Das Schattendasein der Photonen

Das Doppelspaltexperiment – ein Herzstück der Quantenmechanik neu interpretiert.

27. Oktober 2025

Zum hundertsten Geburtstag der Quantenmechanik rüttelt eine Gruppe von Physikern an einem zentralen Paradigma: dem Welle-Teilchen-Dualismus. Darunter auch Gerhard Rempe, Direktor am Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching. Im Fokus steht das berühmte Doppelspalt-Experiment. Es gilt als ein wichtiger Beleg für diesen Dualismus, nach dem Quantenobjekte grundsätzlich sowohl Teilchen- als auch Welleneigenschaften besitzen. Doch laut einem dieses Jahr im Fachjournal Physical Review Letters erschienen Paper lässt sich dieses Experiment allein durch das Teilchenbild erklären. Dazu bedarf es nur zweier Zutaten aus der Quantenphysik: dunklen Quantenzuständen der Photonen und der Verschränkung.

Es geht um eines der ganz zentralen Experimente der Physik: Das vom Briten Thomas Young 1803 erstmals durchgeführte „Doppelspalt-Experiment“. Dabei fällt Licht durch eine Blende mit zwei feinen Schlitzen, was auf einem dahinter aufgestellten Schirm ein Muster heller und dunkler Streifen erzeugt. Dieses Muster lässt sich elegant mit Lichtwellen erklären. Von den beiden Schlitzen breiten sich demnach jeweils kreisförmige Wellenfronten bis zu dem Schirm aus. Die Stellen, wo sich die Wellenberge und Wellentäler konstruktiv überlagern, erscheinen hell, dort, wo Wellenberg auf Wellental trifft und sie sich somit gegenseitig auslöschen, wird es dunkel (Abbildung 1).

Dieses „Interferenzmuster“ ist charakteristisch für Wellen. „Später im 19. Jahrhundert, als Maxwell seine Gleichungen für elektromagnetische aufstellte, war dann das Wellenbild etabliert“, sagt Rempe. Damit war eine jahrhundertelang geführte Debatte, ob Licht aus Partikeln oder Wellen bestehe, zunächst zugunsten der Wellen entschieden. „Unsere Arbeit aber zeigt, dass nichts endgültig ist.“

Die Bohr-Einstein-Debatte

Vor hundert Jahren in der Interpretation der gerade entstehenden Quantenmechanik spielte das Doppelspaltexperiment dann erneut eine entscheidende Rolle. Dieses Mal wurde es vom Meister des Gedankenexperiments, Albert Einstein, als eben solches zum Spielfeld einer Debatte gemacht, die er mit Niels Bohr führte. Einstein, der 1905 nach Planck mit der Erklärung des Photoeffekts die zweite Pionierarbeit zur Quantentheorie beigetragen hatte, war zum Anhänger des Teilchenbilds des Lichts geworden, während Bohr in seinem Nobelpreis-Vortrag 1922 noch das Wellenbild des Lichts verteidigt hatte. Mitte der Zwanzigerjahre gab es dann experimentelle Ergebnisse, die beide antagonistische Perspektiven stützten.

Die Debatte lief auf die Frage hinaus: Was passiert, wenn man die Intensität der Lichtquelle soweit herunterdimmt, dass nur noch einzelne Lichtquanten – der Begriff „Photon“ wurde erst später eingeführt – durch jeweils einen der beiden Spalte fliegen würden. Auf der Suche nach einer Antwort führte die gerade entstehende Quantenmechanik zu einer höchst beunruhigenden Schlussfolgerung.

Würde man einen fotografischen Film anstelle des Schirms hinter den Doppelspalt stellen, dann würde jedes Photon irgendwo einen kleinen Punkt erzeugen. Mit jedem neuen Photon würde sich allmählich aus einer zunächst scheinbar zufälligen Punktverteilung ein Muster herausbilden, das exakt dem Interferenzmuster des Wellenbilds entspräche. Die Konsequenz: Ein einzelnes Photon ist zugleich punktförmiges Teilchen und Welle – es „surft“ gewissermaßen auf seiner eigenen Welle, die raumgreifend durch beide Spalte läuft und so mit sich selbst interferiert. Das war die Geburt des Welle-Teilchen-Dualismus, der ein Bestandteil der sogenannten Kopenhagener Interpretation der Quantenmechanik wurde.

