Elementarmagnete im Doppelpack

MPQ/LMU-Wissenschaftlern gelingt die direkte Beobachtung eines elementaren Bindungszustands in ferromagnetischen Quantenkristallen

25. September 2013

Ihrem Ziel, durch präzise Kontrolle von Quantensystemen die Eigenschaften von Festkörpern zu simulieren, ist die Abteilung Quanten-Vielteilchensysteme am MPQ erneut einen entscheidenden Schritt näher gekommen – genauer gesagt, dem Verständnis von ferromagnetischen Festkörperkristallen, in denen elementare Anregungen des Grundzustandes, sogenannte Magnonen, entstehen können.

Bereits vor rund 80 Jahren begründete der Physiker Hans Bethe theoretisch, dass es in eindimensionalen Ferromagneten zu gebundenen Zuständen aus zweien dieser elementaren magnetischen Anregungen kommen kann. Wie zwei winzige Stabmagnete können dabei zwei Atome aneinander haften bleiben und ein neues Teilchen bilden, das sich im Festkörper bewegt. Den Physikern um Prof. Immanuel Bloch (Lehrstuhl für Experimentalphysik an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Direktor am MPQ) gelang es nun, solche kleinste mobile magnetische Domänen, sogenannte zwei-Magnonen-Zustände, in einem ultrakalten Quantenkristall direkt nachzuweisen und darüber hinaus deren Ausbreitung zu beobachten (Nature, AOP 25. September 2013). Diese Untersuchungen ergänzen die konventionelle Spektroskopie an Festkörperkristallen, die über den Impuls und die Frequenz der Spinwellen Auskunft gibt. Gebundene Anregungszustände beeinflussen z.B. das thermische Verhalten von niedrigdimensionalen Ferromagneten oder die Ausbreitungsgeschwindigkeit von Quanteninformation in magnetischen Drähten.

Die magnetischen Eigenschaften von Stoffen sind seit Jahrhunderten bekannt, sie werden fast ebenso lange schon in vielfältigen praktischen Anwendungen genutzt. Heute kann man Magnetismus auf atomarer Ebene erklären und verstehen. Er geht letztendlich auf den Eigendrehimpuls, den sogenannten Spin, der Elektronen zurück, die in der äußersten Schale der Atome eines Festkörperkristalls sitzen. In ferromagnetischen Stoffen sind diese Spins innerhalb der sogenannten Weiss’schen Bezirke einheitlich ausgerichtet.

Ähnliche Verhältnisse lassen sich für Quantenkristalle herstellen, wenn deren Atome einen definierten Spin besitzen. Dazu wird zunächst eine Wolke extrem kalter (d.h. extrem langsamer) Rubidiumatome in ein „optisches Gitter“ geladen, eine kreuzweise Überlagerung stehender Laserwellen. Die periodisch angeordneten hellen Bereiche sind die Gitterplätze, an denen sich die Atome aufhalten dürfen, die dunklen Bereiche wirken als Barrieren, deren Höhe durch die Intensität der Laserstrahlung bestimmt wird. In einem relativ flachen Gitter können die Teilchen auf ihren Nachbarplatz hinüber „tunneln“. Im hier beschrieben Experiment schränken die Wissenschaftler die Bewegungsfreiheit der Atome jedoch auf eine Kristallrichtung ein – so bilden sich etwa 10 parallel verlaufende „Röhren“, entlang derer die Teilchen sich fortbewegen können.

Bei entsprechend hohen Lichtintensitäten bildet sich ein hochgeordneter „Mott-Zustand“, in dem auf jedem Gitterplatz genau ein Atom sitzt und dort fixiert ist. Die Atome sind dann innerhalb einer Röhre aneinandergereiht wie Perlen auf einer Schnur, wobei alle Spins in dieselbe Richtung weisen – mit anderen Worten, sie stellen einen perfekten Quantenmagneten dar. Bereits vor einigen Monaten gelang es der Bloch-Gruppe, in einer solchen atomaren Kette die Spinrichtung eines einzelnen Teilchens zu ändern und die Ausbreitung der dadurch ausgelösten „Spinwelle“ zu beobachten.

