Neues Experiment bestätigt Verletzung der Bell’schen Ungleichung

LMU/MPQ-Wissenschaftler-Team schließt letzte „Schlupflöcher“ für Anhänger des lokal-realistischen Weltbildes

„Die Natur ist anders, als wir sie mit unseren fünf Sinnen wahrnehmen.“ So bringt Prof. Harald Weinfurter (Ludwig-Maximilians-Universität München und Max-Planck-Institut für Quantenoptik, Garching) die Ergebnisse der jüngsten Messungen auf den Punkt, die sein Team zum Test der Bell’schen Ungleichung durchführte. In dem betreffenden Experiment verschränkten die Physiker zwei Rubidium-Atome über eine Entfernung von 400 Metern und bestimmten danach deren Zustand mit hoher Effizienz. Dabei widerlegten sie eindeutig das sogenannte lokal-realistische Weltbild, das der klassischen Physik zugrunde liegt. In diesem Weltbild sind die Eigenschaften eines Objekts völlig unabhängig von seiner Beobachtung (Realismus), und keine Information oder Wirkung kann sich schneller als mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten (Lokalität). (Phys. Rev. Lett., 7. Juli 2017)

Mag der lokale Realismus auch unsere Alltagswelt treffend beschreiben, im Reich der Quanten gelten ganz andere Gesetze: hier können zwei Teilchen über weite Strecken eine Fernbeziehung unterhalten, und ihre Eigenschaften werden erst durch die Messung festgelegt. Auf diese Inkonsistenz der Quantenmechanik mit dem lokal-realistischen Weltbild wiesen schon 1935 Albert Einstein, Boris Podolsky und Nathan Rosen in einer mittlerweile berühmten grundsätzlichen theoretischen Arbeit hin.

1964 entwickelte der irische Physiker John Bell ein Verfahren, die Gültigkeit der unterschiedlichen Weltbilder zu testen. Der Test erfordert die Verschränkung von zwei Quantenteilchen und die anschließende Bestimmung ihrer Eigenschaften. Zwar haben alle derartigen Versuche bislang die Vorhersagen der Quantenmechanik bestätigt. Skeptiker fanden jedoch stets noch ein Schlupfloch, die Ergebnisse auch klassisch zu interpretieren.

Das Schlupfloch Lokalität betrifft die strikte raumzeitliche Trennung der Beobachter. Diese wird im Münchner Experiment dadurch garantiert, dass sich ein Labor im Keller der Fakultät für Physik in der Schellingstraße befindet, ein weiteres in der Schackstraße im Keller der Fakultät für Volkswirtschaft der LMU. In jedem Labor wird ein Rubidium-Atom gefangen und zur Aussendung eines einzelnen Photons angeregt. Der Spin-Zustand des Atoms und die Polarisation des Photons werden dadurch verschränkt. Die beiden Photonen werden über ein Glasfaserkabel zu einem weiteren Messaufbau geführt, ebenfalls im Keller der Fakultät für Physik, und dort zur Interferenz gebracht.

„Wir haben also zwei Beobachter-Stationen mit völlig unabhängig arbeitenden experimentellen Anordnungen, eigenen Kontroll- und Laser-Systemen“, betont Dr. Wenjamin Rosenfeld, der das Projekt geleitet hat. „Die Entfernung von 400 Metern bedeutet, dass die Verständigung zwischen den Beobachtern 1328 Nanosekunden dauern würde, erheblich länger als der Messprozess. Damit kann keine Information über die Messung in einem Labor bei der Messung im anderen Labor genutzt werden. Auf diese Weise schließen wir das Schlupfloch Lokalität.“

„Die gleichzeitige Messung der interferierten Photonen signalisiert uns, dass die beiden Atome verschränkt sind“, erklärt Harald Weinfurter. Verschränkung von zwei Teilchen impliziert, dass ihre Eigenschaften eng korreliert sind. Abhängig von der Art der Verschränkung heißt das für die beiden gespeicherten Rubidium-Atome, dass ihre Spins entweder in die gleiche oder in die entgegengesetzte Richtung zeigen. In einer 8-tägigen Messreihe sammelten die Wissenschaftler die Daten von rund 10 000 Ereignissen. Die Auswertung ergab, dass wesentlich mehr Atome im gleichen (bzw. ungleichen) Zustand waren, als es durch klassische Statistik beschreibbar wäre. Die Resultate weichen mit 6 Standardabweichungen weit deutlicher vom klassischen Limit ab als in vergleichbaren Experimenten einer holländischen Gruppe. „Die Bestimmung des Spin-Zustands der beiden Atome erfolgt bei uns sehr schnell und effizient, und so schließen wir ein zweites potentielles Schlupfloch: die Annahme, die beobachtete Verletzung der Bell’schen Ungleichung sei auf unvollständige Detektion zurückzuführen“, führt Wenjamin Rosenfeld aus.

Die Messergebnisse sind zum einen von grundsätzlicher Bedeutung für unser Verständnis der Naturgesetze. Die Wissenschaftler sehen in der Methode aber auch eine Möglichkeit, Nachrichten abhörsicher zu verschlüsseln. Für Anwendungen in der Quantenkryptographie aber müsse, so Harald Weinfurter, die Qualität der Messungen noch gesteigert werden. Darüber hinaus könnte das System auch als Bauelement die effiziente Übermittlung von Quanteninformation und damit auch die sichere Kommunikation über große Entfernungen ermöglichen. Olivia Meyer-Streng

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