Erste Experimente mit stark abgeschwächten Lichtquellen wurden bereits Anfang des 20. Jahrhunderts durchgeführt, konnten aber erst mit den hochempfindlichen Methoden der modernen Physik und der Entwicklung echter Einzel-Photonen-Quellen perfektioniert werden. Alle diese Experimente schienen den Welle-Teilchen-Dualismus zu bestätigen, nicht allein für Licht, sondern auch für Wellen „massiverer“ Quantenobjekte, etwa Elektronen, Atome oder Moleküle. Letztere werden auch Materiewellen genannt, um sie in Kontrast zu Lichtwellen aus Photonen ohne Ruhemasse zu setzen.

Eine Frage des Weges

Natürlich führte die Debatte um den Doppelspalt auch bald zu der Frage, ob man vielleicht doch mit Tricks herausfinden könne, welchen der beiden möglichen Wege durch die zwei Spalte ein Photon genommen habe. Eines ist klar: Schließt man einen Spalt, sodass es nur noch einen Weg gibt, bricht das Doppelspalt-Interferenzmuster auf dem Schirm oder Film zu einem diffusen Fleck in Flugrichtung zusammen. Aber könnte man vielleicht an beide Spalte jeweils ein hochempfindliches Messgerät setzen, das den Durchflug des Photons auf subtilere Weise registrieren könnte? Gegen diese Strategie spricht jedoch, dass nach der Kopenhagener Interpretation der Quantenmechanik jede Messung das gemessene Objekt beeinflussen muss.

Tatsächlich galt lange das Paradigma, dass jeder Versuch einer Messung die Interferenz der Photonenwelle zerstören würde – die überlagerte Welle aus den zwei Spalten würde kollabieren. Warum? Weil dabei unweigerlich ein Impulsübertrag zwischen dem Lichtdetektor und dem Photon stattfinden müsse. Das besagt im Kern das sogenannte Heisenberg-Mikroskop, ein von Werner Heisenberg Ende der 1920er-Jahre erdachtes, weiteres Gedankenexperiment zur Orts-Impuls-Unschärferelation. Damit lässt sich anschaulich erklären, warum und wie sich die Verteilung der Photonen auf dem Schirm ändert.

Steckt die Verschränkung hinter dem Kollaps?

Ab den späten 1980er-Jahren entwickelten theoretische Physiker dann Ideen für neue Experimente, die das Problem des Impulsübertrags geschickt umschifften. Diese Ideen basieren darauf, dass ein Detektor nur extrem schwach mit dem Objekt, hier das Photon, wechselwirken soll – so schwach, dass ein Impulsübertrag ausgeschlossen ist. Trotzdem können diese minimalinvasiven Experimente, oft genug wiederholt, statistisch signifikante Informationen über das Quantenobjekt, hier das Photon, gewinnen. Gerhard Rempes damaligem Team an der Universität Konstanz gelang eine solches Experiment, dessen Resultat es 1998 in Nature publizierte. Das Ergebnis: Trotz fehlendem Impulsübertrag wird die Interferenzinformation zerstört. Offensichtlich musste ein anderer Mechanismus für den Kollaps der überlagerten Welle verantwortlich sein.

„Ich hatte den Verdacht, dass die Verschränkung der Täter ist“, sagt Rempe schmunzelnd. Seitdem habe er immer wieder über das Doppelspaltexperiment nachgedacht, berichtet er. Das lag schon deshalb nahe, weil Rempe seine Forschung seit Jahrzehnten auf die Wechselwirkung zwischen einzelnen Photonen und Atomen, also die Natur der Licht-Materie-Wechselwirkung, konzentriert hat. Dazu trieb er die Entwicklung einer Technik mit optischen Hohlräumen an der Weltspitze voran.

Einen solchen optischen Hohlraum kann man sich als winziges Kabinett aus zwei nahezu perfekten Spiegeln vorstellen. In dieses Spiegelkabinett wird zum Beispiel ein einzelnes Atom eingesperrt und Photonen ausgesetzt. Diese flitzen wie Ping-Pong-Bälle zwischen den Spiegeln tausende Male hin und her, bis sie mit dem Atom wechselwirken. Im Prinzip lassen sich so auch Experimente durchführen, die dem Doppelspalt ähneln, wenn man zwei überlappende Hohlräume anstelle von zwei Spalten verwendet und ein Atom quasi als Beobachter an den Kreuzungspunkt der beiden Hohlräume bringt.