Jetzt gingen die Physiker noch einen Schritt weiter: in der Mitte einer jeden Kette klappten sie, durch gezieltes Adressieren und Einstrahlen von Mikrowellenpulsen, die Spins zweier benachbarter Atome um und erzeugten so eine winzige magnetische Domäne. Diese beiden umgedrehten Elementarmagnete können einzeln, als freie Magnonen, den Quantenmagneten entlang wandern. Aufgrund der ferromagnetischen Wechselwirkung zwischen den benachbarten Spins können sie aber, mit etwa der gleichen Wahrscheinlichkeit, auch aneinander haften bleiben und einen gebunden Zustand aus zwei Magnonen bilden.

Zwei Maßnahmen erlauben es den Physikern, zum einen den gebundenen Zustand explizit nachzuweisen, zum anderen seine Ausbreitungsdynamik sowie die der freien Magnonen zu bestimmen. So haben sie in den letzten Jahren ein spezielles Verfahren entwickelt, das einzelne Atome auf ihren einzelnen Gitterplätzen sichtbar machen kann. Auf diese Weise können sie, quasi unter dem Mikroskop, Atome mit abweichendem Spin von den regulären Gitterbausteinen unterscheiden. Der zweite Trick besteht darin, den Zeitpunkt, an dem die Teilchen zu laufen beginnen, genau einzustellen. Dazu wird die Höhe des Gitters erniedrigt, was die magnetische Wechselwirkung zwischen den Atomen verstärkt. Wie mit einer Stoppuhr lässt sich hochpräzise das Zeitintervall einstellen, nach dem das Gitter wieder erhöht, die magnetische Wechselwirkung abgeschaltet und die Spinausrichtung der Atome „eingefroren“ wird. Indem die Wissenschaftler die jeweilige Anordnung der Spins für eine Serie von unterschiedlichen Zeitabständen fotografieren, können sie die Ausbreitung der ferromagnetischen Anregungen mit hoher räumlicher und zeitlicher Auflösung messen.

„Mit dieser Methode können wir Zustände mit gebundenen Magnonen eindeutig von Zuständen mit freien Magnonen separieren“, erklärt Dr. Christian Groß, Projektleiter am Experiment. „Im ersten Fall sehen wir deutlich, dass die beiden abweichenden Spinzustände bei ihrer Wanderung immer benachbart bleiben. Im zweiten Fall – und auch das ist von großem Interesse – bewegen sich die einzelnen Anregungen anti-korreliert. D.h., hat sich nach einem bestimmten Zeitintervall das eine Magnon um drei Gitterplätze von seiner Ausgangsposition nach links bewegt, dann ist das andere um die gleiche Strecke nach rechts gegangen.“

Wie im wirklichen Leben halten auch in der Quantenwelt gebundene Zustände nicht oder nur im Idealfall ewig. „Nach unseren Messungen nimmt die Zahl der Magnonen-Paare für lange Beobachtungszeiten ab“, erläutert Dr. Takeshi Fukuhara. „Möglicherweise ist der Grund dafür, dass die empfindlichen Spinwellen in geringem Umfang an thermische Anregungen koppeln. An der genauen qualitativen und quantitativen Beschreibung des Zerfalls des gebundenen Magnonen-Zustandes arbeiten wir derzeit.“

Das Aufdecken elementarer quantenmagnetischer Phänomene hilft, die auch in Festkörperkristallen ablaufenden magnetischen Prozesse besser zu verstehen. Die Untersuchung der Spinwellen-Dynamik in einem eindimensionalen Quantenmagneten ist aber auch für potentielle Anwendungen relevant. So kann z.B. die Weitergabe von Quanteninformation in einer eindimensionalen Kette von Quantenbits durch die Entstehung gebundener Magnonenzustände stark beeinflusst werden. Olivia Meyer-Streng

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