Eine vereinfachte Formulierung von Gittereichtheorien für Anwendungen in der Teilchenphysik und Quantensimulation

Theoretiker aus der Quantenphysik und der Teilchenphysik finden einen neuen, sehr allgemeinen Ansatz für die Lösung von Gittereichtheorien.

5. Januar 2018

Es ist nicht an der Tagesordnung, dass Physiker aus ganz unterschiedlichen Fachgebieten eng zusammenarbeiten. Doch vor allem in der theoretischen Physik kann ein allgemeiner Lösungsansatz eine ganze Palette von Anwendungsmöglichkeiten bieten. So hat jetzt ein Team von Wissenschaftlern aus der Abteilung Theorie von Prof. Ignacio Cirac am Max-Planck-Institut für Quantenoptik seit mehreren Jahren mit theoretischen Physikern aus dem Gebiet der Teilchenphysik kooperiert, um eine neue, vereinfachte Formulierung von Gittereichtheorien zu finden. (Physical Review X 7, 28. November 2017)

Eichtheorien sind in vielen Bereichen der Physik von fundamentaler Bedeutung. Sie bilden z.B. die Grundlage der theoretischen Beschreibung des in den 70er Jahren entwickelten Standardmodells der Teilchenphysik. Hier werden die fundamentalen Bausteine der Materie, die Elementarteilchen, und die Kräfte, die zwischen ihnen wirken, als Felder behandelt. Dabei muss stets die sogenannte Eichinvarianz gewährleistet sein: Verschiedene Feldkonfigurationen, die mittels verallgemeinerten lokalen Rotationen, sog. Eichtransformationen, ineinander überführt werden können, dürfen keinen Einfluss auf beobachtbare physikalischen Größen wie z.B. die Masse oder Ladung eines Teilchens oder die Stärke der Wechselwirkung haben. In der theoretischen Beschreibung wird diese lokale Symmetrie mittels zusätzlicher unabhängiger Freiheitsgrade, den Eichfeldern, sichergestellt. Diese Freiheitsgrade sind zum Teil redundant und machen das Finden von Lösungen sehr schwierig.

„Unser Ziel ist es, eine Formulierung, bzw. den Hamilton-Operator des Systems, zu finden, der die Komplexität der Beschreibung minimiert. Als Prototyp dient uns ein spezielles Eichsystem mit nur einer Dimension in Raum und Zeit“, erklärt Dr. Mari Carmen Bañuls, leitende Wissenschaftlerin in der Abteilung Theorie von Prof. Ignacio Cirac. Im Falle eines in Raum und Zeit eindimensionalen Systems sind die Eichfelder keine unabhängigen Freiheitsgrade. Im Prinzip sollte es für diesen Fall daher möglich sein, die Eichfelder auszuintegrieren und eine Beschreibung zu finden, die ohne Eichfreiheitsgrade auskommt. Das lässt diese Systeme zunächst einmal einfach erscheinen. „Für praktische Berechnungen ist dies aber bisher nur für Abelsche Eichtheorien gelungen, dem einfachsten Fall, bei dem die Eichfelder nur mit den Materiefeldern wechselwirken und nicht mit sich selbst“, führt Dr. Bañuls aus. „Für nicht-Abelsche Theorien, wie sie auch im Standardmodell auftreten, ist dies aufgrund der Selbstwechselwirkungen der Eichfelder komplizierter.“

Ein wichtiges Hilfsmittel für Berechnungen ist es, das Raum-Zeit-Kontinuum, auf dem die Felder definiert sind, durch ein Gitter diskreter Punkte anzunähern, unter gleichzeitiger Beibehaltung der Eichinvarianz. Basierend auf dieser Gitterformulierung haben die Wissenschaftler eine Formulierung für eine nicht-Abelsche SU(2) Eichtheorie entwickelt, bei der die Eichfreiheitsgrade ausintegriert sind. „Diese Formulierung ist unabhängig von der Technik, die wir verwenden, um die Zustände des Systems zu berechnen. Es kann prinzipiell jede numerische oder analytische Methode genommen werden“, betont Dr. Stefan Kühn, der über dieses Thema promoviert hat und jetzt als Postdoc-Wissenschaftler am Perimeter Institut für Theoretische Physik in Waterloo (Ontario, Kanada) arbeitet. „Allerdings konnten wir zeigen, dass sich für die numerische Lösung der so formulierten Gittereichmodelle Tensor-Netzwerke besonders gut eignen.“

Die Methode der Tensor-Netzwerke wurde ursprünglich von den MPQ-Wissenschaftlern für die Beschreibung von Quanten-Vielteilchensystemen im Kontext der Quanteninformationstheorie entwickelt. „Gegenüber anderen Methoden hat sie den großen Vorteil, dass sie auch Auskunft über die Verschränkungsstruktur des Systems gibt“, erläutert Mari Carmen Bañuls. „Dieser direkte Zugriff auf die Quantenkorrelationen im System eröffnet neue Möglichkeiten zur Charakterisierung von Eichtheorien.“ Und Stefan Kühn fasst die Vielseitigkeit der neuen Methode so zusammen: „Unsere Formulierung der niederdimensionalen Gittereichtheorie kann es einerseits erleichtern, bestimmte Phänomene in der Teilchenphysik zu berechnen und vorherzusagen. Sie könnte sich aber auch dafür eignen, Quantensimulatoren für Anwendungen in der Quanteninformationsverarbeitung zu entwerfen.“ Olivia Meyer-Streng

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