Dunkelzustände im Teilchenbild

Rempe diskutierte das Doppelspaltexperiment und die Natur der Photonen, wie sie sich in seinen extrem empfindlichen Experimenten zeigt, regelmäßig mit einem befreundeten Kollegen, Celso Villas Boas von der Universidade Federal de São Carlos im brasilianischen Bundesstaat São Paulo. Dieser theoretische Physiker ist Erstautor des Papers in Physical Review Letters, das aus dieser jahrelangen Diskussion entstand. Einfach gesagt, basiert das Ergebnis darauf, dass Photonen sich in einem „perfekt dunklen“ Quantenzustand befinden können – dass es die gibt, weiß Rempe aus seinen Arbeiten mit optischen Hohlräumen.

In einem solchen Dunkelzustand können sie nicht mit einem Atom wechselwirken, das zum Beispiel auf dem Schirm eines Doppelspaltexperiments sitzt. Das ist an sich keine neue Erkenntnis auf dem Gebiet der Quantenoptik. Gerhard Rempe ist es daher wichtig, zu betonen, dass es sich um keine neue Art „dunkler Photonen“, sondern um einen Dunkelzustand handelt, wie dies in der populärwissenschaftlichen Rezeption des Papers teilweise missverstanden wird: „Wir haben keine neue Eigenschaft der Photonen erfunden!“

Jenseits des Wellenbildes

Die recht komplexe Darstellung in der Publikation lässt sich in Bezug auf den Doppelspalt auf eine einfache Kernbotschaft zuspitzen:

  • Die dunklen Stellen im Interferenzmuster entstehen nicht durch destruktive Überlagerung von Wellen.
  • Stattdessen treffen an diesen Stellen nur Photonen im Dunkelzustand auf den Schirm.
  • Bei den hellen Stellen sind es Photonen in einem hellen Quantenzustand.

„Die Photonen sind also überall vorhanden“, sagt Rempe, „aber an den dunklen Stellen befinden sie sich im dunklen Zustand und können dort nicht mit einem Atom als Beobachter wechselwirken!“

Aus diesem einfachen Bild folgt laut Rempe allerdings eine entscheidende Frage: „Welcher Mechanismus sorgt dafür, dass die Photonen an bestimmten Stellen im Dunkelzustand sind, an anderen im hellen Zustand?“ Die Antwort liefert er gleich nach: „Es ist die Verschränkung!“

Die Verschränkung ist wohl die seltsamste Eigenschaft der Quantenwelt. Sind zwei Quantenteilchen miteinander verschränkt, dann befinden sie sich bezüglich einer Quanteneigenschaft in einem gemeinsamen Zustand. Macht man an einem der Teilchen nun eine Messung, dann legt dies den Zustand des anderen Teilchens schlagartig fest – egal wie weit es entfernt ist. Einstein nannte das „spukhafte Fernwirkung“ und sah diese als einen Beleg für die Unvollständigkeit der Quantenmechanik an. Tatsächlich ist die Natur im Quantenbereich genau so merkwürdig beschaffen.

Heute nutzt das Quantenengineering diese Eigenschaft technisch für die Entwicklung von Quantencomputern oder die sichere Übertragung von Quantenschlüsseln.

Das Doppelspaltexperiment im neuen Teilchenbild

Beim Doppelspalt ergibt sich damit folgende Situation (Abbildung 2). Wenn die Spalte mit „1“ und „2“ bezeichnet werden, dann folgt daraus quantenmechanisch eine Überlagerung der beiden möglichen Wege des Photons. Am Ort eines Atoms auf dem Schirm ergibt sich somit eine Überlagerung der beiden Zustände:

  • „Photon nahm den Weg durch Spalt 1 und nicht Spalt 2“ und
  • „Photon nahm den Weg durch Spalt 2 und nicht Spalt 1“.

Dabei ist ohne Messung unbekannt, welchen der Wege das Photon genommen haben könnte. Folglich sind, quantenmechanisch gesehen, beide Zustände gleichberechtigt. Nach den Gesetzen der Quantenphysik müssen die beiden Möglichkeiten dann gleichzeitig betrachtet und überlagert werden. Dabei entsteht ein verschränkter Zustand, auch wenn nur ein Photon vorliegt, denn dieses kann potenziell durch zwei Spalte fliegen.

