Wie sich chaotische Systeme beschreiben lassen

LMU-Forschende finden Hinweise darauf, dass man auch Vielteilchensysteme der Quantenwelt mit fluktuierender Hydrodynamik erfassen kann.

4. Oktober 2024

Systeme, die aus vielen kleinen Teilchen bestehen, können hochkomplex und chaotisch sein. Manche davon lassen sich trotzdem mit einfachen Theorien beschreiben. Funktioniert das auch in der Welt der Quantenphysik? Ein Forschungsteam um Professorin Monika Aidelsburger und Professor Immanuel Bloch von der LMU-Fakultät für Physik und dem Max-Planck-Institut für Quantenoptik hat diese Frage an Quanten-Vielteilchensystemen untersucht und Hinweise darauf gefunden, dass diese makroskopisch durch simple Diffusionsgleichungen mit zufälligem Rauschen beschrieben werden können. Die Studie wurde im Fachmagazin Nature Physics publiziert.

„Wenn man das Fließverhalten von Wasser beschreiben will, ist es nicht nötig, mit der Physik der Wassermoleküle anzufangen, aus denen das Wasser besteht. Stattdessen kann man Flussgleichungen formulieren und das Problem rein makroskopisch betrachten“, erklärt Julian Wienand, Doktorand im Team von Monika Aidelsburger und Erstautor der neuen Studie. Dieser Ansatz ist als „Hydrodynamik" bekannt. Doch beim Beobachten der Bewegung kleiner Teilchen im Wasser wird sichtbar, dass sie nicht nur mitgeschwemmt werden, sondern auch kleine, ruckartige Bewegungen vollführen – die sogenannte Brownsche Molekularbewegung. Diese Fluktuationen sind eine direkte Konsequenz der zufälligen Kollisionen der Teilchen mit einzelnen Wassermolekülen.

„Da diese Zuckungen zufällig sind, können wir sie als weißes Rauschen beschreiben und Hydrodynamik wird zu fluktuierender Hydrodynamik (FHD)“, so Wienand. „Bemerkenswerterweise sagt uns diese FHD-Theorie, dass das gesamte Verhalten eines von ihr beschriebenen Systems unter bestimmten Umständen nur durch eine einzige Zahl bestimmt wird: die Diffusionskonstante – und das, obwohl die Physik auf mikroskopischer Ebene sehr komplex und chaotisch ist.“ Das vereinfache die makroskopische Beschreibung solcher Systeme ungemein und erfordere keine Auseinandersetzung mit den mikroskopischen Wechselwirkungen der Teilchen untereinander.

Funktioniert das auch bei Quantensystemen?

Man nimmt an, dass ein Großteil chaotischer Systeme durch FHD beschrieben werden kann. Doch ob und wie weit das auch für quantenmechanische chaotische Systeme zutrifft, ist eine weitgehend offene Frage. Die Gesetze, die bestimmen, wie Quantenteilchen miteinander wechselwirken, sind fundamental verschieden im Vergleich zu klassischen Teilchen und zeichnen sich durch alltagsfremde Phänomene wie „Unschärfe" und „Verschränkung" aus. Gleichzeitig sind solche Systeme noch schwieriger zu berechnen und könnten deshalb von einer FHD-Beschreibung umso mehr profitieren.

Das Forschungsteam ging dieser Frage nach, indem es das Verhalten von einem chaotischen Quantenvielteilchensystem unter dem Mikroskop studierte. Um zu sehen, wie sich diese Größen auf dem Weg zum thermischen Gleichgewicht entwickeln, hat das Team ein Quantensystem von ultrakalten Cäsium-Atomen in optischen Gittern in einem energetisch ungünstigen Anfangszustand erzeugt und es danach sich selbst überlassen. „Die hohe Auflösung unserer Bildgebung erlaubt es uns, nicht nur die mittlere Dichte der Teilchen in den Gitterplätzen, sondern auch deren Fluktuationen zu messen“, sagt Wienand. „So konnten wir messen, wie die Fluktuationen und Dichte-Korrelationen über die Zeit wachsen, und darauf schließen, dass FHD unser System sowohl qualitativ als auch quantitativ beschreibt.“ Die Forschenden sehen darin einen bedeutsamen Hinweis darauf, dass sich selbst chaotische quantenmechanische Systeme, auch wenn sie mikroskopisch sehr komplex sind, makroskopisch sehr einfach als Diffusionsprozess beschreiben lassen – ähnlich der Brownschen Molekularbewegung.

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