannten BEC-BCS-Übergang zwischen diesen beiden exotischen Materie-Phasen zu untersuchen. Mit der neuen Plattform können erstmal auch Fermionen-Paare aus zwei verschiedenen Spezies erzeugt werden. Damit ergeben sich erweiterte experimentelle Möglichkeiten und es könnten in der Zukunft neuartige, bisher nur theoretisch vorhergesagte exotische Quantenphasen beobachtet werden.
Die Erzeugung ultrakalter Fermigase erfordert zum Teil andere Kühltechniken als die Erzeugung eines Bose-Einstein-Kondensats. Der erste Schritt zur Erzeugung eines BECs ist das Laserkühlen: Eine in einer Vakuumkammer eingefangene Wolke aus etwa einer Milliarde Atome wird aus sechs Raumrichtungen mit Laserlicht bestrahlt, dessen Frequenz leicht unterhalb der Resonanzfrequenz der Atome liegt. Nur Teilchen, die dem Laserstrahl entgegenlaufen, können angeregt werden – dabei geben sie aber Bewegungsenergie ab. Auf diese Weise kühlen sie auf Temperaturen von ca. 100 Mikrokelvin ab. Danach werden sie in einer magnetischen oder optischen Falle eingefangen und mit Hilfe der „Verdampfungskühlung“ auf die für ein BEC erforderlichen Temperaturen von wenigen hundert Nanokelvin gebracht. Bei diesem Verfahren werden ständig die energiereichsten Teilchen aus der Falle entfernt und dadurch die Energie pro gefangenem Atom erniedrigt. Durch elastische Stöße zwischen den in der Falle verbliebenen Teilchen wird die Gesamtenergie wieder korrekt auf alle gefangenen Teilchen umverteilt und die Temperatur des Gases sinkt. Bei der Temperatur, bei der das BEC erreicht wird, befindet sich nur noch ca. 1 Promille der anfänglichen Atommenge in der Falle. Auf Fermionen hingegen kann diese Kühlmethode nicht ohne weiteres angewendet. Denn aufgrund des Pauli-Prinzips dürfen sich Fermionen bei tiefen Temperaturen nicht zu nahe kommen. Das heißt, unterhalb einer Temperatur von typischerweise einigen hundert Mikrokelvin finden praktisch keine Stöße mehr statt, die ja die Voraussetzung für das Verdampfungskühlen sind. Es gibt jedoch einen Ausweg aus diesem Dilemma. Denn Stöße sind nur zwischen gleichartigen Fermiteilchen verboten, nicht aber zwischen verschiedenen Fermiteilchen bzw. zwischen Fermi- und Boseteilchen. Wenn man das Fermigas gleichzeitig mit einem bosonischen Gas speichert, können kalte Bosonen die Bewegungsenergie der Fermionen aufnehmen, so dass auch diese allmählich immer kälter werden. Diesen Vorgang nennt man „sympathetisches Kühlen“.
Basierend auf dieser Technik ging die Münchener Gruppe mit dem Konzept des hier beschriebenen Experimentes jetzt einen Schritt weiter. Hierbei füllen die Wissenschaftler zwei fermionische Gase, Lithium und Kalium (sowohl gleichzeitig als auch separat), zusammen mit bosonischen Rubidium-Atomen in eine magnetische Falle. Alle Atomsorten wurden vorher mit Laserkühlung auf Temperaturen im Mikrokelvin-Bereich gebracht. Danach wendet man auf die bosonischen Rubidiumatome Verdampfungskühlung an. Während dieses Prozesses können aber die fermionischen Atome ihre Energie an die Rubidiumatome abgeben, wobei der Wirkungsquerschnitt für das Kalium weit größer ist als für das Lithium. Es zeigte sich in den Experimenten, dass die Kühlung von Lithium durch Rubidium am effizientesten ist und nur dann zur gewünschten tiefen Quantenentartung führt, wenn den kalten Gasen Kalium beigemischt ist. Kalium als zweite fermionische Komponente wirkt hier gewissermaßen als katalytisches Kühlmittel. In einer anderen Versuchsanordnung ließen die Wissenschaftler in der Mischung der drei Atomsorten das Rubidium vollständig verdampfen, so dass eine Mischung aus zwei Fermionen-Sorten zurückblieb.
Erstmals gibt es damit eine experimentelle Plattform, mit der sich Mischungen von Fermionen verschiedener Spezies und Mischungen aus Bose- und Fermiteilchen untersuchen lassen. Aufgrund der perfekten Reinheit der Mischung können grundlegende Theorien ohne Nebeneffekte getestet werden. Dabei bietet das System einzigartige Möglichkeiten der präzisen Kontrolle über die Parameter der zu testenden Theorien, wie z.B. die unabhängige Kontrolle über die Bewegungszustände der beiden fermionischen Komponenten und die Art und Stärke der Wechselwirkung zwischen den beiden. Zwei Hauptforschungsrichtungen erscheinen dabei besonders interessant: Ultrakalte Moleküle und der BEC-BCS-Übergang. Ultrakalte Moleküle, die aus zwei verschiedenartigen Fermiteilchen bestehen, sind vergleichsweise stabil und können ein starkes elektrisches Dipolmoment aufweisen. Dies kann zur Untersuchung neuartiger Systeme mit anisotroper, langreichweitiger Dipol-Dipol-Wechselwirkung ausgenutzt werden, z.B. um Antiferromagnetismus zu simulieren. Die Verfügbarkeit der zwei verschiedenen fermionischen Spezies in dem System bietet zudem neuartige Möglichkeiten zur Untersuchung des BEC-BCS-Übergangs. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse könnten zum tieferen Verständnis von Hoch-Tc-Supraleitung in Festkörpern beitragen. [O.M.]
Abbildung: Links: bei extrem tiefen Temperaturen, etwa einigen hundert Nanokelvin, bilden die fermionischen Gase (blaue und rote Kugeln) zwei ineinander verzahnte Fermi-Seen, während das bosonsiche Gas (grüne Kugeln) in die BEC-Phase übergeht. Rechts: Typische Falschfarben-Schattenbilder der quantenentarteten Drei-Spezies-Mischung aus Kalium, Lithium und Rubidium zusammen mit entsprechenden gefitteten Dichteprofilen.
Kontakt:
Dr. Kai Dieckmann
Department für Physik
Ludwig-Maximilians-Universität München
Schellingstraße 4, 80799 München
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E-Mail: kai.dieckmann@physik.uni-muenchen.de
Dr. Olivia Meyer-Streng
Presse & Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für Quantenoptik
Telefon: +49 (0)89 / 32 905 -213
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