Attosekunden-Elektronenkatapult

Ein Team von Physikern und Chemikern vom Labor für Attosekundenphysik der Ludwig-Maximilians-Universität und dem Max-Planck-Institut für Quantenoptik hat die Wechselwirkung von Licht und winzigen Glasteilchen erforscht.

12. August 2015

Die Beziehung zwischen starken Laserpulsen und Glas-Nanoteilchen ist eine ganz spezielle. Sie könnte medizinische Methoden verändern, wie Wissenschaftler aus Rostock, München und Berlin herausfanden. Dieses Zusammenspiel aus Licht und Materie untersuchte ein Team von Physikern und Chemikern aus dem Labor für Attosekundenphysik (LAP) am Max-Planck-Institut für Quantenoptik (MPQ) und der Ludwig Maximilians Universität München (LMU), dem Institut für Physik der Universität Rostock und der Freien Universität Berlin. Die Forscher ließen starke Laserpulse mit Nanoglaskügelchen, die aus mehreren Millionen Atomen bestehen, interagieren. Je nachdem, wie viele Atome in den Nanokügelchen zusammengefasst waren, reagierten die Objekte unterschiedlich, und zwar innerhalb von Attosekunden (eine Attosekunde ist ein Milliardstel einer Milliardstel Sekunde). In Abhängigkeit ihrer Größe entstehen an der Oberfläche der Glaskügelchen sogenannte Nahfelder, mit denen Elektronen kontrolliert in verschiedene Richtungen ausgesendet werden konnten. Die Forschungsergebnisse könnten langfristig die Methoden bei der Bildgebung in der Medizin und bei der Krebsbekämpfung erweitern.

Wenn starke Lichtpulse auf Nanoteilchen treffen, dann bleibt in den Atomverbünden nichts wie es war. Sobald die Atome das elektromagnetische Feld des Lichts „spüren“, fangen deren Elektronen an zu schwingen: An der Oberfläche der Kügelchen bilden sich so genannte Nahfelder aus. Das sind elektromagnetische Felder mit Abmessungen im Nanometerbereich, die je nach Wellenlänge des eintreffenden Lichts in einer charakteristischen Weise schwingen.

Die LAP-Physiker um Professor Matthias Kling untersuchten Nanoglaskügelchen aus Siliziumdioxid mit Durchmessern zwischen 50 und 550 Nanometern, die in der Gruppe um Professor Eckart Rühl an der Freien Universität Berlin chemisch hergestellt wurden. Auf die Atomverbünde ließen die Wissenschaftler starke, rund vier Femtosekunden lange Laserpulse treffen (eine Femtosekunde ist ein Millionstel einer Milliardstel Sekunde). Sobald die Wellen des elektromagnetischen Lichtfeldes die Nanokugeln erfasst hatten, bildeten sich an deren Oberfläche die Nahfelder aus und begannen zu pulsieren. Je größer die vom Licht getroffenen Kügelchen in dem Experiment im Vergleich zu der eingesetzten Laserwellenlänge von 720 Nanometer waren, desto weiter wanderten die Nahfelder von der Polgegend in Richtung der Rückseite der Teilchen und wirken dabei als Elektronenkatapult.

Das konnten die Forscher beobachten, indem sie während des Durchgangs des Laserpulses mit Teilchendetektoren die Flugbahnen von Elektronen aufzeichneten, die genau inmitten der Nahfelder von den Nanokügelchen ausgesandt wurden. „Die Energie und Richtung der emittierten Elektronen ist in diesem Fall eng verknüpft mit der räumlichen und zeitlichen Struktur der Nahfelder. Die Emission von Elektronen selbst ist eine Art Ping-Pong-Spiel an der Oberfläche der Nanokügelchen, das sich mit einer Genauigkeit im Attosekundenbereich steuern lässt“, erläutert Professor Thomas Fennel von der Universität Rostock. Er führte mit seinem Team Simulationsrechnungen durch, die die mikroskopischen Vorgänge und deren Ablauf aufdecken konnten. „Die Elektronen verlassen zunächst die Kugeln, werden dann aber wieder in Richtung der Oberfläche zurückgezogen. Dort prallen sie ab und erhalten aus dem Nahfeld einen finalen, starken Impuls, der sie dann endgültig aus dem Nanoteilchen herauslöst“, ergänzt Professor Matthias Kling.

Da man mit dieser Technik die Richtung der Aussendung von Teilchen über Laserlicht kontrollieren kann, wäre hierfür eine medizinische Anwendung als Langzeitperspektive denkbar, meinen die Wissenschaftler. „Mit der gerichteten Elektronenbewegung könnte man stark gerichtete Röntgenstrahlung für die Bildgebung produzieren“, erläutert Professor Eckart Rühl. Verwendet man genügend starke Laserpulse, wäre es auch denkbar, Ionen, also geladene Atome, aus dem Nanoverbund zu lösen und damit stark gerichtete Ionenstrahlung zur Bekämpfung von Tumoren zu erhalten. Ferner könnte sich herausstellen, dass die Technik neue Perspektiven zur Materialverarbeitung jenseits des Beugungslimits eröffnet – etwa um Nanometer große Bereiche von einer Oberfläche abzutragen.

Die Kombination aus starken Lichtpulsen und Nanoteilchen könnte zu einem wichtigen Baustein für die Elektronik der Zukunft werden. Mit der sogenannten lichtwellengesteuerten Elektronik wäre man in der Lage, Datenübertragung und Speicherung mit der Frequenz von Lichtwellen (rund 1015 Schwingungen pro Sekunde) zu betreiben. Das wäre in etwa 100.000 Mal schneller als es gegenwärtig möglich ist. Thorsten Naeser

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