Komplexe Verschränkung stabilisiert die Quantenpost
Quantencomputer und Quanteninternet benötigen verschränkte Quantenbits, ein jüngster Durchbruch ist die erste Erzeugung zweidimensionaler „Graph-Zustände“.
Die Verschränkung von Quantensystemen ist das Fundament aller Quanteninformationstechnologien. Besonders interessant sind dabei komplexe Formen der Verschränkung zwischen mehreren Quantenbits. Das sorgt allerdings nicht nur für mächtige Rechenleistungen, sondern bei der mathematischen Beschreibung auch für explodierend lange Formeln. Eine elegante Vereinfachung bietet die abstrakte graphische Darstellung dieser komplexen Zustände in Form von beispielsweise „Sternen“, „Ringen“ oder „Bäumen“. Olivier Morins Team in der Abteilung von Gerhard Rempe, Direktor am Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching, gelang es nun zum ersten Mal, je einen ring- und baumförmigen Graph-Zustand im Experiment zu erzeugen. Für die Entwicklung von Quantencomputern oder des Quanteninternets ist das ein Durchbruch mit hoher Tragweite. In einem künftigen Quanteninternet, an dem Rempe als Pionier seit langem forscht, ließen sich so Lichtquanten zu einer gegen Verluste wesentlich stabileren Quantenpost verschränken. Die Arbeit erscheint diese Woche in Nature.
Das Konzept der Verschränkung bildet die Basis aller Quanteninformationstechnologien, an denen geforscht und entwickelt wird, seien es Quantencomputer oder das Quanteninternet. Als Grundelement dienen Paare von Quantenbits, kurz Qubits, die miteinander verschränkt sind. Man kann sich so ein Paar wie zwei LED-Lichter vorstellen, die über ein Kabel miteinander verbunden sind. Durch weiteres Zusammenstecken lassen sich daraus längere Lichterketten bilden. Die Leuchten repräsentieren die Qubits, die Kabelstücke die Verschränkung zwischen ihnen. Damit lassen sich nicht nur Ketten, sondern auch Ringe, Sterne oder baumförmige Strukturen basteln.
Was in diesem Bild der Weihnachtsdekoration dienen soll, kann aber auch für die Quanteninformationsverarbeitung, nun wieder in Form verschränkter Qubits, hochinteressant sein. „Mit einer leiterförmigen Konfiguration verschränkter Qubits ließe sich zum Beispiel ein universeller Quantencomputer aufbauen“, erklärt Gerhard Rempe. Sein Forschungsinteresse gilt allerdings dem Quanteninternet, in dem Quanteninformation, verpackt in verschränkten Photonen als „fliegende Qubits“, über Glasfasernetze verschickt werden soll. Die größte Herausforderung ist hier der Verlust an Photonen, der mit der Länge der Übertragungsstrecke exponentiell ansteigt. Als Gegenmittel wäre es zum Beispiel attraktiv, einen Zug von hintereinander fliegenden Photonen eine baumförmige Verschränkung aufzuprägen. „In die könnte man Quanteninformation redundant hineinschreiben“, erklärt Rempe, „und selbst wenn beim Empfänger nur die Hälfte der Photonen ankäme, könnte er diese Information noch rekonstruieren“.
Elegante Graphennotation für komplexe Verschränkungen
Von außen betrachtet, würde der Zug an Photonen immer an eine Perlenkette erinnern, so der Physiker, unabhängig von der Form des graphischen Quantenzustands der Photonen. Die graphische Darstellung als Stern, Baum oder Ring ist nämlich in einem abstrakten mathematischen Raum angesiedelt. Die mathematische Physik hat sie bereits vor vielen Jahren entwickelt, um ein Problem in den Griff zu bekommen: Je mehr Qubits miteinander verschränkt sind, besonders bei Querverbindungen, desto gigantischer werden die quantenmechanischen Formeln, die man dafür hinschreiben müsste. Hier spielt sich im Grunde dieselbe exponentielle Explosion ab, die die Rechenmacht der Quantenbits hervorbringt. Die graphische Darstellung ist dagegen berückend einfach: Knoten symbolisieren die Quantenbits, Striche zwischen ihnen die Verschränkung.
Experimentell extrem schwer realisierbar
Was in der Theorie wunderbar elegant und einfach aussieht, ist allerdings experimentell extrem schwer umsetzbar. „Die erste Idee, dass sich mit unserer Experimentiertechnik quantenmechanische Graph-Zustände herstellen ließen, hatten wir 2007“, resümiert Rempe. Der Physikprofessor hat seit Jahrzehnten ein Verfahren perfektioniert, bei dem einzelne Atome zwischen zwei hochreflektierenden Spiegeln gefangen werden. Mit diesen optischen Kavitäten lassen sich verschiedene grundlegende Fragen der Physik angehen, zum Beispiel wie Licht mit Materie wechselwirkt.
Eine solche Kavität wirkt auf das Atom wie zwei Spiegel, zwischen die man sich stellen kann: Man sieht sich selbst zigfach als Spiegelbild im Spiegelbild und so weiter. Sobald ein Atom leuchtet, also ein Photon aussendet, „sieht“ es Hundertausende leuchtende Atome, Spiegelbilder seiner selbst. Das zwingt das Atom, das Photon genau in Richtung der Spiegelachse auszusenden. Einer der beiden Spiegel ist wie bei einem Laser minimal durchlässig, und so kann das Photon dem „Spiegelkabinett“ entkommen und von einem Detektor registriert werden. Nur durch diesen Trick wissen die Forschenden, wo sie das winzige Photon suchen müssen und können so den Detektor richtig positionieren. Das in einem Lichtfeld schwebende Atom selbst lässt sich durch die offenen Seiten der Kavität über Laser und hochgenaue Optiken manipulieren.
Erste Umsetzung komplexer Graph-Zustände
2007 gelang es einer Doktorandin zum ersten Mal auf diese Weise, ein Atom zum Aussenden zweier miteinander verschränkter Photonen zu bringen. Das war für Rempe die Initialzündung. 2022 brachte es Olivier Morins Gruppe in Rempes Abteilung auf 12 kettenförmig und 14 sternförmig miteinander verschränkte Photonen, ein Weltrekord.
Allerdings waren dies, mathematisch gesehen, nur eindimensionale Graph-Zustände, auch der „Stern“. Um zu Ringen oder Bäumen zu kommen, brauchte es eine zweite Dimension, eine „Fläche“ im abstrakten Raum der Graph-Zustände. Dazu fing das Team zwei Rubidium-87-Atome in der optischen Kavität und präparierte mit beiden Atomen jeweils einen eindimensionalen Graph-Zustand, in dem das Atom mit vielen Photonen verschränkt ist.
Durch eine gemeinsame Messung an beiden Atomen werden die beiden eigentlich getrennten atomaren Qubits dann zu einem einzelnen „logischen“ Qubit „fusioniert“. Das ergibt dann einen zweidimensionalen Graph-Zustand. Auf diese Weise ist es gelungen, einfache Photonen-Ketten zum Beispiel zu einem baumförmigen Graph-Zustand zu fusionieren und damit komplexe und für anspruchsvolle Anwendungen geeignete Verschränkungsmuster zu erzeugen.
„Die Tragweite ist gigantisch“, kommentiert Rempe diesen Durchbruch nach einem fast jahrzehntelangen wissenschaftlichen Marathonlauf: „Es bildet sich gerade eine ganz neue Forschungsgemeinschaft um das Thema.“