Auf der Seite des Schirms hängt es nun von den Abständen beider Wege von den Spalten ab, ob sich am Ort eines Atoms gerade der helle oder der dunkle verschränkte Zustand ergibt. Das Paper in Physical Review Letters zeigt: mithilfe des mathematischen Apparats der Quantenmechanik lässt sich dies sauber ausrechnen, und zwar ganz ohne Wellenbild.

Die Konsequenz ist allerdings im Gegensatz zum klassischen Wellenbild, dass sich an den dunklen Stellen im Interferenzbild eben doch Photonen befinden, nur sind diese für die dortigen Atome sozusagen unsichtbar.

Diese neue Sichtweise des Doppelspalt-Experiments kann auch elegant erklären, warum auch noch so subtile Versuche scheitern müssen dabei, den „Weg“ eines Photons durch einen der beiden Spalten zu erkennen. Sobald man an den beiden Spalten Detektoren platziert (Abbildung 3), die auch noch so schwach mit den Photonen wechselwirken, verändern sie nämlich den verschränkten Zustand. Damit verschwindet die Interferenz.

The concept of dark states also resolves another apparent contradiction from Rempe’s cavity experiments. A photon trapped between two mirrors can be described in two ways, just like in the double-slit experiment:

  • As a standing wave, or
  • As a particle bouncing back and forth.

“But these two pictures don’t seem to fit together,” Rempe explains. “At the nodes of the standing wave it is dark, so the photon shouldn’t be there at all. But in the particle picture, the photon must pass through these regions.” The solution, according to Rempe, is simple: “At those positions, the photon is in the dark state!”

Eine neue Sichtweise auf den Kosmos

Gerhard Rempe spricht einen wichtigen Aspekt der neuen Arbeit an: „Das ist ein neuer Blickwinkel auf das Doppelspaltexperiment, was aber nicht heißt, dass das klassische Wellenbild falsch ist – beides sind sowieso nur mehr oder weniger anschauliche Bilder.“

Tatsächlich ist es der mathematische Apparat der Quantenmechanik, der Naturbeschreibungen hervorbringt, die in Welten jenseits unserer Anschauung angesiedelt sind. Und mittlerweile gebe es Experimente und ihre Anwendungen in Quanteninformationstechnologien, wo das Wellenbild ohnehin zu kurz greife, so Rempe.

Philosophisch gesehen stellt sich mit dieser Arbeit die Frage, ob sich das Bild der dunklen Zustände auch auf Materiewellen übertragen ließe. Die Quantenmechanik jedenfalls legt das nahe, denn sie unterscheidet im Kontext der Interferenz nicht grundsätzlich zwischen Photonen und Materieteilchen. Doppelspalt-Experimente mit Materiewellen wurden seit den 1990er-Jahren durchgeführt, sogar mit recht großen Molekülen anstelle der Photonen. Auch hier zeigt sich das typische Interferenzbild beim Flug eines einzelnen Moleküls durch den Doppelspalt. Ob auch hier das Bild der dunklen Zustände anwendbar wäre, müssten neue Untersuchungen nun klären.

Seit Erscheinen dieser Arbeit wird jedenfalls auch darüber spekuliert, ob die zwei großen ungelösten Rätsel der Astrophysik, die dunkle Materie und die dunkle Energie im Kosmos, vielleicht durch Photonen in Dunkelzuständen erklärbar wären. Eine Initiative, mit einem der für die Suche nach dunkler Materie entwickelten Experimente gezielt nach kosmischen dunklen Photonen zu suchen, gibt es bereits. Aber die Überlegungen bleiben spekulativ.

Dabei stellt sich auch die Frage, wie es diese Photonen schaffen sollten, für alle Atome im Weltall unsichtbar im Dunkelzustand zu verbleiben. Stelle man sich allein schon die Bewegungen der Himmelskörper, der Galaxien oder Staub- und Gaswolken gegeneinander vor, dann wäre unklar, wie dies funktionieren solle, sinniert Rempe. Beim Doppelspaltexperiment hänge es ja von der Position eines Atoms auf dem Schirm ab, ob es Photonen nicht oder eben doch „sieht“.

„Allerdings, als Max Planck sein Wirkungsquantum eingeführt hat“, sagt der Max-Planck-Direktor, „konnte er die Konsequenzen auch noch nicht absehen.“ In der Tat beweist die Erkenntnisgeschichte der Physik, dass die Natur voller Überraschungen steckt.

(Dieser Artikel wurde erstellt mit der Unterstützung des Wissenschaftsjournalisten Roland Wengenmayr.)

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